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Siegfried Löffler
Die Chancen von Reformen
Ein Plädoyer für die Agenda
2010
Die Agenda 2010 ist in letzter Zeit etwas in den Hintergrund
getreten, dominieren doch gegenwärtig die kontroversen
Diskussionen über die Zukunft der gesetzlichen Kranken- und
Rentenversicherung. Letzten Endes gibt es aber auch hier einen
ursächlichen Zusammenhang mit der Agenda 2010, geht es doch
darum, im Blick auf die schlechte Wirtschaftslage und die
demografische Entwicklung den stark ausgeweiteten Wohlfahrtsstaat
auf ein ausreichendes, finanzierbares Maß zu reduzieren. Damit
stellt sich auch die Frage einer Novellierung des Arbeits- und
Sozialrechts.
Der Berliner Arbeitsrechtler Klaus Adomeit hält
darüber hinaus ein Überdenken der
höchstrichterlichen Rechtsprechung für geboten. Der auch
international geschätzte Wissenschaftler hatte nie den
Ehrgeiz, "im Strom zu schwimmen", er eckte oft bei Kollegen und
Verbänden als "Querdenker" an. Diesem Ruf wird er in einem
spannend geschriebenen, auch für Laien verständlichem
Buch zur Agenda 2010 gerecht, in dem er beklagt, dass die aus
seiner Sicht positiv zu beurteilende Reform so viel
Widerständen begegnet.
Adomeit hat schon vor 20 Jahren festgehalten, dass der
fortgesetzte Ausbau des Sozialstaats nicht unbedingt den Interessen
der Arbeiter und Angestellten diente. Als das Bundesarbeitsgericht
(BAG) vor zehn Jahren in Abänderung seiner Rechtsprechung dem
Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf
Unterlassung von Maßnahmen, die Mitbestimmungsrechte
verletzen, zugestand, löste das starke Kritik bei den
Arbeitgebern und auch in der Fachliteratur aus.
Zu den stärksten Kritikern gehörte Adomeit, der von
1962-1964 Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BAG,
anschließend Assistent des ersten BAG-Präsidenten
Nipperdey an der Universität Köln war und bis zur
Jahrtausendwende Rechtstheorie, Arbeitsrecht und Bürgerliches
Recht an der FU Berlin lehrte. Er hält angesichts der
veränderten Wirtschaftslage und der Notwendigkeit, den
Sozialstaat zurückzufahren, die "überbordende"
Rechtsprechung des BAG für korrekturbedürftig.
Adomeit beklagt, dass das Arbeitsrecht nicht dem Anspruch
gerecht werden konnte, "Schutzrecht für Arbeitsplatz-Besitzer"
zu sein. Die Agenda mute dem Arbeitsrecht "ein neues Denken zu, weg
von wohlfahrtsstaatlicher Sicherheit, hin zu stärkerer
betriebswirtschaftlicher Orientierung, weil so die Chancen für
Stellenbewerber, einen neuen Job zu finden, steigen wie für
Berufstätige, ihren Arbeitsplatz zu halten". Er empfiehlt,
"über die Konzeption für ein neues, postreformatorisches
Arbeitsrecht" nachzudenken. Das Arbeitsrecht habe "keinen
geringeren Reformbedarf als das Sozialrecht oder das
Steuerrecht".
Adomeit hat immer Mut gehabt, gegen den Strom zu schwimmen. Als
es 1986 um die Neutralität des Staates bei Arbeitskämpfen
ging und er einen vom DGB dagegen organisierten Proteststreik als
nicht zulässig wertete, wurde er von einem führenden
DGB-Funktionär als "Minenhund der Reaktion" bezeichnet. Zwei
Jahre vorher hatte er die Selbsthilfeaktion norddeutscher
Werftarbeiter für gerechtfertigt gehalten, mit fünf
Prozent ihrer Löhne und Gehälter als Darlehen einen
Beitrag zur Rettung des Unternehmens zu leisten. Auf seinen
Hinweis, dass es bei ökonomischer Überforderung von
Betrieben durch Tarifregelungen Möglichkeiten der
betrieblichen Selbsthilfe, "die nicht einem Veto-Recht der
Tarifparteien unterliegen", geben müsse, reagierte die
militante Kreuzberger Gruppe "Klasse gegen Klasse" mit einem
Sprengstoffanschlag, der die Außentür seines Hauses
zerstörte.
Der 1994 mit dem Ludwig-Erhard-Preis für
Wirtschaftspublizistik Ausgezeichnete unterstützt jetzt den
Bundeskanzler in dem Bemühen, mit der Agenda 2010 jenen Ruck
zu bewirken, den Roman Herzog vor sieben Jahren forderte. Er
empfiehlt der bürgerlichen Opposition - der er
grundsätzlich näher steht als der Regierungskoalition -,
nicht auf ein Scheitern zu spekulieren, sondern "aus
übergeordneten Gesichtspunkten im Sinne des Gemeinwohls jede
Unterstützung zu gewähren".
Ein spannend geschriebenes, mit vielen Fakten angereichertes
Buch, das eine wertvolle Hilfe bei der Beschäftigung mit der
nicht immer transparenten Agenda 2010 ermöglicht. Siegfried
Löffler
Klaus Adomeit
Die Agenda 2010 und das Arbeitsrecht.
Eine Reform im Kampf gegen Widerstände.
Olzog Verlag München 2004; 132 S., 20,- Euro
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