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Das Parlament
Nr. 28 / 05.07.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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K. Rüdiger Durth

Ein Weg voller Hindernisse

Der politische Kampf um die Zuwanderung ist beendet
Die "endlose Debatte" (Altbundespräsident Johannes Rau), die fast viereinhalb Jahre dauerte, hat nun doch noch zu einem modernen Gesetz über die Zuwanderung geführt. Mit der Greencard für ausländische Computerexperten, die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 23. Februar 2000 vorschlug, begann eine beispiellose politische Auseinandersetzung. Am 1. Juli wurde mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundestag darunter ein Schlusspunkt gesetzt.

Der Streit drehte sich vor allem um folgende Fragen: Wie viel Fremde sollte Deutschland angesichts seiner drohenden Überalterung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufnehmen? Wie viel Ausländer können Handwerk, Wirtschaft und Industrie aufnehmen, zumal es schon jetzt über vier Millionen Arbeitslose gibt? Wie viel Integration ist notwendig, um das Entstehen von Parallelgesellschaften zu vermeiden? Schließlich kam noch die Frage nach Menschlichkeit und Sicherheit hinzu: Was kann gegenüber Menschen verantwortet werden, die seit langem in Deutschland leben, das Land verlassen müssen, aber nicht wollen oder können? Seit dem 11. März 2004, dem Tag der Anschläge auf Züge in Madrid, kam die Frage hinzu, was mit Ausländern geschehen soll, die auf deutschem Boden Gewalttaten vorbereiten oder Hass predigen.

Letztlich geht es um die Beantwortung der Frage, die sich aus der nachdenklichen Feststellung von Max Frisch ergibt: Statt der gefragten Arbeitskräfte zur Aufrechterhaltung der Produktion kamen Menschen. Doch die demographische Entwicklung macht deutlich, dass wir in Zukunft vor allem Menschen brauchen, die in Deutschland dauerhaft leben und arbeiten wollen. Lediglich über die Zahl wird gestritten, die notwendig ist. Aber auch darüber, wie viel Fremde die deutsche Bevölkerung aufnehmen kann, ohne sich selbst fremd im eigenen Land zu fühlen.

Diese Probleme gipfeln in der Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Werfen wir einen Blick auf die Nachkriegsgeschichte: Über zehn Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene hatte die alte Bundesrepublik zu verkraften, die aber im Wiederaufbau des zerstörten Deutschland schnell integriert werden. Durch den atemberaubenden Wirtschaftsaufschwung kommt das Land nicht mehr ohne Gastarbeiter aus. 1973 wird dann ein Anwerbestopp erlassen, der bis heute gültig ist. Dazu kommen viele Flüchtlinge aus der DDR.

Mit dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs kommen immer mehr Spätaussiedler und Asylsuchende nach Deutschland. Dazu die so genannten jüdischen Kontingentflüchtlinge, die die Zahl der Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland von etwa 3.000 Anfang der 90er-Jahre auf inzwischen über 130.000 hat anwachsen lassen. 1993 wird nach schweren politischen Auseinandersetzungen das Asylrecht verschärft (unter anderem durch die so genannte Drittstaaten-Regelung). Gleichzeitig versucht man, mit kräftiger finanzieller Unterstützung vor Ort viele "Volksdeutsche" zum Bleiben in ihrer angestammten Heimat zu bewegen.

Mehr Ausländer werden eingebürgert

1991 lebten rund 5,9 Millionen Ausländer in Deutschland, was einem Anteil von 7,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung entsprach. Diese Zahl stieg bis 2001 auf 7,4 Millionen (gleich neun Prozent) an und sinkt seitdem leicht. Ein Grund für diesen Rückgang liegt in dem geänderten - das heißt erleichterten - im Jahr 2000 in Kraft getretenen Einbürgerungsrecht. Waren früher 15 Jahre Aufenthalt in Deutschland die Regel für eine Einbürgerung, so sind es nun unter bestimmten Voraussetzungen acht Jahre. Außerdem sind in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bis zum 18. Lebensjahr Deutsche. Danach können sie über die Staatsbürgerschaft frei entscheiden. 1999 wurden 143.000 Ausländer eingebürgert, 2001 waren es 178.000.

Unterschieden werden muss zwischen Ausländern, die aus einem EU-Land kommen und volle Freizügigkeit genießen (für die zehn neuen Mitgliedsstaaten gelten mehrjährige Übergangsfristen) sowie zwischen Nicht-EU-Bürgern. Mit rund zwei Millionen stellen die Türken die größte ausländische Nationalität in Deutschland. In dieser Statistik fehlen die sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländer, deren Zahl Experten auf 500.000 bis eine Million schätzen.

Dieser Hintergrund ist wichtig, um die politischen Auseinandersetzungen um das Zuwanderungsgesetz zu verstehen. Die Bündnisgrünen stehen der Vision einer multikulturellen Gesellschaft sehr offen gegenüber und möchten das Ausländerrecht am liebsten sehr stark liberalisieren. Dabei finden sie Verständnis bis Zustimmung bei den Liberalen. Die Union steht mehrheitlich diesem Gesellschaftsentwurf ablehnend gegenüber, während die Sozialdemokraten etwa in der Mitte dieser Positionen stehen.

Um die nach der Einführung der Greencard - die aufgrund ihrer komplexen Bestimmungen vor allem im Blick auf das Bleiberecht nicht sonderlich erfolgreich ist - einsetzende kontroverse Diskussion in den Griff zu bekommen, beruft Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine Zuwanderungskommission, die zum Ärger der Union von der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) geleitet wird. Die CDU wiederum setzt unter Vorsitz des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller eine eigene Kommission ein. Es folgen Grundsatzbeschlüsse der CDU (aber auch der Bündnisgrünen und der damaligen PDS-Bundestagsfraktion), Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat öfter im Sinne der Union abgeändert werden.

Aber auch innerhalb der Union gibt es zum Teil erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Die Union fordert vor allem eine Begrenzung der Zuwanderung, während Rot-Grün sie ausweiten will. Die Union lehnt eine ursprünglich von der Bundesregierung vorgesehene Aufhebung des Anwerbestopps kategorisch ab und setzt sich schließlich durch. Ferner fordert sie um der besseren Integration willen eine Absenkung des Zuzugsalters für Kinder von 16 auf zwölf Jahre. Damit kann sie sich nicht durchsetzen.

Der 22. März 2002 ist längst in die Geschichte des Bundesrates eingegangen, als das vom Bundestag mit rot-grüner Mehrheit verabschiedete Zuwanderungsgesetz zur Abstimmung steht. Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) erkennt die gespaltene Stimmabgabe des Landes Brandenburg nach einer erneuten Befragung des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) als Ja an. Damit ist die Mehrheit gesichert. Es kommt zu Tumulten seitens der Union, die schließlich den Plenarsaal verlässt und Verfassungsklage androht. Später räumt Ministerpräsident Müller ein, die Empörung sei gespielt worden, weil bei der echten Entrüstung der Union am Tag zuvor in Kenntnis des Vorhabens von Wowereit kein Journalist dabei gewesen sei. Später relativiert er diese Äußerung.

Dieses Ja des Bundesrates beherrscht wochenlang die politische Debatte. Bundespräsident Johannes Rau entschließt sich unter dem Druck der Parteien zu einem einmaligen Schritt: Er unterschreibt, rügt namentlich Ministerpräsident Stolpe und seinen Stellvertreter Jörg Schönbohm (CDU), nicht-namentlich die anderen "Akteure" der Bundesratssitzung und hofft, dass das Bundesverfassungsgericht ein endgültiges Urteil spricht. Karlsruhe verwirft das Zuwanderungsgesetz wegen eines Formfehlers im Zustandekommen.

Nun beginnt der Streit von vorn. Die Bundesregierung bringt das Zuwanderungsgesetz unverändert im Bundestag ein, wo es verabschiedet wird. Im Bundesrat fällt es aufgrund der neuen Unions-Mehrheit durch. Die Bundesregierung ruft den Vermittlungsausschuss an. Es folgen schier endlose Verhandlungsrunden mit immer neuen Kompromissvorschlägen.

Die Bündnisgrünen fürchten, dass Innenminister Schily auf ihre Kosten zu weit der Union entgegenkommt. Zeitweilig erklärt ihr Bundesvorsitzender Reinhard Bütikofer die Verhandlungen für beendet. Bundeskanzler Schröder lädt die Parteivorsitzenden zu einem Gespräch ein. Schily sowie die Unionspolitiker Müller (CDU) und Beckstein (CSU) finden schließlich einen Kompromiss nach einem Treffen auf dem Frankfurter Flughafen. Am 30. Juni stimmt der Vermittlungsausschuss dem Kompromiss zu, von dem Altbundespräsident Rau sagt, es sei besser, ein kleines Licht anzuzünden als über die große Finsternis zu klagen - weshalb das Gesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft treten soll, nicht "schlecht geredet" werden dürfe.

Nicht nur die Wirtschaft hat immer wieder auf ein Zuwanderungsgesetz gedrängt, sondern auch die Kirchen. Sie hoffen, dass sie nach dem Inkrafttreten des Gesetzes kaum noch Anlass für das rechtlich umstrittene so genannte Kirchenasyl haben, da es künftig in den Ländern Härtefall-Kommissionen geben wird.

Umfassende Veränderungen

Das Gesetz mit dem langatmigen Titel "Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern" sieht vor:

1. Erstmals werden geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung bei Asylbewerbern als Fluchtgrund anerkannt. Damit wird der Schutz von Frauen erheblich verbessert. In problematischen Fällen soll eine Kommission entscheiden, ob ein Aufenthaltsrecht gewährt werden kann.

2. Künftig wird es einen befristeten (Aufenthaltserlaubnis) und einen unbefristeten Aufenthalt (Niederlassungserlaubnis) geben. Die Ausländerbehörde wird mit der Aufenthaltserlaubnis automatisch eine Arbeitserlaubnis erteilen. Zuvor wird sich die Behörde an die Bundesagentur für Arbeit wenden, da diese die Arbeitserlaubnis vergeben muss. Für Flüchtlinge gibt es die auf 18 Monate befristete Aufenthalts-Duldung. Sie dürfen ein Jahr lang nicht arbeiten.

3. Der 1973 erlassene Anwerbestopp für Nicht-EU-Bürger bleibt in Kraft. Ausnahme: Saisonarbeiter, sofern für diese keine Deutschen gefunden werden. Einreisen und niederlassen dürfen sich Hochqualifizierte (nicht nur Computer-Spezialisten mit einem Mindestverdienst von monatlich 7.000 Euro). Ausländische Studenten, die in Deutschland ihr Examen bestehen, dürfen ebenfalls einige Zeit arbeiten. Einreisen dürfen auch Ausländer, die eine Firma gründen und Arbeitsplätze schaffen. Spitzenkräfte erhalten sofort für sich und ihre Familien ein Daueraufenthaltsrecht.

4. Neuzuwanderer müssen einen Integrationskurs besuchen, wenn ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann ihr Aufenthalt nicht verlängert werden. Ausländerbehörden können auch bereits hier lebende Ausländer zu einem solchen Kurs verpflichten, für die der Bund die Kosten übernimmt. Allerdings haben sie keine Ausweisung bei Nichteinhaltung zu befürchten, gegebenenfalls jedoch eine Kürzung ihrer Sozialleistungen.

5. Ausländer, die sich des Terrorismus verdächtig gemacht haben, können schneller abgeschoben werden. Ausländerbehörden können "Hassprediger" ausweisen, die Verbrechen billigen. Eine Sicherungshaft, wie von der Union gefordert, wird es nicht geben.

6. Die Klagemöglichkeiten für Ausländer werden eingeschränkt. Ziel ist es, schneller und unbürokratischer zu handeln. Insgesamt wird durch das Gesetz Deutschland für Hochqualifizierte, Selbständige und Hochschulabsolventen aus dem Ausland attraktiver. Unter Berücksichtigung nationaler Interessen wird die Steuerung der Zuwanderung verbessert.

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