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Ines Gollnick
SMS aus dem Bildungstempel
Die Bibliothek der Zukunft
Wenn Bürger der Stadt Würzburg eine SMS bekommen,
könnte die Stadtbibliothek der Absender sein. Message: Ihre
bestellten Medien liegen für Sie bereit! Service wird in der
"Bibliothek des Jahres 2003" großgeschrieben. Online-Beratung,
Lesetipps im Netz, Internetplätze und -kurse, mobiler
Bücherdienst und Lesecafé stehen für eine
kundenorientierte Dienstleistung. Das Angebot wird geschätzt.
Bibliotheksleiterin Hannelore Vogt ist stolz auf 740.000 Besucher
im vergangenen Jahr: "Das ist für eine Stadt wie Würzburg
extrem hoch."
Von tollen Zahlen, tollem Service und innovativen
wirtschaftlichen Schritten kann auch Horst Neißer, Leiter der
Kölner Stadtbibliothek, berichten: Etwa zwei Millionen Nutzer
jährlich und 100.000 Mitglieder weist die Statistik aus. Die
Informationsrecherche für Unternehmen ist da nur ein Baustein
in der service- und marktorientierten Institution Stadtbibliothek
Köln, die Zugriff auf 13.000 professionelle Datenbanken hat.
Es gibt sie also in Deutschland, aber eben nur vereinzelt: moderne,
innovative Bibliotheken wie auch in Emden die Johannes a Lasco
Bibliothek, in Göttingen die Staats- und
Universitätsbibliothek oder die Städtischen Bibliotheken
Dresden. Was in Deutschland fehlt, ist eine Bibliothekspolitik mit
Breitenwirkung, damit sich das Potenzial der Bibliotheken für
die Bildung flächendeckend entfalten kann. Denn Bibliotheken
sind mehr als Kultur- und Freizeiteinrichtungen. "Wir sind in
Köln das Informationszentrum schlechthin", beschreibt
Neißer die Rolle seines Hauses. Der Informationstempel nehme
nicht den Platz im öffentlichen Bewusstsein ein, der ihm
gebühre, kritisiert allerdings der erfahrene
Bibliotheksmanager. Und damit meint er nicht den Teil der
Gesellschaft, die Bibliotheken nutzt. Aufgrund von 15 Jahren
praktischer Erfahrung hat sich bei Neißer ein Bild verfestigt:
"Politiker besuchen keine Bibliotheken. Deshalb haben sie die alte
Volksbücherei vor Augen, wo arme Leute hingehen, weil sie kein
Geld für Bücher in der Tasche haben." Und zur
Untermauerung seiner Position verweist er darauf, was
aufgezählt wird, geht es um
Einrichtungen der Bildungsreform: Hochschulen, Schulen,
Kindergärten. "Von den Bibliotheken, den Basiseinrichtungen
der Bildung, redet niemand. Stattdessen kommen Sparauflagen und die
Empfehlung, Öffnungszeiten zu reduzieren", kritisiert
Neißer.
Neues Strategiekonzept
Damit das deutsche Bibliothekssystem mit seinen 18.000
Einrichtungen den steigenden Anforderungen von Bildung und
Wissenschaft gewachsen ist, haben zwei Partner das Strategiekonzept
"Bibliothek 2007" entwickelt. Die Bertelsmann-Stiftung und die
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände
(demnächst Bibliothek und Information Deutschland) wollen vor
allem in der politischen Öffentlichkeit einen
Bewusstseinswandel auslösen. Da Bildung und Kultur in die
Länderkompetenz fallen, wird vor allem das politische Signal
der Kultusministerkonferenz (KMK) gebraucht. Um das Thema auf
Bundesebene zu pushen, ist für den Herbst ein
Parlamentarischer Abend in Berlin geplant. Ein wichtiges Ziel
lautet: Das in der Politik vorherrschende Bild von der
Volksbücherei aus den Kindertagen soll durch das Bild eines
aktiven Anbieters von Informationsdienstleistungen für alle
Schichten der Gesellschaft und Partners des Lernens in allen
Lebensabschnitten ersetzt werden. Eine zentrale Forderung der
Projektpartner konzentriert sich auf die Einrichtung einer
"BibliotheksEntwicklungsAgentur", kurz BEA genannt. Diese soll
gesamtstaatlich verbindliche Rahmenpläne und Standards
entwickeln, neue Dienstleistungs- und Managementmethoden
einführen und die Kooperation von Bibliotheken mit anderen
staatlichen oder privatwirtschaftlichen Einrichtungen des Bildungs-
und Kulturbereichs fördern. Es mangele in Deutschland an einem
Innovationsmanagement, das Ideen für neue Angebote und
Kooperationen, etwa zur Leseförderung mit der Stiftung Lesen,
aufgreife und in die Fläche trage, so Christian Hasiewicz,
Projektleiter bei der Bertelsmann-Stiftung. Auch gebe es keine
bildungspolitischen Zielsetzungen und kaum verbindliche
Qualitätsstandards, an denen Bibliotheken ihre Arbeit
ausrichten könnten. Wie dringend eine zentrale Einrichtung
gebraucht wird, beweist allein die Tatsache, dass die
Würzburger Stadtbücherei zur Pilgerstätte für
Bildungs- und Kulturreferenten geworden ist. Auch Fachkräfte
aus dem Ausland, beispielsweise vom Goethe-Institut, suchen Rat und
Empfehlung und wollen wissen, wie es den Bayern gelungen ist, durch
"Profilschärfung ein gutes Angebot vorzuhalten", wie
Bibliotheksleiterin Hannelore Vogt die Strategie beschreibt. Denn
auch die Würzburger haben weniger Geld zur Verfügung,
weil die Kommunen in Finanznot stecken und das Angebot der
Bibliothek nicht zur kommunalen Pflichtaufgabe zählt.
Erfolgreiche internationale Vorbilder haben die Projektpartner
inspiriert und motiviert. Finnland, Großbritannien und
Singapur verbindet eines: In diesen Ländern sind Bibliotheken
Chefsache. Auch in Dänemark und den USA setzen die Regierungen
in ihrer Bildungspolitik auf das Potenzial öffentlicher und
wissenschaftlicher Bibliotheken. Die internationale Studie von
Bertelsmann-Stiftung und BDB hat zutage gefördert, dass in den
fünf untersuchten Ländern Nutzungsgrad und Zufriedenheit
mit dem Angebot weit höher sind als in Deutschland. Dänen
nutzen ihre öffentliche Bibliothek drei Mal so oft wie die
Deutschen. Nur etwa 40 Prozent der Deutschen sind mit ihrer
Bibliothek zufrieden. In Großbritannien sind es neun von zehn
Befragten. Andere Länder lassen sich ihre Bibliotheken
erheblich mehr kosten: Wird in Deutschland im Jahr etwa ein Euro
pro Kopf für Bücher und andere Medien investiert, ist es
in den Vergleichsländern das Drei- bis Neunfache. Die
Bildungsspitzenländer haben das Potenzial der Bibliotheken
erkannt. Das Projekt "Bibliothek 2007" weist den Weg, wie in
Deutschland die Politik mit Bibliotheken reüssieren
könnte.
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