Die Gesetzgebung des Bundes
von Rupert Schick und Hermann J.
Schreiner
17. Auflage 2003
Jedes Gemeinwesen braucht feste Regeln, nach denen es bestehen und sich friedlich fortentwickeln kann. Die zahllosen unterschiedlichen Wünsche, Vorstellungen und Interessen der Bürger sollen sich in Freiheit entfalten und verwirklichen können - aber nicht in Freiheit auf Kosten des anderen oder des Schwächeren, sondern in geordnetem Nebeneinander und Miteinander mit dessen Freiheit und dessen Interessen. Also muss es allgemein geltende Regeln geben, bindend für jeden Bürger, bindend aber auch für das Handeln der Behörden.
Welche Regeln sind das, und wer stellt sie auf? Die bedeutendsten davon enthält die Verfassung, bei uns das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Hier sind die Grundrechte niedergelegt, teils Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe - wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder die Freiheit der Wahl und Ausübung des Berufs -, teils politische Mitwirkungsrechte wie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit oder Parteienfreiheit. Hier finden sich so wichtige Garantien wie die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und, ganz am Anfang in Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz, die Bindung aller staatlichen Gewalt an die unantastbare Menschenwürde.
Zugleich enthält das Grundgesetz alle wesentlichen Vorschriften über den Aufbau des Staates und die Grundlagen seines Handelns. Dazu gehören so entscheidende Bestimmungen wie die Bindung der vollziehenden Gewalt - also das Handeln der Behörden - an Gesetz und Recht. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, sondern sie ist auch Rechtsstaat, und damit sind wir bei unserem Thema: Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass Ämter und Behörden nicht willkürlich handeln, sondern auf der Grundlage jener allgemein bindenden Regeln, von denen eingangs die Rede war. Alles Handeln der öffentlichen Gewalt ist durch Gerichte nachprüfbar, der Bürger kann Widerspruch einlegen und Klage erheben und so um sein Recht kämpfen, wenn es ihm verweigert werden sollte. Dafür sind Maßstäbe nötig, nach denen die Gerichte zu entscheiden haben, und die finden sich in den Gesetzen.
Die Gesetzgebung ist daher im modernen demokratischen Staat eine äußerst wichtige Angelegenheit. Die wesentlichen Vorschriften darüber enthält bereits das Grundgesetz. Hier ist das Gesetzgebungsverfahren - das im folgenden näher geschildert und erklärt werden soll - in den Grundzügen vorgeschrieben, weil nur so sichergestellt werden kann, dass ein korrektes Verfahren abläuft, das durch seine Öffentlichkeit jederzeit die Kontrolle und entsprechende Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht.
Dies wiederum ist der Grund, warum Gesetze nur vom Bundestag beschlossen werden dürfen: Er verhandelt in öffentlicher Debatte - Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichten darüber -, und die einzigen Personen, die an dem Beschluss über jedes Gesetz teilnehmen dürfen, sind die zum Bundestag gewählten Abgeordneten (nach dem Bundeswahlgesetz regulär 598, wegen Überhangmandaten derzeit 603 an der Zahl). Weil es bei den Gesetzen um die für das ganze Volk verbindlichen Regeln geht, müssen sie von der Volksvertretung behandelt und beschlossen werden.
Deshalb bestimmt Artikel 77 Abs. 1 des Grundgesetzes: "Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen". Zwar dürfen und sollen an der Erarbeitung des Inhaltes der Gesetze viele mitwirken, aber verantwortet müssen sie von denen werden, die dafür gewählt wurden. Gewählt wird auf Zeit (die Wahlperiode des Bundestages beträgt 4 Jahre). Also endet das Mandat der Abgeordneten nach dieser Zeit, und eine neue Entscheidung durch Wahl steht an, mit der die bisherige Regierung mit ihrem Gesetzgebungsprogramm vielleicht bestätigt, vielleicht aber auch beseitigt werden kann. Das ist das Entscheidende am demokratischen Staat: Man kann eine Regierung auf friedliche Weise wieder loswerden und durch eine andere ersetzen; in undemokratischen Regimen kann man das nicht.
Im Rechtsstaat wird also praktisch mit Gesetzen und durch Gesetze regiert, und dementsprechend eng ist der Zusammenhang zwischen Gesetzgebung und Politik. Deshalb ist es nützlich, das Gesetzgebungsverfahren und die daran Beteiligten etwas näher in Augenschein zu nehmen.