Deutsch-französisches Ausschusstreffen in Paris
Der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union, Dr. Friedbert Pflüger,teilt
mit:
Am 10. Dezember 2001 findet eine gemeinsame Sitzung der
Europaausschüsse und der Auswärtigen Ausschüsse des
Deutschen Bundestages und der Assemblée Nationale in Paris
zum Thema "Die Zukunft des erweiterten Europas" statt. Aus
Deutschland werden ca. 40 Abgeordnete daran teilnehmen.
Zum ersten Mal werden deutsche und französische Parlamentarier
eine gemeinsame Initiative vor einem Europäischen Rat
ergreifen und einen Entschließungsantrag verabschieden. Die
Vorlage eines Entschließungsantrages wurde vom
Europaausschuss des Deutschen Bundestages und der
Délégation pour l'Union Européenne der
Assemblée Nationale ausgearbeitet und wird nun unter der
Leitung der beiden Parlamentspräsidenten diskutiert und
beschlossen.
Diesem Treffen wird im Jahr 2003 zum 40. Jahrestag des
Elysée-Vertrages eine gemeinsame Plenarversammlung beider
Parlamente folgen.
DEUTSCH-FRANZÖSISCHE DEBATTE
ÜBER DIE ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN UNION
ENTWURF EINER EMPFEHLUNG
AN DEN EUROPÄISCHEN RAT VON LAEKEN
Stand: 14. Nov. 2001
Wir begrüßen die am 7. und 8. Dezember 2000 in Nizza
getroffene Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, eine
breite und offene Debatte über die Zukunft der
Europäischen Union anzuregen.
Eine erfolgreiche Erweiterung setzt eine ehrgeizige Reform der
Verträge voraus, die der erweiterten Union eine legitimere und
für die Bürger transparentere Architektur verleiht und
sie mit neuen Instrumenten zur Verfolgung der großen
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele ausstattet. Europa
muss sich selbst die Mittel an die Hand geben, sein
Gesellschaftsmodell in der Welt zu festigen, den Weg einer
stärkeren politischen Integration unter tatsächlicher
Achtung der nationalen Identitäten weiter zu verfolgen und
eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Dienste des Friedens
zu betreiben.
Wir sind der Ansicht, dass es zur Fortführung dieses
gemeinsamen europäischen Projektes tiefgreifender politischer
Reformen bedarf. Die Mitgliedsstaaten müssen zum Abschluss
eines Grundvertrags gelangen, der einen wahren Raum der Demokratie
schafft und eine effizientere gemeinsame Gestaltung der Bereiche
mit geteilter Souveränität fördert. Der Grundvertrag
könnte nach Ratifizierung von den Staats- und Regierungschefs
als Verfassung der Union verkündet werden.
Die Reform der europäischen Verträge muss ehrgeizige
Lösungen für die vier in der Erklärung im Anhang des
Vertrags von Nizza genannten Themenbereiche bieten:
- die Vereinfachung der Verträge, damit die Arbeitsweise der
Union für die Bürger verständlicher wird, und dies
insbesondere durch die Erarbeitung eines klaren
Grundvertrages;
- die Integration der Grundrechtscharta in die Verträge; die
Charta, die unsere Werte hinsichtlich Demokratie, Freiheit,
Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt,
denen wir uns zutiefst verpflichtet fühlen, soll auf diese
Weise rechtliche Verbindlichkeit erhalten;
- eine eindeutigere Aufteilung der Befugnisse zwischen der Union
und den Mitgliedsstaaten, damit ein jeder besser versteht, "wer was
macht" in Europa. Das Subsidiaritätsprinzip wird auf diese
Weise im Rahmen der Tätigkeit der Union bessere
Berücksichtigung finden. Durch diese Abgrenzung der
Kompetenzen darf jedoch weder das europäische Aufbauwerk in
Frage gestellt, noch darf dadurch die notwendige Weiterentwicklung
der europäischen Dynamik behindert werden;
- die Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente in der
europäischen Architektur auf unterschiedliche Weise:
· Bei der Gestaltung des europäischen Vertragsrechts
sind die nationalen Parlamente bislang nur über das
Ratifikationsverfahren beteiligt. Um die Stellung der nationalen
Parlamente im europäischen Integrationsprozess zu
stärken, sollte in den europäischen Verträgen
festgeschrieben werden, dass die Weiterentwicklung der
europäischen Verträge und damit des europäischen
Verfassungsrechts künftig durch einen überwiegend
parlamentarisch besetzten Konvent erfolgt.
· Die im Protokoll zum Amsterdamer Vertrag festgelegten
Bestimmungen zur Unterrichtung und Konsultation der
einzelstaatlichen Parlamente müssen präzisiert und
ergänzt werden, vor allem auf der Grundlage der Empfehlungen
der COSAC von Versailles (16. und 17. Oktober 2000);
· Da die nationalen Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte in
europäischen Angelegenheiten in erster Linie Sache der
innerstaatlichen Rechtsordnungen sind, muss das Streben nach
angemesseneren Beteiligungs- und Kontrollrechten auf dieser Ebene
verstärkt werden.
Die Reform der europäischen Verträge darf sich nicht auf
die vier in der Erklärung von Nizza aufgeführten
Themenbereiche beschränken:
Sie muss auch weitere Maßnahmen zur Verbesserung der
demokratischen Transparenz und Legitimität der Union und zur
Stärkung der Effizienz der Europäischen Institutionen
umfassen, insbesondere durch die Festlegung der zukünftigen
Rolle der EU-Organe und ihres Verhältnisses zueinander sowie
den weiteren Übergang zur Entscheidung mit qualifizierter
Mehrheit im Rat .
Wir sind davon überzeugt, dass diese ehrgeizigen Ergebnisse
nicht erreicht werden können, wenn die derzeitige Methode der
Revision der Verträge beibehalten wird. Deshalb sind wir der
Auffassung, dass die Arbeit der für 2004 geplanten
Regierungskonferenz von einem neuen Konvent (Versammlung) nach dem
Vorbild des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechtecharta
vorbereitet werden soll.
Der künftige Konvent sollte aus Vertretern der Staats- und
Regierungschefs, der einzelstaatlichen Parlamente, des
Europäischen Parlaments und der Kommission bestehen. Er sollte
je zwei Parlamentarier pro Land umfassen und die Möglichkeit
von beratungsberechtigten Stellvertretern vorsehen. Damit
bestünde in allen EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit
einer repräsentativeren Zusammensetzung der Parlamente
Rechnung zu tragen.
Der Konvent wird durch ein aus seiner Mitte gebildetes
Präsidium mit einem Präsidenten geleitet. Die
Zusammensetzung des Präsidiums muss ausgewogen sein und alle
im Konvent vertretenen Gruppen gleichberechtigt
berücksichtigen. Das Präsidium besteht aus dem
Präsidenten, und je einem Vertreter der nationalen Parlamente,
der nationalen Regierungen, der Kommission und des
Europäischen Parlaments. Der vom Europäischen Rat
benannte Präsident wird vom Konvent selbst
bestätigt.
Vertreter der Staaten, mit denen Beitrittsverhandlungen
geführt werden, müssen von Beginn an über Delegierte
aktiv an den Arbeiten des Konvents mitwirken. Spätestens mit
Unterzeichnung der Beitrittsverträge muss ihre
uneingeschränkte Beteiligung gewährleistet werden.
Ferner sollten repräsentative Kräfte der
Zivilgesellschaft und Sozialpartner über
regelmäßige öffentliche Konsultationen die Arbeiten
des Konvents begleiten.
Das Mandat des neuen Konvents bestünde darin, der
Regierungskonferenz einen einzigen Entwurf mit Vorschlägen
bezüglich des neuen Grundvertrages der Union vorzulegen. Er
soll da, wo unvermeidlich, alternative Optionen vorschlagen und
dabei deutlich machen, welche die Zustimmung der Mehrheit erhalten
haben.
Das inhaltliche Mandat des Konvents muss außerdem die
Prüfung weiterer Integrationsschritte in den Bereichen der
Zweiten und Dritten Säule umfassen. Vor dem Hintergrund der
Terroranschläge in den Vereinigten Staaten vom 11. September
wird immer deutlicher, dass Europa heute vor einer neuen
Herausforderung steht. Daher ist eine Vertiefung der Integration in
dem Bereich der GASP/ESVP sowie bei der Schaffung des Raums des
Rechts, der Freiheit und der Sicherheit dringend notwendig. Dies
kann zugleich zu einer neuen Antriebskraft im europäischen
Einigungsprozess werden.
Der Konvent soll seine Beratungen sobald wie möglich unter
spanischem Vorsitz beginnen, einen Zwischenbericht erstellen und
seinen Text eines Grundvertrages zeitnah zum Beginn der
Regierungskonferenz vorlegen. Vertreter des Konvents müssen in
die Regierungskonferenz eingebunden werden, um eine Interaktion
Konvent/Regierungskonferenz zu gewährleisten.
Schließlich meinen wir, dass die einzelstaatlichen Parlamente
in der Lage sein müssen, den Fortgang der Arbeiten bei der
Regierungskonferenz zu beurteilen. In diesem Zusammenhang fordern
wir, dass sie regelmäßig informiert und in die Arbeiten
der Regierungskonferenz, die kurz und sehr politisch sein sollte,
eingebunden werden.
Die Assemblée Nationale und der Deutsche Bundestag wollen
den Fortgang der Arbeiten im Konvent und später in der
Regierungskonferenz aufmerksam verfolgen. Die
Délégation pour l'Union Européenne der
Assemblée Nationale und der Europaauschuss des Bundestages
werden weiterhin ihre Positionen abgleichen, um eine gemeinsame
Haltung zu entwickeln.
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