Ansprache von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse am 17. Juni 2004
Heute vor 51 Jahren protestierten in Ostberlin und in der DDR
mutige Männer und Frauen gegen schlechte Arbeitsbedingungen,
Misswirtschaft und die Erhöhung der Arbeitsnormen, also eine
indirekte Senkung der Löhne durch die SED.
Doch das waren nur die Anlässe für die Massenproteste,
die spontan das ganze Land erfassten und nicht mehr und nicht
weniger forderten als Demokratie, politische Freiheit, gleiche
Rechte für alle.
Schon damals war vielen Menschen klar, dass diese politischen Ziele
nur unter der Bedingung der deutschen Einheit zu erreichen
waren.
Dieser Aufstand hat viele Opfer gekostet; für die Einen wurde
jegliche berufliche Zukunft abgeschnitten, andere mussten jahrelang
ins Gefängnis, viele, zu viele bezahlten mit ihrem Leben
für ihre Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und
Einheit.
Wir gedenken der Opfer des 17. Juni 1953.
Erst seit die deutsche Einheit 36 Jahre später von einer
anderen Generation Ostdeutscher erreicht worden ist, die dieselbe
Sehnsucht, dieselben politischen Ziele hatten, werden wir den
Menschen, die diesen Aufstand gewagt haben, wirklich gerecht. Sie
waren geistige und politische Vorgänger und mutige Vorbilder
der Bürgerbewegung des Herbstes von 1989.
Sie lehren uns, dass Freiheit und Demokratie nicht von selbst
entstehen, sondern erkämpft werden müssen; dass Freiheit
und Demokratie die Prinzipien politischer Ordnung sind, die mehr
als alle anderen dem Menschen gemäß sind.
Sie lehren uns hoffentlich auch, dass Freiheit und Demokratie keine
Selbstverständlichkeiten sind, sondern immer wieder neu des
Engagements bedürfen, immer wieder neu gelernt und verteidigt
werden müssen.
Auch deshalb wollen wir die Männer und Frauen, die Helden und
Opfer des 17. Juni 1953 nie vergessen.
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