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274/2004
Stand: 11.11.2004
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Kontroverse über den Einsatz nichttödlicher Waffen

Auswärtiger Ausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/SUK) Der Auswärtige Ausschuss hat sich am Mittwochnachmittag in einer öffentlichen Anhörung über die Möglichkeiten zur Kontrolle nichttödlicher Waffen informiert. Es sprachen die Experten John B. Alexander (Senior Fellow Joint Special Operations University), Jürgen Altmann (Institut für Experimentalphysik III der Ruhr-Universität Bochum), Robin M. Coupland (FRCS, Medizinischer Berater beim Internationalen Roten Kreuz Genf) und Klaus-Dieter Thiel (Fraunhofer Institut für Chemische Technologie).

John B. Alexander betonte in seinem Vortrag, er vertrete nicht die offizielle US-Position, sondern äußere nur eigene Überzeugungen. Er beschäftige sich seit zehn Jahren mit dem Thema nichttödlicher Waffen. Argumente, diese Waffen beförderten ein neues Wettrüsten oder seien als mögliche Folterinstrumente Vorläufer tödlicher Waffen und verursachten selbst Todesfälle, halte er für falsch. Die Aufwendungen der Staaten für nichttödliche Waffen seien verschwindend gering im Vergleich zu denen für konventionelle Waffen. Grundsätzlich könne jede Waffe zur Folter genutzt werden - das einzige, das dafür gebraucht werde, sei die "Absicht, zu foltern". Es habe zwar Todesfälle nach dem Einsatz von Pfefferspray oder Gummigeschossen gegeben, diese seien aber nicht auf die Technologie zurückzuführen, sondern zumeist auf Anwendungsfehler. Auch bei dem Einsatz des Gases bei der Befreiung der Geiseln in einem Moskauer Theater seien deshalb so viele Opfer gestorben, weil sie im Anschluss an die Befreiung nicht richtig ärztlich versorgt worden seien. Zudem halte er die Schlagzeilen, dass 120 Menschen getötet worden seien, für falsch. "Es wäre besser gewesen, man hätte geschrieben, dass Hunderte gerettet worden sind." Oft hätten Menschen unrealistische Vorstellungen an nichttödliche Waffen - aber die Alternative sei der Einsatz tödlicher Waffen, der mehr Todesopfer fordere.

Jürgen Altmann nahm in seinem Vortrag immer wieder kritisch Bezug auf seinen Vorredner. In dessen Veröffentlichungen fänden sich viele Ungenauigkeiten oder überholte Ansätze. Generell sei die Vorstellung eines nichttödlichen Krieges unplausibel. Zudem seien herkömmliche Waffen einfacher zu beschaffen, billiger und effektiver als nichttödliche. Diese seien geeignet für den Einsatz in der humanitären Hilfe oder bei Friedensmissionen. Durch übertriebene Erwartungen an nichttödliche Waffen würden schnell internationale Abkommen in Frage gestellt. "Wer sich nur auf die eigene Überlegenheit bei der militärischen Technik konzentriert, schießt sich schnell selbst ins Bein, denn er unterschätzt die Wechselwirkung. Auch Terroristen werden diese Waffen schnell nutzen." Es mangele derzeit an fachlich fundierter Beschäftigung mit diesen Waffen: "Eine Technikfolgenabschätzung findet nicht statt."

Robin M. Coupland betonte, er teile in vielen Punkten die Position John B. Alexanders, sei selbst aber weder Befürworter noch Gegner nichttödlicher Waffen. Er habe Bedenken hinsichtlich der richtigen Bezeichnung. Auch tödliche Waffen hätten lediglich Todesraten von 45 Prozent wie Gewehre oder weniger als zehn Prozent wie Handgranaten. Es sei daher besser, von "angemessenen Waffen für bestimmte Aufgaben" zu sprechen. Er empfahl, in Waffenfragen neben den technischen und rechtlichen Aspekten immer auch die Auswirkungen auf die Menschen im Blick zu behalten.

Dr. Klaus-Dieter Thiel definierte nichttödliche Waffen als Waffen, die nicht dazu gedacht seien zu töten, sondern dazu, Opponenten kampfunfähig zu machen oder abzuwehren sowie Kollateral- und Umweltschäden abzuwehren. Auch wenn ihre Absicht nichtletal sei, könne das Ergebnis aber letal sein. Er halte nichttödliche Waffen für eine "neue Option zwischen Nichtstun - wozu auch Verhandlungen und diplomatische Bestrebungen gehören - und Schießen." Sie erlaubten ein "adäquates situatives Vorgehen" und müssten grundsätzlich im Einklang mit den internationalen Konventionen sein. Thiel plädierte für einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz, der sich nicht nur auf die Technologie konzentriere, sondern auch rechtliche, politische, medizinische, soziologische, kulturelle und psychologische Aspekte einschließe. Er vertrete den Standpunkt der Organisation "Human Rights Watch", wonach jede Waffe umfassend untersucht werden müsse. Thiel forderte die Einrichtung eines interdisziplinären Expertenteams und die Erstellung einer Road Map bei der weiteren Entwicklung und Erforschung nichtletaler Waffen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bic/hib/2004/2004_274/03
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