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wol
Viel Populismus beim Thema Bürokratie
Anhörung
Inneres. "Die teilweise heftige Kritik an der
Gesetzgebung und der Vorwurf einer ständig steigenden
Gesetzesflut und mangelnder Steuerungsfähigkeit verkennt die
Wirklichkeit und ist eher populistisch als zielführend",
zitierte Rechtsanwalt Ortlieb Fliedner am 28. Juni als einer von
acht Sachverständigen in der Anhörung des
Innenausschusses aus einer Analyse zur Verwaltungspolitik von
2001.
Fliedner sagte, der Verzicht des
Rechtsstaates auf den Erlass von Gesetzen wäre gleichbedeutend
mit dem Verzicht, auf bestimmten Gebieten Politik zu machen und
diese umzusetzen. Der Ansatzpunkt für Verbesserungen liege
unter anderem in einer getrennten Diskussion über politische
Ziele und Inhalte und ihrer gesetzgebungsfachlichen
Umsetzung.
Professor Hans Peter Bull von der
Universität Hamburg legte dar, die Annahme, dass etwa durch
Privatisierung von Aufgaben keine Rechtsnormen mehr benötigt
würden, sei falsch. Bei den Privatisierungen von Post und Bahn
seien vielmehr umfangreiche neue Regelwerke und neue Behörden
erforderlich geworden, die einen ganz neuen Verwaltungszweig der
Regulierungsbehörden begründet hätten.
"Reregulierungen" nach "Deregulierung" seien "unvermeidlich", wie
auch britische Erfahrungen belegt hätten. Durch
Rechtsbereinigung bei quantitativem statt qualitativem Vorgehen
könne "ein einziges Gesetz mehr Ärger und Schaden
anrichten als 100 andere, auf die man verzichtet." Ein Reformpaket
mit einer Vielzahl von Einzelgesetzen könne nützlicher
sein, als die einzige umfassende Richtlinie, die Dutzende von
Einzeltatbeständen ersetze, aber zur Problembewältigung
nicht tauge.
Dagegen verglich Professor Ulrich Karpen,
ebenfalls von der Universität Hamburg, bei der Anhörung
die bürokratischen Hemmnisse für die Wirtschaft mit den
vielen dünnen Fesseln, mit denen die Bewohner Liliputs
Gulliver jeglicher Bewegungsfreiheit beraubt hatten. Einen Ansatz
für Verhinderung von Bürokratie bietet laut Karpen etwa
der Stellenwert von Selbstverantwortung (Autonomie) vor
Staatsaufgaben und eine Privatisierung bisher hoheitlicher Aufgaben
in Bereichen, die nicht zum Nutzen aller sind.
Laut Professor Werner Jann von der
Universität Potsdam wiederum ist Bürokratieabbau ein
klassisches Thema der Staatsmodernisierung, das mit "schöner
Regelmäßigkeit" auf der politischen Agenda auftauche. Er
verwies auf Entbürokratisierungen von der Weimarer Republik
bis heute und sagte, "Bürokratie, Bürokratisierung und
Bürokratieabbau sind sehr unterschiedliche Probleme, dabei
kann es keine einfache Lösung für alle Probleme geben".
Das Thema Bürokratie sei mit unterschiedlichsten politischen
Zielen dazu "verkommen", für jede Art von Unvermögen und
Versagen oberflächliche Erklärungen zu
liefern.
Erfahrungen aus
Nordrhein-Westfalen
Über Erfahrungen aus einem Modellversuch
berichteten Staatssekretär Hans Krings vom Innenministerium
Nordrhein-Westfalen und Andreas Wiebe, Regierungspräsident in
Detmold. Laut Krings hat die nordrhein-westfälische
Landesregierung Ende 2002 eine umfassende Erlassbereinigung
beschlossen, mit der die Zahl der Erlasse von 3.300 auf etwa 1.700
reduziert wurde. So enthielten die "überlebenden" Erlasse nur
noch das zwingend notwendige Maß an Anweisung und Vorgaben. Im
Zuge dieser Bereinigung verfüge NRW nun über eine
vollelektronische Erlasssammlung, die in ihrem Inhalt fast
tagesaktuell ist und im Internet und Intranet zur Verfügung
steht. Übergeordnetes Ziel des Bürokratieabbaus sei die
umfassende Prüfung aller staatlichen Aufgaben auf Wegfall oder
Übertragung auf Dritte oder die Kommunen. Die Bündelung
verbleibender staatlicher Aufgaben gewährleiste eine
Konzentration des Verfahrens, die beschleunigte Bearbeitung und den
Ausgleich unterschiedlicher Interessen.
Wolf Kroker vom Institut der Deutschen
Wirtschaft in Köln, und Christoph Zschocke von der
Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer beklagten
zunehmende Bürokratie als "eine der Ursachen für die
derzeitige strukturelle Wachstumsschwäche" und "als eine
schwere Bürde". Danach fühlen sich 52,6 Prozent der
Unternehmen in den neuen Bundesländern durch staatliche
Bürokratie stark behindert und in Westdeutschland 55,7
Prozent. Zu den volkswirtschaftlichen Folgekosten sagten sie, "in
dem Maße, wie staatliche Bürokratie zur Innovations- und
Investitionsbremse wird, behindert sie den Strukturwandel und
kostet wirtschaftliche Dynamik". Die Folgen seien in der
Arbeitsmarktstatistik nachzulesen.
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