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Stand: 18.03.2003
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Bundestagspräsident Thierse unterbreitet den Fraktionen Vorschlag zur Abgeordnetenentschädigung

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat den Vorsitzenden der Fraktionen des Deutschen Bundestages seinen Vorschlag zur Anpassung der Abgeordnetenentschädigung und des Bemessungsbetrages für die Altersentschädigung unterbreitet. Demnach sollte die Abgeordnetenentschädigung nicht erhöht und die Altersentschädigung im Lichte der bevorstehenden Änderungen der Sozialsysteme überprüft werden. Im Wortlaut heißt es:

"§ 30 des Abgeordnetengesetzes verpflichtet mich, den Fraktionen zu Beginn einer jeden Wahlperiode einen Gesetzesvorschlag zuzuleiten, um es dem Bundestag zu ermöglichen, innerhalb des ersten Halbjahres nach der konstituierenden Sitzung einen Beschluss über die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung und des fiktiven Bemessungsbetrages für die Altersentschädigung zu fassen. Mein heutiges Schreiben dient diesem Zweck.

Lassen Sie mich mit einer kurzen Bestandsaufnahme beginnen: In der 14. Wahlperiode ist die Abgeordnetenentschädigung von (umgerechnet) 6.314 EUR auf 6.878 EUR gestiegen. Das sind 8,93 %. Die einzelnen jährlichen Steigerungsschritte belaufen sich auf durchschnittlich 3,26 %. Sieben Bundesländer haben weitaus höhere Zuwächse - bis zu 20 % - zu verzeichnen, andere liegen darunter. Der statistische Durchschnitt der Bundesländer liegt bei 9,56 % (Anlagen 1 und 2). Die Zahlen belegen sehr deutlich, so meine ich, dass der Bundestag entgegen einem populären Vorurteil in eigener Sache stets maßvoll entschieden hat. Wir müssen unter diesem Aspekt auch keinen Vergleich mit der Entwicklung anderer Einkommen scheuen. Denn im langjährigen Mittel liegt der durchschnittliche jährliche Steigerungssatz der Abgeordnetenentschädigung unter dem der Beamtenbezüge, der Tarifverdienste im öffentlichen Dienst und der Tarifverdienste in der Gesamtwirtschaft (Anlage 3), und zwar - seit Inkrafttreten des Abgeordnetengesetzes 1977 - bei 2,50 %. Die Beamtenbezüge stiegen in diesem Zeitraum um durchschnittlich 2,95, die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst um 3,12, die in der Gesamtwirtschaft um 3,1 und die Renten um 3,31 %.

Die Orientierungsgröße - ein Zwölftel der Jahresbezüge in den Besoldungsgruppen R 6/B 6 -, der sich anzunähern das Abgeordnetengesetz in § 11 Abs. 1 Satz 1 uns aufgibt, wird - wie Sie wissen - nach wie vor nicht erreicht. Selbst unter Berücksichtigung der zum 1. Januar 2003 wirksam gewordenen letzten Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung auf 7.009 EUR beträgt der Abstand immer noch 876 EUR. Besoldungserhöhungen, wie sie für dieses Jahr schon anstehen, werden die Distanz weiter vergrößern.

Natürlich ist der Orientierungsmaßstab eine politisch gesetzte Größe. Andere sind mit vertretbaren Argumenten wahrscheinlich ebenfalls vorstellbar. Ich bin jedoch weiterhin von der Richtigkeit der seinerzeit gewählten Richtgröße überzeugt, weil Abgeordnete in der Unabhängigkeit ihrer Mandatsausübung tatsächlich am ehesten mit unabhängigen Richtern zu vergleichen sind. Überlegungen des Europäischen Parlaments zu einem Statut für seine Mitglieder bestärken mich in dieser Einschätzung. Denn der Entwurf eines Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments schlägt in seinem Art. 16 als Referenzgröße ebenfalls Richter - die des Europäischen Gerichtshofes - vor, regelungstechnisch allerdings in Gestalt einer unmittelbaren Ankoppelung der Abgeordnetenentschädigung an die Richterbezüge. Die Entschädigung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments soll sich auf jeweils 50 % der Grundbezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof belaufen.

Obwohl die Orientierungsgröße für die Abgeordnetenentschädigung noch verfehlt wird, bin ich der Auffassung, dass die bevorstehenden Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen derzeit keinen Anlass für eine Erhöhung unserer Bezüge und Pensionen geben. Der Gestaltungsspielraum, den § 11 Abs. 1 Satz 1 Abgeordnetengesetz eröffnet, erlaubt es mir, diese externen Faktoren zu berücksichtigen und von einem Erhöhungsvorschlag sowohl für die Abgeordnetenentschädigung als auch für den fiktiven Bemessungsbetrag für die Altersentschädigung abzusehen.

In den kommenden Monaten werden die Systeme der sozialen Sicherung in Deutschland - allen voran die Krankenversicherung und die Rentenversicherung - in vielfacher Hinsicht neu ausgerichtet, sobald die Expertenkommissionen ihre Vorschläge unterbreitet haben. Dies wird voraussichtlich mit tiefgreifenden Veränderungen für alle gesellschaftlichen Gruppen einhergehen. Wir Parlamentarier können und dürfen uns davon nicht ausnehmen. Im Lichte der zu erwartenden Reformen sind auch Entschädigung und Altersversorgung der Abgeordneten vorbehaltlos zu überprüfen.

Dabei müssen Abgeordnetenbezüge und Abgeordnetenpensionen notwendigerweise zumeist im Kontext gesehen werden. Wollte man - um nur ein Beispiel aufzugreifen - eine Eigenbeteiligung der Abgeordneten an ihrer Altersversorgung einführen, wie beispielsweise der von mir bereits erwähnte Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sie vorsieht, so hätte dies zwangsläufig Auswirkungen auf die Abgeordnetenentschädigung, weil diese bisher für eine Eigenbeteiligung nicht ausgelegt ist. Es stellte sich also die Frage, ob sie auch bei Einschluss einer Eigenbeteiligung noch "angemessen" im Sinne des Art. 48 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz ist oder nicht.

Ich möchte künftigen Überlegungen an dieser Stelle jedoch nicht vorgreifen. Solange die Fortentwicklung der großen gesetzlichen Sozialversicherungssysteme nicht umgesetzt ist, fehlen verlässliche und notwendige Vorgaben, an denen wir den finanziellen Status der Abgeordneten prüfen und neu orientieren können. Erst wenn sie vorliegen, sind qualifizierte Schlussfolgerungen jenseits des Bereichs des Spekulativen möglich. Dann aber sollten sich, so meine ich, die Fraktionen dieser Aufgabe ohne Verzug annehmen und im Konsens nach Lösungen suchen, die sowohl dem besonderen, verfassungsrechtlich verbürgten Status der Abgeordneten gerecht werden als auch deutlich machen, dass wir Parlamentarier ebenfalls bereit sind, unseren Beitrag an Einschnitten und Opfern zu leisten. Ein Thema in diesem Zusammenhang dürfte auch das Sterbegeld oder Überbrückungsgeld, wie es im Abgeordnetengesetz für uns Abgeordnete heißt, sein. Denn hier haben wir den Bürgern bereits Opfer zugemutet und dürfen deshalb als Abgeordnete nicht zurückstehen.

Das Abgeordnetengesetz steht Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt - wie ich ihn vorschlage - übrigens nicht entgegen. Ich erwähne dies, um möglichen Einwänden gleich hier zu begegnen. Der Bundestag ist nicht gehindert, außerhalb des in § 30 Satz 1 Abgeordnetengesetz genannten ersten Halbjahres nach der konstituierenden Sitzung Gesetzesbeschlüsse zum finanziellen Status der Abgeordneten zu fassen. Das in der 14. Wahlperiode verabschiedete Zweiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 19. Dezember 2000 ist ein Beispiel dafür.

Abschließend möchte ich einen Gedanken zum Procedere der Fraktionen äußern. Mit grundlegenden Überprüfungen des Abgeordnetenstatus wurden in der Vergangenheit gerne unabhängige Kommissionen betraut.

Das war beim Bund so wie bei den Ländern. Auch im Vorfeld meines heutigen Vorschlags wurde der Ruf nach einer unabhängigen Kommission wieder laut. Nach meiner persönlichen Einschätzung erscheint die Einsetzung einer weiteren Kommission im oben skizzierten Kontext nicht zielführend zu sein. Die notwendigen Gesetzesbeschlüsse müssen wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages ohnehin selbst fassen. Auch politisch müssen wir sie verantworten. Das nimmt uns niemand ab, selbst eine unabhängige Kommission nicht. Lassen Sie uns deshalb die vorbereitenden Überlegungen im Parlament selbst und nicht außerhalb - von Dritten - anstellen. Dabei spricht nichts dagegen, externen Sachverstand - wo immer wir ihn für hilfreich erachten - von Fall zu Fall einzubeziehen."

Anlagen:
Diätenerhöhungen-Bund-Länder- 14 WP-Tabelle
Diätenerhöhungen-Bund-Länder- 14 WP-Diagramm
Entwicklung der Entschädigung, Löhne, Gehälter, Rente - Diagramm

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Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2003/pz_0303181
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