K. Rüdiger Durth
Ein Weg voller Hindernisse
Der politische Kampf um die Zuwanderung ist
beendet
Die "endlose Debatte" (Altbundespräsident
Johannes Rau), die fast viereinhalb Jahre dauerte, hat nun doch
noch zu einem modernen Gesetz über die Zuwanderung
geführt. Mit der Greencard für ausländische
Computerexperten, die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am
23. Februar 2000 vorschlug, begann eine beispiellose politische
Auseinandersetzung. Am 1. Juli wurde mit der Verabschiedung des
Zuwanderungsgesetzes im Bundestag darunter ein Schlusspunkt
gesetzt.
Der Streit drehte sich vor allem um folgende
Fragen: Wie viel Fremde sollte Deutschland angesichts seiner
drohenden Überalterung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten
aufnehmen? Wie viel Ausländer können Handwerk, Wirtschaft
und Industrie aufnehmen, zumal es schon jetzt über vier
Millionen Arbeitslose gibt? Wie viel Integration ist notwendig, um
das Entstehen von Parallelgesellschaften zu vermeiden?
Schließlich kam noch die Frage nach Menschlichkeit und
Sicherheit hinzu: Was kann gegenüber Menschen verantwortet
werden, die seit langem in Deutschland leben, das Land verlassen
müssen, aber nicht wollen oder können? Seit dem 11.
März 2004, dem Tag der Anschläge auf Züge in Madrid,
kam die Frage hinzu, was mit Ausländern geschehen soll, die
auf deutschem Boden Gewalttaten vorbereiten oder Hass
predigen.
Letztlich geht es um die Beantwortung der
Frage, die sich aus der nachdenklichen Feststellung von Max Frisch
ergibt: Statt der gefragten Arbeitskräfte zur
Aufrechterhaltung der Produktion kamen Menschen. Doch die
demographische Entwicklung macht deutlich, dass wir in Zukunft vor
allem Menschen brauchen, die in Deutschland dauerhaft leben und
arbeiten wollen. Lediglich über die Zahl wird gestritten, die
notwendig ist. Aber auch darüber, wie viel Fremde die deutsche
Bevölkerung aufnehmen kann, ohne sich selbst fremd im eigenen
Land zu fühlen.
Diese Probleme gipfeln in der Frage, ob
Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Werfen wir einen
Blick auf die Nachkriegsgeschichte: Über zehn Millionen
Flüchtlinge und Heimatvertriebene hatte die alte
Bundesrepublik zu verkraften, die aber im Wiederaufbau des
zerstörten Deutschland schnell integriert werden. Durch den
atemberaubenden Wirtschaftsaufschwung kommt das Land nicht mehr
ohne Gastarbeiter aus. 1973 wird dann ein Anwerbestopp erlassen,
der bis heute gültig ist. Dazu kommen viele Flüchtlinge
aus der DDR.
Mit dem Fall der Berliner Mauer und des
Eisernen Vorhangs kommen immer mehr Spätaussiedler und
Asylsuchende nach Deutschland. Dazu die so genannten jüdischen
Kontingentflüchtlinge, die die Zahl der Menschen
jüdischen Glaubens in Deutschland von etwa 3.000 Anfang der
90er-Jahre auf inzwischen über 130.000 hat anwachsen lassen.
1993 wird nach schweren politischen Auseinandersetzungen das
Asylrecht verschärft (unter anderem durch die so genannte
Drittstaaten-Regelung). Gleichzeitig versucht man, mit
kräftiger finanzieller Unterstützung vor Ort viele
"Volksdeutsche" zum Bleiben in ihrer angestammten Heimat zu
bewegen.
Mehr Ausländer werden
eingebürgert
1991 lebten rund 5,9 Millionen Ausländer
in Deutschland, was einem Anteil von 7,3 Prozent an der
Gesamtbevölkerung entsprach. Diese Zahl stieg bis 2001 auf 7,4
Millionen (gleich neun Prozent) an und sinkt seitdem leicht. Ein
Grund für diesen Rückgang liegt in dem geänderten -
das heißt erleichterten - im Jahr 2000 in Kraft getretenen
Einbürgerungsrecht. Waren früher 15 Jahre Aufenthalt in
Deutschland die Regel für eine Einbürgerung, so sind es
nun unter bestimmten Voraussetzungen acht Jahre. Außerdem sind
in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bis zum
18. Lebensjahr Deutsche. Danach können sie über die
Staatsbürgerschaft frei entscheiden. 1999 wurden 143.000
Ausländer eingebürgert, 2001 waren es 178.000.
Unterschieden werden muss zwischen
Ausländern, die aus einem EU-Land kommen und volle
Freizügigkeit genießen (für die zehn neuen
Mitgliedsstaaten gelten mehrjährige Übergangsfristen)
sowie zwischen Nicht-EU-Bürgern. Mit rund zwei Millionen
stellen die Türken die größte ausländische
Nationalität in Deutschland. In dieser Statistik fehlen die
sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländer, deren Zahl
Experten auf 500.000 bis eine Million schätzen.
Dieser Hintergrund ist wichtig, um die
politischen Auseinandersetzungen um das Zuwanderungsgesetz zu
verstehen. Die Bündnisgrünen stehen der Vision einer
multikulturellen Gesellschaft sehr offen gegenüber und
möchten das Ausländerrecht am liebsten sehr stark
liberalisieren. Dabei finden sie Verständnis bis Zustimmung
bei den Liberalen. Die Union steht mehrheitlich diesem
Gesellschaftsentwurf ablehnend gegenüber, während die
Sozialdemokraten etwa in der Mitte dieser Positionen
stehen.
Um die nach der Einführung der Greencard
- die aufgrund ihrer komplexen Bestimmungen vor allem im Blick auf
das Bleiberecht nicht sonderlich erfolgreich ist - einsetzende
kontroverse Diskussion in den Griff zu bekommen, beruft
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine Zuwanderungskommission,
die zum Ärger der Union von der früheren
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) geleitet wird.
Die CDU wiederum setzt unter Vorsitz des saarländischen
Ministerpräsidenten Peter Müller eine eigene Kommission
ein. Es folgen Grundsatzbeschlüsse der CDU (aber auch der
Bündnisgrünen und der damaligen PDS-Bundestagsfraktion),
Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die wegen der
Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat öfter im Sinne der
Union abgeändert werden.
Aber auch innerhalb der Union gibt es zum
Teil erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Die Union fordert vor
allem eine Begrenzung der Zuwanderung, während Rot-Grün
sie ausweiten will. Die Union lehnt eine ursprünglich von der
Bundesregierung vorgesehene Aufhebung des Anwerbestopps kategorisch
ab und setzt sich schließlich durch. Ferner fordert sie um der
besseren Integration willen eine Absenkung des Zuzugsalters
für Kinder von 16 auf zwölf Jahre. Damit kann sie sich
nicht durchsetzen.
Der 22. März 2002 ist längst in die
Geschichte des Bundesrates eingegangen, als das vom Bundestag mit
rot-grüner Mehrheit verabschiedete Zuwanderungsgesetz zur
Abstimmung steht. Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD)
erkennt die gespaltene Stimmabgabe des Landes Brandenburg nach
einer erneuten Befragung des damaligen Ministerpräsidenten
Manfred Stolpe (SPD) als Ja an. Damit ist die Mehrheit gesichert.
Es kommt zu Tumulten seitens der Union, die schließlich den
Plenarsaal verlässt und Verfassungsklage androht. Später
räumt Ministerpräsident Müller ein, die
Empörung sei gespielt worden, weil bei der echten
Entrüstung der Union am Tag zuvor in Kenntnis des Vorhabens
von Wowereit kein Journalist dabei gewesen sei. Später
relativiert er diese Äußerung.
Dieses Ja des Bundesrates beherrscht
wochenlang die politische Debatte. Bundespräsident Johannes
Rau entschließt sich unter dem Druck der Parteien zu einem
einmaligen Schritt: Er unterschreibt, rügt namentlich
Ministerpräsident Stolpe und seinen Stellvertreter Jörg
Schönbohm (CDU), nicht-namentlich die anderen "Akteure" der
Bundesratssitzung und hofft, dass das Bundesverfassungsgericht ein
endgültiges Urteil spricht. Karlsruhe verwirft das
Zuwanderungsgesetz wegen eines Formfehlers im
Zustandekommen.
Nun beginnt der Streit von vorn. Die
Bundesregierung bringt das Zuwanderungsgesetz unverändert im
Bundestag ein, wo es verabschiedet wird. Im Bundesrat fällt es
aufgrund der neuen Unions-Mehrheit durch. Die Bundesregierung ruft
den Vermittlungsausschuss an. Es folgen schier endlose
Verhandlungsrunden mit immer neuen
Kompromissvorschlägen.
Die Bündnisgrünen fürchten,
dass Innenminister Schily auf ihre Kosten zu weit der Union
entgegenkommt. Zeitweilig erklärt ihr Bundesvorsitzender
Reinhard Bütikofer die Verhandlungen für beendet.
Bundeskanzler Schröder lädt die Parteivorsitzenden zu
einem Gespräch ein. Schily sowie die Unionspolitiker
Müller (CDU) und Beckstein (CSU) finden schließlich einen
Kompromiss nach einem Treffen auf dem Frankfurter Flughafen. Am 30.
Juni stimmt der Vermittlungsausschuss dem Kompromiss zu, von dem
Altbundespräsident Rau sagt, es sei besser, ein kleines Licht
anzuzünden als über die große Finsternis zu klagen -
weshalb das Gesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft treten soll,
nicht "schlecht geredet" werden dürfe.
Nicht nur die Wirtschaft hat immer wieder auf
ein Zuwanderungsgesetz gedrängt, sondern auch die Kirchen. Sie
hoffen, dass sie nach dem Inkrafttreten des Gesetzes kaum noch
Anlass für das rechtlich umstrittene so genannte Kirchenasyl
haben, da es künftig in den Ländern
Härtefall-Kommissionen geben wird.
Umfassende Veränderungen
Das Gesetz mit dem langatmigen Titel "Gesetz
zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und
Ausländern" sieht vor:
1. Erstmals werden geschlechtsspezifische und
nichtstaatliche Verfolgung bei Asylbewerbern als Fluchtgrund
anerkannt. Damit wird der Schutz von Frauen erheblich verbessert.
In problematischen Fällen soll eine Kommission entscheiden, ob
ein Aufenthaltsrecht gewährt werden kann.
2. Künftig wird es einen befristeten
(Aufenthaltserlaubnis) und einen unbefristeten Aufenthalt
(Niederlassungserlaubnis) geben. Die Ausländerbehörde
wird mit der Aufenthaltserlaubnis automatisch eine Arbeitserlaubnis
erteilen. Zuvor wird sich die Behörde an die Bundesagentur
für Arbeit wenden, da diese die Arbeitserlaubnis vergeben
muss. Für Flüchtlinge gibt es die auf 18 Monate
befristete Aufenthalts-Duldung. Sie dürfen ein Jahr lang nicht
arbeiten.
3. Der 1973 erlassene Anwerbestopp für
Nicht-EU-Bürger bleibt in Kraft. Ausnahme: Saisonarbeiter,
sofern für diese keine Deutschen gefunden werden. Einreisen
und niederlassen dürfen sich Hochqualifizierte (nicht nur
Computer-Spezialisten mit einem Mindestverdienst von monatlich
7.000 Euro). Ausländische Studenten, die in Deutschland ihr
Examen bestehen, dürfen ebenfalls einige Zeit arbeiten.
Einreisen dürfen auch Ausländer, die eine Firma
gründen und Arbeitsplätze schaffen. Spitzenkräfte
erhalten sofort für sich und ihre Familien ein
Daueraufenthaltsrecht.
4. Neuzuwanderer müssen einen
Integrationskurs besuchen, wenn ihre Deutschkenntnisse nicht
ausreichen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann ihr
Aufenthalt nicht verlängert werden.
Ausländerbehörden können auch bereits hier lebende
Ausländer zu einem solchen Kurs verpflichten, für die der
Bund die Kosten übernimmt. Allerdings haben sie keine
Ausweisung bei Nichteinhaltung zu befürchten, gegebenenfalls
jedoch eine Kürzung ihrer Sozialleistungen.
5. Ausländer, die sich des Terrorismus
verdächtig gemacht haben, können schneller abgeschoben
werden. Ausländerbehörden können "Hassprediger"
ausweisen, die Verbrechen billigen. Eine Sicherungshaft, wie von
der Union gefordert, wird es nicht geben.
6. Die Klagemöglichkeiten für
Ausländer werden eingeschränkt. Ziel ist es, schneller
und unbürokratischer zu handeln. Insgesamt wird durch das
Gesetz Deutschland für Hochqualifizierte, Selbständige
und Hochschulabsolventen aus dem Ausland attraktiver. Unter
Berücksichtigung nationaler Interessen wird die Steuerung der
Zuwanderung verbessert.
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