Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Siegfried Scheffler, SPD | Cornelia Schmalz-Jacobsen, FDP >> |
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Die späte Stunde meines Redebeitrages bringt es mit sich, daß die Argumente, ob Pro oder Contra, den Reiz des Neuen verloren haben. Ich versuche trotzdem, meine bescheidene Zeit dazu zu nutzen, Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Berliner aus dem östlichen Teil unserer Hauptstadt die immer wiederkehrenden Fragen und Argumente der betroffenen Menschen, nicht nur der Berliner, vorzutragen, Fragen, aber Aussagen zugleich, die weder zu leugnen sind noch in Frage gestellt werden dürfen: Berlin als die Stadt, die über vier Jahrzehnte schmerzendes Symbol der Teilung Deutschlands und zugleich der Teilung unseres europäischen Kontinents war, Berlin, die Stadt, die stets den Willen des deutschen Volkes zur Einheit in Freiheit verkörperte, und Berlin, das heute für die Kraft und den Erfolg der Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker steht, auch stellvertretend für die, die mit einer friedlichen Revolution, begonnen in Leipzig, Dresden und vielen Städten in der damaligen DDR und auch von Anbeginn im östlichen Teil Berlins, dieses Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt haben. Das sind nicht Worte und Sätze historischer Sonntagsreden anläßlich symbolischer und höflicher Akte gegenüber Berlin, so wie Sie, meine verehrten Damen und Herren der Bonn-Befürworter es weiter gerne hätten, nein, es sind die Worte des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland anläßlich der Eröffnung der KSZE-Außenministerkonferenz am gestrigen Tag in Berlin -- ein Bekenntnis vor der Welt für Berlin, so wie auch heute vor uns Abgeordneten im Parlament. Gerade weil auch ich in dieser Stunde bei meiner persönlichen Entscheidung in die Zukunft Deutschlands und Europas blicke, muß ich in dieser Stunde auch auf Berlin blicken, Berlin, das als Stadt mit Blockade, Ultimatum, 17. Juni und, als pervertierter Steigerung eines Unrechtssystems, mit der Berliner Mauer bezahlen mußte, aber insbesondere stellvertretend für alle Regionen der damaligen DDR mit dem Leben von Frauen und Männern und unzähligen zerstörten Zukunftsträumen ganzer Generationen bezahlen mußte. Wollen wir Gesundheit, Leben und vernichtete Familiengenerationen für die Freiheit des gesamten Deutschland den Kosten und einem Umzug von Parlament und Regierung in eine schon im Einigungsvertrag festgeschriebene Hauptstadt entgegensetzen? War nicht gerade die geschichtliche Entwicklung des geteilten Berlins mit der Widerstandskraft der Berliner Unterpfand dafür, daß in den alten Bundesländern Föderalismus, Liberalismus, Parlamentarismus, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung aufgebaut wurden? Nicht nur die Politik von der Stadt Bonn aus war es, es waren auch immer die Menschen Berlins, die durch ihre Standhaftigkeit bei an den Grundfesten der Freiheit rüttelnden Krisen weltweit der Bundesrepublik zu Achtung und Anerkennung verhalfen. Auch wenn Sie heute wieder vielfach argumentieren, meine Damen und Herren der Bonn-Befürworter -- so auch Sie, Herr Waigel --, daß seit 1949 mit einer friedfertigen, leistungsfähigen und zuverlässigen Politik begonnen wurde und deshalb einmal gefaßte und mehrfach wiederholte Beschlüsse keinen Bestand haben dürften, dann stimmen Sie mir doch bitte darin zu, daß jetzt mit der erfolgreichen friedlichen Revolution, mit dem vereinigten Deutschland eine tatsächlich neue welthistorische Entwicklung für Deutschland und Europa begonnen hat. Deutschland ist nicht mehr die alte Bundesrepublik. 16 Millionen Menschen hoffen auf die wirkliche geistige, kulturelle, wirtschaftliche, soziale sowie juristische Einheit. In Kenntnis dieser Tatsache haben sich deshalb 12 von 16 Ländern, dabei alle neuen Bundesländer, für Berlin als Hauptstadt mit Sitz von Parlament und Regierung ausgesprochen, sicher auch unter dem Gesichtspunkt, Wort zu halten, statt Wort zu brechen. Denn es ist heute schon mehrfach gesagt worden: Das Versprochene hat sich nicht geändert, und auch das heute Wesentliche, der Charakter Bonns als einer provisorischen und deshalb zeitlich begrenzten Hauptstadt, war allen bekannt. Nicht den Berlinern muß man Wortbruch vorwerfen, sondern den Politikern, die permanent von einem Provisorium gesprochen, aber nie für eine Stunde X mit der Vereinigung gehandelt haben. Nein, Herr Blüm, hier haben die Politiker und -- da Sie ja die Politik mit Bonn identifizieren -- hier hat Bonn, hier hat Nordrhein-Westfalen schon vor dem Fall der Mauer die Menschen in dieser Region im Stich gelassen. Lassen Sie sich deshalb, meine Damen und Herren, in dieser historischen Stunde nicht von Ihrem persönlichen Interesse leiten, entscheiden Sie nach Ihrem politischen, in die Zukunft gerichteten Sachverstand, damit der wirtschaftliche Aufschwung in den fünf neuen Bundesländern der Politik folgt. Von einem Regierungs- und Parlamentssitz Berlin werden starke Impulse in die neuen Bundesländer ausgehen, die weitere Entvölkerung der östlichen Gebiete in den ohnehin ungleich dichter besiedelten Westteil wird so aufgehalten, und eine entgegengesetzte Bewegung wird einsetzen. Entscheiden Sie für Berlin! |
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Cornelia Schmalz-Jacobsen, FDP >> |