Petitionsausschuss, Kurzfassung des Jahresberichtes 1998 / I
I. Allgemeine Bemerkungen über die Ausschussarbeit
1. Schwerpunkte der Eingaben
Nach wie vor ist das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mit 5.292 Petitionen das Ressort mit den bei weitem meisten Eingaben. Es folgen mit einem etwa gleich hohen prozentualen Anteil am Gesamtaufkommen der Eingänge das Bundesministerium des Inneren (BMI) mit 1.938 Petitionen und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit 1.813.
Die Zahl der Sammelpetitionen, also der Petitionen, die mit einer Unterschriftenliste eingereicht werden, betrug im Jahr 1998 1.143 Eingaben. 42.556 Massenpetitionen, also Eingaben in größerer Zahl mit demselben Anliegen, deren Text ganz oder im Wesentlichen übereinstimmt (z. B. Postkartenaktionen), erreichten den Petitionsausschuss. Bei Massen- und Sammelpetitionen dominierten die Themenbereiche gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, Ausbau der Bundeswasserstraßen, Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, Fragen des Tierschutzes und wie im Vorjahr, die Forderung nach Verschärfung der Strafmaßnahmen bei Sexualverbrechen.
Die Anzahl der Bitten zur Gesetzgebung, in denen die Bürgerinnen und Bürger dem Parlament Vorschläge zur Einführung oder Änderung gesetzlicher Bestimmungen vorschlagen, betrug im Jahr 1998 6.186. Nachwievor liegt die Anzahl der Beschwerden deutlich über 10.000 pro Jahr.
2. Verteilung der Petitionen auf die Bundesländer
Sehr unterschiedlich war die Anzahl der Petitionen, die aus den einzelnen Bundesländern eingingen. Auf eine Million Einwohnerinnen und Einwohner des jeweiligen Landes bezogen war Bayern das Land mit den wenigsten Eingaben, nämlich 114. Nordrhein-Westfalen führte in den alten Bundesländern mit 177 Eingaben pro eine Million der Bevölkerung die "Tabelle" an. Demgegenüber fielen die Zahlen in den neuen Bundesländern erheblich höher aus. Die Spanne reichte von Brandenburg mit 287 Petitionen bis Thüringen mit 467 Petitionen, gerechnet auf eine Million Bürgerinnen und Bürger. Nur geringfügig eingabefreudiger war die Bevölkerung von Berlin mit 468 Eingaben auf eine Million Berlinerinnen und Berliner.
3. Frauenspezifische Petitionen
Wie bereits in den Vorjahren ist auch im Berichtszeitraum den Petitionen zum Thema "Gleichstellung von Frau und Mann" viel Beachtung geschenkt worden.
Dem Ausschuss haben zahlreiche Petitionen zum Thema frauenspezifische Asylgründe vorgelegen. Flüchtlingsinitiativen und Frauenverbände rügten, daß im Asylverfahren bislang die geschlechtsspezifische Verfolgung zu wenig Berücksichtigung finde. Zudem solle das Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge (BAFl) die Schulung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessern und bei asylsuchenden Frauen möglichst nur weibliche Anhörpersonen einsetzen.
Darüber hinaus wurden Abschiebeschutzregelungen jenseits des Asyls gefordert. Alleinstehende Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden waren und dadurch den Schutz in ihren Familien im Herkunftsland verloren, sollten in bestimmte Länder nicht mehr abgeschoben werden dürfen. Bei der Beratung dieser Petitionen hatte der Ausschuss festgestellt, daß zwar in letzter Zeit insbesondere im Verfahren vor dem Bundesamt eine Reihe von Verbesserungen durchgeführt wurden, gleichwohl seien weitere Anstrengungen erforderlich, um Opfern von geschlechtsspezifischen Verfolgungen einen verbesserten Schutz zu gewähren.
4. Sitzungsbetrieb und Wahrnehmung von Befugnissen
In den 16 Sitzungen des Petitionsausschusses haben die Ausschussmitglieder das Bestreben demonstriert, ein einheitliches, fraktionsübergreifendes Votum zu erreichen. Gleichwohl divergierten die Meinungen zu einzelnen Eingaben aufgrund grundsätzlich anderer gesellschaftspolitischer Grundüberzeugungen. Deshalb wurden von den in der Abstimmung unterliegenden Fraktionen nicht selten Änderungsanträge für die Beratung der Petition im Plenum angekündigt. Anscheinend war dies für viele Petentinnen und Petenten nicht ganz verständlich, denn sie meinten, die Formel "der PetitionsAusschuss empfiehlt" stehe für eine einheitliche Meinung des Ausschusses. Dies ist aber gerade nicht immer der Fall.
Zehn Mal hat der Ausschuss im Berichtszeitraum von den ihm nach dem Gesetz nach Art. 45c des Grundgesetzes eingeräumten Befugnissen Gebrauch gemacht, indem er sieben Anhörungen von Regierungsvertreterinnen und -vertretern und zwei Ortsbesichtigungen sowie eine Akteneinsichtnahme durchgeführt hat.
In zahlreichen Petitionen ist beispeilsweise an den Ausschuss der Wunsch herangetragen worden, neben den regulären Raststätten an Bundesautobahnen auch Imbissstände an unbewirtschafteten Parkplätzen zu erhalten, die es zur Zeit insbesondere in den neuen Bundesländern gibt. Eine Übereinkunft des Bundesministeriums für Verkehr mit den Bundesländern sah vor, derartige Imbissstände zu schließen. In den Petitionen war geltend gemacht worden, dass insbesondere für Berufskraftfahrer, aber auch für finanziell schlechter gestellte Familien die Imbissstände eine besonders preisgünstige Möglichkeit böten, sich auf Reisen zu verpflegen. Der Ausschuss schloss sich dieser Argumentation an und überwies die Petition der Bundesregierung - dem Bundesministerium für Verkehr (BMV) - zur Erwägung. Nachdem der Bericht des BMV zu dem Beschluss den Ausschuss nicht zufriedenstellen konnte, wurde der Parlamentarische Staatssekretär im BMV, Johannes Nitsch, zu einer Anhörung geladen. Er erklärte, daß die Bundesregierung zwar im Einvernehmen mit der überwiegenden Zahl der betroffenen Bundesländer grundsätzlich an einer Schließung der Imbissstände festhalten wolle, dass hierfür aber ein - insbesondere für die Kioskbetreiber wichtiger - sozialverträglicher Zeitrahmen ins Auge gefasst sei. Zudem habe er in Aussicht gestellt, auch die regulären bewirtschafteten Rastanlagen zu verpflichten, preisgünstigere Angebote bereitzuhalten, um den Wünschen aller Bevölkerungsschichten gerecht zu werden. Schließlich sei auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen, neben regulären Rastanlagen weiter Imbisskioske zuzulassen, wenn sich ein zusätzlicher Bedarf ergebe. Mit diesem Ergebnis hat sich der Ausschuss einverstanden erklären können und hat beschlossen, das Petitionsverfahren als beendet anzusehen.
Im Rahmen der Möglichkeiten, die nach den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zur Erledigung einer Petition in Betracht kommen, sind die Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse von besonderer Bedeutung. Ein Beschluss, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, ist ein Ersuchen des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, dem Anliegen des Petenten zu entsprechen. Lautet der Beschluss, die Petition der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen, so handelt es sich dabei um ein Ersuchen des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, das Anliegen des Petenten noch einmal zu überprüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen.
Am 1. Januar 1998 sind 11 Fälle, in denen Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung und 108 Fälle, in denen die Petition der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen gewesen. Davon sind bis zum 31. Dezember 1998 4 Berücksichtigungsfälle und 26 Erwägungsfälle positiv erledigt worden. Ein Berücksichtigungsfall und 47 Erwägungsfälle aus der Zeit vor Beginn des Jahres 1998 sind mit der Mitteilung abgeschlossen worden, dass dem Anliegen auch nach nochmaliger Prüfung nicht habe entsprochen werden können. Die übrigen Petitionen - 6 Berücksichtigungs- und 35 Erwägungsfälle - aus der Zeit vor dem 1. Januar 1998 sind im Jahre 1998 noch nicht abgeschlossen werden. Im Jahre 1998 hat der Deutsche Bundestag 8 Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung und 61 zur Erwägung überwiesen. Von den 1998 zur Berücksichtigung oder zur Erwägung überwiesenen Petitionen sind während des Berichtszeitraums kein Berücksichtigungsfall, aber 20 Erwägungsfälle positiv erledigt worden. Zu den letztgenannten hat beispielsweise eine Petition gehört, die von rund 5.000 Bürgerinnen und Bürgern des Freistaates Sachsen eingereicht und sich über die anhaltende Luftverschmutzung im Erzgebirge durch nordböhmische Kraftwerke und Industrieanlagen beschwert hat. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat dem Ausschuss zwar ausführlich die Hintergründe und Maßnahmen zur Eindämmung der Misere mitgeteilt, die Mitglieder des Petitionsausschusses haben auch die von der deutschen Seite erbrachten finanziellen Leistungen, die Fördermaßnahmen der EU, sowie die Zusagen der tschechischen Seite begrüßt, der Ausschuss ist aber der Auffassung gewesen, dass weitere Schritte zur Lösung noch bestehender Probleme dringend erforderlich sind. Trotz der vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der tschechischen Regierung bedürfe es nach Ansicht des Ausschusses weiterer Anstrengungen und Aktivitäten, um im Sinne des Anliegens Abhilfe zu schaffen. Der Ausschuss hat deshalb grundsätzlich das Anliegen der Petenten befürwortet und empfohlen, die Petition der Bundesregierung zuzuleiten, um nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen. In ihrer Antwort auf diesen Erwägungsbeschluss hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass sie die in der Petition angesprochenen Fragen wiederholt mit Vertretern der Regierung der Tschechischen Republik erörtert und erreicht habe, dass in Nord-Böhmen in den letzten Jahren mehrere Umweltschutzpilotprojekte in Angriff genommen worden seien. Die bilaterale Zusammenarbeit im Umweltschutzsektor habe sich deutlich verbessert und die von der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellten Mittel hätten dazu beigetragen, insbesondere die Schwefeldioxidbelastungen im deutsch-tschechischen Grenzgebiet spürbar zu verringern. Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität im südlichen Sachsen würden mit der tschechischen Regierung verhandelt. Auch wenn die Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität aufwendig und zeitraubend seien, habe man den richtigen Weg eingeschlagen und werde diesen im Sinne der Anliegen der Petenten weiterverfolgen. Der Ausschuss hat die Antwort der Bundesregierung zur Kenntnis genommen und den positiven Abschluss der von so zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern unterstützten Petition begrüßt.
Positiv abgeschlossen wurde ferner eine Petition, die sich mit Fragen der Krankenversicherung der Rentner befasste und der 13 sachgleiche Anliegen angeschlossen waren. In der Eingabe war vorgetragen worden, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei Frauen wirke sich bei der Beitragsberechnung zur gesetzlichen Krankenversicherung derart negativ aus, dass die Berechtigte oftmals weniger an Rente ausgezahlt bekomme, als wenn die Kindererziehungszeit nicht berücksichtigt worden wäre. Das BMG hat in einer vom Ausschuss angeforderten Stellungnahme mitgeteilt, daß die beitragsfreie Mitversicherung Familienangehöriger in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Ausnahme vom Grundsatz der eigenen Beitragspflicht darstelle. Die Beitragsfreiheit der Familienangehörigen müsse jedoch immer von den übrigen Mitgliedern der Solidargemeinschaft der Krankenversicherung der Rentner mitfinanziert werden. Um die Solidargemeinschaft vor einer finanziellen Überforderung zu schützen, könne dem beitragsfreien Versicherungsschutz im Rahmen der Familienversicherung nur unterstützende Bedeutung in den Fällen zukommen, in denen nur ein Einkommen unterhalb der gesetzlich festgelegten Grenze von einem Siebtel der Bezugsgröße erzielt werde. Auf das Vorhandensein solcher Einkommensgrenzen könne keinesfalls verzichtet werden. Der Ausschuss ist zwar den Äußerungen des BMG gefolgt, hat jedoch Änderungen des geltenden Rentenrechts insoweit für erforderlich gehalten, als die Rentenerhöhungen durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, die im Rentenrecht vorgenommen worden sind, durch die Beitragszahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder zunichte gemacht wurden. Er vertrat die Auffassung, dass bestehende ungünstige Auswirkungen der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungsjahren zum Zeitpunkt der Änderung des Rentenrechts noch nicht absehbar gewesen seien und beschloss, die Petition der Bundesregierung, dem BMG und dem BMA, zur Erwägung zu überweisen, um nach Möglichkeiten der Abhilfe im Sinne der Petenten zu suchen. In ihrer Antwort habe die Bundesregierung mitgeteilt, dass sie die Auffassung des Petitionsausschusses teile, daß Rentenzahlungen, die auf die Anrechnung von Kindererziehungszeiten zurückzuführen seien, nach Möglichkeit nicht zu Nachteilen in der gesetzlichen Krankenversicherung führen sollten. Zu diesem Zweck sei Paragraph 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch dahingehend geändert worden, dass der auf die Anrechnung von Kindererziehungszeiten entfallende Teil des Rentenzahlbetrags bei der Anwendung der Einkommensgrenze für die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht berücksichtigt werde. Diese Bestimmung konnte noch zum 1. Juli 1998 in Kraft treten, was der Petitionsausschuss ganz im Sinne der Petenten sehr begrüßt habe.
Am Ende des Berichtsjahres sind von den 1998 zur Berücksichtigung oder zur Erwägung überwiesenen Petitionen 8 Berücksichtigungsfälle und 39 Erwägungsfälle noch nicht abgeschlossen gewesen. Unter Einbeziehung der Fälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1998 sind am Ende des Berichtsjahres insgesamt 14 Berücksichtigungs- und 74 Erwägungsfälle noch nicht erledigt gewesen.
Insgesamt ist somit festzustellen, daß die Bundesregierung im Berichtszeitraum in einem Berücksichtigungsbeschluss und 49 Erwägungsbeschlüssen nicht dem Votum des Petitionsausschusses gefolgt ist, womit in etwa der Stand des Vorjahres erreicht wurde.
Ungeachtet der Tatsache, daß Beschlüsse des Petitionsausschusses rechtlich keine Bindungswirkung gegenüber der Bundesregierung entfalten, achtet der Petitionsausschuss im Interesse einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit der Volksvertretung darauf, daß die Bundesregierung alle ihr gebotenen Mittel und Möglichkeiten ausschöpft, um ihr zur Berücksichtigung oder Erwägung überwiesenen Petitionen nachzukommen. Im Hinblick darauf ist zu Beginn der 14.Wahlperiode feststellbar, dass die neue Bundesregierung diesbezüglich eine durchaus positive Bilanz zu verzeichnen hat.
5. Anzahl der Eingaben
16.994 neue Eingaben wurden dem Petitionsausschuss im Jahre 1998 zugeleitet. Die Gesamtzahl der abschließend behandelten Petitionen lag mit 21.237 allerdings deutlich höher. Dies erforderte 64.561 Schreiben an die Petenten, Abgeordnete und die Bundesregierung.