Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung "Künstler und ihre Werke in den Bauten des Deutschen Bundestages Fotografien von Jens Liebchen"
22. September 2003, 18.30 Uhr
im Paul-Löbe-Haus, Ausstellungsfläche West (Nord)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Liebchen,
meine Damen und Herren,
liebe Gäste
es ist ein spannender Moment, wenn Kunstwerke den Ort ihrer
Entstehung verlassen. Oft entfalten sie ein überraschendes
Eigenleben, sobald sie vom Atelier des Künstlers an ihren
neuen "Wirkungsort" gebracht worden sind. Sie erobern sich
unaufdringlich und zugleich unaufhaltsam ihren Raum, zuweilen in
einer Weise, wie sie selbst dem Künstler nicht vorgeschwebt
hat. Jens Liebchen hat jenen kostbaren Augenblick erfasst, in dem
sich Künstler und Werk trennen. Er hat den Moment eingefangen,
in dem sie noch in enger Zwiesprache verbunden sind, die Werke aber
schon ihr Eigenleben zu entfalten beginnen.
Dieser im Bild festgehaltene Augenblick der Trennung offenbart
zugleich auch eine ungewöhnliche Annäherung: die des
Künstlers an den politischen Raum. Nie zuvor hat sich ein
Parlament Künstlern so weit geöffnet, nie zuvor haben
sich so viele bedeutende Künstler auf einen so intensiven
Dialog mit der Politik eingelassen.
Die Annäherung zweier so unterschiedlicher Sphären wie
der Kunst und der Politik ist naturgemäß nicht frei von
Spannungen. Der Künstler, der den politischen Raum betritt,
will ihn sich erobern, will ihm nicht einfach dienen. Der
politische Akteur wiederum wird dieser Unbedingtheit
künstlerischen Gestaltungswillens zunächst einmal mit
Zurückhaltung begegnen. Solche Spannungen müssen
ausgetragen und ausgehalten werden. In den Fotografien von Jens
Liebchen werden sie sichtbar, ja geradezu spürbar.
Der Deutsche Bundestag hat viele Jahre lang einen solch
spannungsreichen Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern
geführt. Als Vorsitzender des Kunstbeirates war ich an vielen
Beratungen und Entscheidungen über die architekturbezogene
Kunst in den Bundestagsbauten beteiligt, und ich kann Ihnen
versichern, dass dort heftig diskutiert und gestritten wurde.
Am Ende stand die Entscheidung für jene Kunstwerke, die heute
bereits ein selbstverständlicher Teil der Parlamentsbauten und
damit auch der Selbstdarstellung des Bundestages sind. Die
Anwesenheit dieser Kunstwerke spiegelt das Selbstverständnis
des Deutschen Bundestages wider, seine Offenheit für
Phänomene der Kultur und die Erfahrung von der Identität
stiftenden Kraft der Kunst. Die Abgeordneten, aber auch die
zahlreichen Besucher erleben diese Kunstwerke als eine
eindringliche Ansprache des Ästhetischen an das Pragmatische,
als eine ständige Herausforderung zur Besinnung über die
Wechselwirkung von Kunst und Politik, über die Verantwortung
des Politischen für Humanisierung und Identitätsstiftung
durch die Kunst.
Dieser Gewinn durch die Begegnung mit der Kunst ermutigt den
Bundestag und den Kunstbeirat, den Dialog mit den Kunstschaffenden
fortzusetzen und zu vertiefen. Dieses Vorhaben werden wir in
weiteren Ausstellungen verwirklichen, in zeitlich begrenzten
Installationen und in Diskussionveranstaltungen zu Fragen
künstlerischen Schaffens. Schon morgen wird hier im Hause im
Rahmen des Kunstherbstes 2003 über die Situation der
Künstler in Berlin diskutiert. Der Deutsche Bundestag
unterstreicht damit zugleich, dass er seine Aufgabe als Mitstreiter
im Kulturleben der Hauptstadt ernst nimmt. Das oberste
Verfassungsorgan eines Kulturstaates ist auch in Zeiten knapper
öffentlicher Mittel der Förderung der Kunst und Kultur in
besonderem Maße verpflichtet.
Freilich, dieses Bewusstsein musste erst wachsen, es musste sich
allmählich entwickeln. Dazu haben die hitzigen, aber
ergiebigen Dialoge zwischen Künstlern und Abgeordneten, wie
wir sie geführt haben, ganz wesentlich beigetragen. Ich bin
froh, dass die Künstler, deren Porträts und Werke wir
heute hier betrachten, den Schritt in den politischen Raum gewagt
haben. Dem Fotografen Jens Liebchen ist es gelungen, diesen Vorgang
dokumentierend und interpretierend zu begleiten und mit seinen
Fotografien eine neue, vertiefende Sicht auf die schon vertrauten
Kunstwerke zu eröffnen.
Ich gratuliere Jens Liebchen zu seiner fotografischen, zu seiner
künstlerischen Leistung, von der wir in dieser Ausstellung nur
einen kleinen Teil zu sehen bekommen. Aber diese Auswahl vermittelt
einen authentischen Einblick in den ästhetischen und
politischen Habitus der Künstlerpersönlichkeiten, die
sich hier zu einer imaginären Versammlung eingefunden haben
und den Dialog mit dem Betrachter genauso wenig scheuen wie die
Begegnung zwischen Kunst und Politik.
Mit diesem Vorgriff habe ich hoffentlich gespannte Erwartungen
geweckt. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur
Ausstellung "Künstler und ihre Werke in den Bauten des
Deutschen Bundestages".
Ich wünsche Ihnen allen spannende Momente mit den
ungewöhnlichen Künstlerportraits von Jens Liebchen und
darf Herrn Dr. Kaernbach bitten, kurz in die Ausstellung
einzuführen.
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