Robert F. Fishman
Die Reise ins vermeintliche Glück
Die deutsche Politik verlangt neue
Strafvorschriften gegen Menschenhandel und
Zwangsprostitution
Auf rund zehn Milliarden Euro beziffert das
bayerische Justizministerium den Gewinn, den Kriminelle jedes Jahr
in Europa aus der Zwangsprostitution ziehen. Das Risiko, dabei
erwischt zu werden, ist immer noch gering. International
organisierte Banden locken junge Frauen vor allem aus den armen
Ländern Osteuropas mit angeblichen Jobs als
Au-pair-Mädchen, Verkäuferinnen oder Kellnerinnen in den
Westen. Hier nehmen sie ihren Opfern die Ausweise ab, sperren sie
ein und zwingen sie in die Prostitution. Rund 500.000 junge Frauen
arbeiten nach Schätzungen der EU-Kommission derzeit illegal
unter Zwang als Prostituierte in der Europäischen Union.
Die Geschichten der Mädchen klingen alle
gleich. Doch es sind die wahren Geschichten von Elena, Svetlana
oder Ljuba, aus der Ukraine, aus Litauen oder aus Moldawien. Sie
leben in trostlosen Dörfern, wo der bestbezahlte Mann, der
Polizist, 25 Euro im Monat nach Hause bringt. Alle anderen
überleben mit ein paar Schweinen und einem kleinen Feld hinter
dem Haus. Die Männer schmuggeln, die Frauen sitzen zuhause und
haben die Hoffnung aufgegeben. In Moldawien ist die
Wirtschaftsleistung seit dem Ende der Sowjetunion um 70 Prozent
gesunken, sieben von zehn haben keine Arbeit - und keine
Perspektive. Das Land verfällt.
Freunde, Cousins oder andere weit gereiste
Männer versprechen jungen Mädchen eine Stelle als
Haushaltshilfe in Deutschland oder als Kellnerin in Frankreich.
1.000 Euro im Monat. Für die Moldawierinnen eine
unvorstellbare Summe. "Wer geht, kann verlieren, wer bleibt, hat
schon verloren", zitiert Manfred Paulus in seinem Buch
"Frauenhandel und Zwangsprostitution" eine Moldawierin. In manchen
Dörfern ist jedes zweite Mädchen verschwunden - "mit den
Zigeunern gegangen", wie die Einheimischen sagen.
Die meist sehr jungen Mädchen glauben
den Versprechungen ihrer falschen Freunde, verschulden sich
für die vermeintliche Reise ins Glück. Statt des Jobs
bekommen sie Prügel und einen Zuhälter. 1.000 bis 1.500
Euro zahlen Sklavenhändler auf den Märkten des Balkans
für "Frischfleisch" aus dem Osten. Von hier aus verkaufen sie
die Ware Mensch weiter.
"Den Markt schaffen die Männer",
urteilen die CDU-Bundestagsabgeordneten Ute Granold und Siegfried
Kauder. Sie wollen deshalb - wie die bayerische Justizministerin -
auch Männer bestrafen, die als Freier die Lage der jungen
Frauen ausnutzen.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben
im Mai einen "Gesetzentwurf zur Änderung der Tatbestände
über den Menschenhandel" in den Bundestag eingebracht. Schon
wer auf sein Opfer einwirkt, um es in die Prostitution oder zu
sonstigen "sexuellen Handlungen" zu zwingen, soll für bis zu
fünf Jahre hinter Gittern verschwinden. Bis zu zehn Jahre Haft
drohen denjenigen, die ihr Ziel dabei nachweislich erreicht
haben.
Nach dem neuen Paragrafen 233 des
Strafgesetzbuchs soll auch der Menschenhandel "zum Zweck der
Ausbeutung der Arbeitskraft" mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet
werden. Wie beim Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
(Paragraf 232) sollen nun schon die Täter bestraft werden, die
auf ihr Opfer einwirken, um es in Sklaverei, Leibeigenschaft oder
Schuldknechtschaft zu bringen. Gleiches gilt für
"Beschäftigungsverhältnisse, deren Bedingungen in
auffälligem Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen
anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, die die gleiche
oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben."
Der Heiratshandel gilt in Zukunft als
besonders schwerer Fall der Nötigung. Gemeint sind damit
Leute, die junge Mädchen aus dem Ausland gegen ihren Willen
nach Deutschland schaffen, um sie hier zu verheiraten.
Mehr Schutz für die Opfer und
beweisfeste Aussagen vor Gericht erhoffen sich SPD und Grüne
vom neuen Paragrafen 154 c der Strafprozessordnung: Danach
können die Staatsanwaltschaften die Verfahren gegen die Opfer
- etwa wegen illegaler Einreise nach Deutschland - einstellen, wenn
diese gegen ihre Peiniger aussagen. Viele Kritikerinnen in den
Beratungsstellen verlangen mehr: Sie wollen, dass die
Ermittlungsverfahren gegen die Opfer eingestellt werden.
Die Berliner Rechtsanwältin Regina
Kalthegener, vertritt in vielen Prozessen gegen
Menschenhändler die Nebenklage der Opfer. Sie hofft, dass die
neuen Paragrafen "zumindest Kleinkriminelle" abschrecken und mehr
"öffentliches Bewusstsein" für das Thema schaffen. Sie
kritisiert, dass nach den neuen Vorschriften nur die
Menschenhändler bestraft werden sollen, die mit ihren Taten
einen "Vermögensvorteil" erzielen wollen. Wem dies nicht
nachzuweisen ist, kann nur wegen schweren Menschenhandels bestraft
werden. Dies setzt allerdings voraus, dass das Opfer jünger
als 14 war, die Täter nachweislich Gewalt oder List angewendet
haben und/oder das Opfer in die Gefahr des Todes oder einer
schweren Gesundheitsschädigung gebracht haben.
Fehlende psychologische Betreuung
Gegen den Gesetzentwurf von Sozialdemokraten
und Grünen im Bundestag liest sich der Forderungskatalog der
CDU-Abgeordneten Ute Granold wie das Happy End eines Märchens:
Granold verlangt "eine flächendeckende, fachgerechte Betreuung
der Opfer unter Berücksichtigung ihrer sozialen und
psychologischen Bedürfnisse" und "ein Modellprojekt der
mobilen Krisenintervention, das unmittelbar nach dem
Polizeieingriff die Opfer betreut und so im Moment der Krise
traumatische Schäden mildert".
Die deutsche Wirklichkeit sieht anders aus:
Im Mai hat die CDU- Staatsregierung in Sachsen der erfolgreichen
Hilfsorganisation Karo die Zuschüsse gestrichen. Die
Unterstützung von Prostituierten auf tschechischem Territorium
sei Sache der dortigen Regierung, lautete die Begründung,
obwohl vor allem deutsche Männer die Bordelle gleich hinter
der Grenze besuchen.
Mitarbeiterinnen von Opferberatungsstellen
wie Uta Ludwig, Leiterin von Belladonna in Frankfurt/ Oder, loben
den Gesetzentwurf von SPD und Grünen als Schritt in die
richtige Richtung. Wichtiger als neue Gesetze seien allerdings eine
bessere Ausstattung der Polizei und mehr Geld für diejenigen,
die sich der Opfer annehmen. Rund 250.000 Euro im Jahr bekommt
Brandenburgs einzige Beratungsstelle für Opfer von
Zwangsprostitution und Menschenhandel vom Land. "Wir bräuchten
mindestens das Doppelte", berichtet Uta Ludwig und verweist auf die
Zahlen: Jedes Jahr suchen mehr als 800 Frauen Unterstützung
bei Belladonna. Von den etwa 1300 jungen Frauen, die in den
Bordellen an der Oder arbeiten, würde jede Zweite zur
Prostitution gezwungen.
Für falsche Pässe und die Reise
nach Deutschland verschulden sich die Frauen bei ihren
späteren Zuhältern. 3.000 Euro verlangten diese für
einen falschen polnischen Pass, weitere 3.000 für den
Transport in den Westen. Dazu kämen "Schulden" für neue
Kleidung und für die "Miete" der Zimmer in den Bordellen oder
Wohnungen. "Viele Frauen kommen mit 15.000 Euro Schulden hier an",
berichtet Uta Ludwig. Von 200 Euro, die eine Frau von ihren Freiern
am Tag durchschnittlich einnimmt, ließen ihr die
Hintermänner höchstens 20 Prozent, manchmal noch weniger
oder überhaupt nichts.
Einzige Zeugen sind die Opfer. Diesen
erzählen die Täter immer wieder, dass sie wegen der
illegalen Einreise mit falschen Papieren sofort eingesperrt und
abgeschoben würden, wenn sie zur Polizei gingen. Die meisten
jungen Frauen glauben den Zuhältern. Werden sie verhaftet,
sagen viele der völlig eingeschüchterten Frauen keinen
Ton oder behaupten, dass sie freiwillig im Bordell
arbeiteten.
Übereinstimmend fordern deshalb
Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen und andere Fachleute ein
sicheres Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel und
Zwangsprostitution. In Deutschland nimmt nach Angaben des
Bundeskriminalamts nur etwa jede 20. Frau, die aus den Fängen
der Zuhälter frei kommt, an den staatlichen
Zeugenschutzprogrammen teil. Nur Opfer, denen die
Menschenhändler nachweislich nach dem Leben trachten, werden
in die Programme aufgenommen. "Außerdem müssen die Frauen
im Zeugenschutzprogramm sämtliche Kontakte auch zu ihren
Angehörigen im Heimatland abbrechen und werden an einem
geheimen Ort versteckt", berichtet die Berliner Rechtsanwältin
Regina Kalthegener. "Viele wollen oder können das
nicht."
Einen Rechtsanspruch auf eine
Aufenthaltsgenehmigung für die Opfer der Menschenhändler
sieht auch der Gesetzentwurf der SPD und der Grünen nicht vor.
Die meisten deutschen Ausländerbehörden erteilen Frauen,
die gegen Menschenhändler aussagen wollen, eine auf drei
Monate befristete Duldung. Verlängert wird diese nach Ende des
Strafverfahrens nur, wenn dem Opfer zuhause im Heimatland durch
Nachstellungen der Täter Gefahr droht. Da die meisten Familien
dort der Polizei nicht vertrauen, zeigen sie Droh-anrufe oder
Besuche von unfreundlichen Männern nur selten an.
Anfällig für erneute
Ausbeutung
Während der Duldung in Deutschland
bekommen die Frauen Sozialhilfe nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz: Rund 190 Euro im Monat. "Das macht sie
anfällig für neue Ausbeutung", weiß Marion
Böker vom Koordinierungskreis KOK in Potsdam und verweist auf
bessere Regelungen im Ausland: In den USA zum Beispiel erhielten
Opfer von Menschenhandel, die mit der Justiz zusammenarbeiten, ein
dreijähriges Aufenthaltsrecht inklusive
Arbeitserlaubnis.
In Italien garantiert Artikel 18 des
Ausländergesetzes den Frauen ein Bleiberecht, wenn sie mit den
Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten oder einer
Beratungsstelle ihr Schicksal offenbaren. Die Polizei muss
Ausländerinnen, die sie in Bordellen oder auf dem
Straßenstrich festnimmt, an die Beratungsstellen vermitteln.
Diese haben landesweit eine kostenlose Telefonnummer geschaltet,
über die Opfer in mehreren Sprachen Hilfe bekommen.
Belgien hat inzwischen speziell ausgebildete
Staatsanwälte und Polizisten auf die Menschenhändler
angesetzt. Wie in Italien erhalten Frauen, die gegen ihre Peiniger
aussagen, ein Bleiberecht.
Alle Gesetze gegen Sklaverei, Menschenhandel
und Zwangsprostitution nutzen wenig, so lange im Westen tausende
Männer ohne Rücksicht auf die Menschenwürde
schnellen, billigen Sex suchen und in Osteuropa so viele junge
Frauen in hoffnungsloser Armut leben und nach ihrer Befreiung
wieder ins gleiche Elend zurückkommen.
Infos:
Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen wie
Marion Böker vom Koordinationskreis gegen Frauenhandel und
Gewalt an Frauen in Migrationsprozessen KOK bitten vor allem
Männer, die Bordelle besuchen und als "Freier" zu
Prostituierten gehen, um Unterstützung:
Wenn eine der Frauen einen
verängstigten
Eindruck macht, Verletzungen wie Wunden
und
blaue Flecke hat, die möglicherweise von
Schlägen stammen.
Internet-Adressen:
Mit dem DAPHNE II Programm fördert die
Europäische Union Projekte gegen Menschenhandel und
Zwangsprostitution sowie Aufklärungsarbeit zum
Thema:
http://europa.eu.int/comm/justice_home/funding/daphne/funding_daphne_en.htm
www.bka.de
Bundeskriminalamt, unter Berichte und
Statistiken die jeweiligen Jahres-Lageberichte zum Thema
Menschenhandel
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