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Interview mit Andreas Pfitzmann
Die Wissenschaft stößt heute in
gefährliche Dimensionen vor
Interview mit Andreas Pfitzmann,
Informatik-Professor an der Technischen Universität
Dresden
Über die Gefahren der
Überwachungsgesellschaft und über die Verantwortung der
Forscher für die Freiheit in Politik und Gesellschaft sprach
Hans-Otto Sattler mit dem Dresdner Wissenschaftler.
Das Parlament
Fühlen Sie sich persönlich noch
frei, wird Ihnen beim Blick in die Zukunft manchmal
mulmig?
Andreas Pfitzmann Ich selbst fühle mich
noch ziemlich frei. Lange Zeit hatte ich, um ein Beispiel zu
nennen, überhaupt keine Kreditkarte, um meine
Geldgeschäfte nicht registrieren zu lassen. Eines Tages habe
ich dann doch das Handtuch geworfen. Nach wie vor benutze ich aber
keine Bankautomaten, ich kenne nicht einmal meine PIN-Nummern.
Natürlich spüre ich den Überwachungs- und
Kontrolldruck, der von den neuen Techniken ausgeht. Aber als
Dickkopf, der ich bin, denke ich, diesen Tendenzen weiterhin recht
gut widerstehen zu können. Beim Blick auf die Gesellschaft bin
ich allerdings pessimistischer. Ob Kreditkarten, Kundenkarten oder
manch anderes, viele Bürger sehen bei diesen Dingen nur die
Bequemlichkeit und lassen die Gefahren außer acht: zunehmende
Überwachung und Verlust an persönlicher
Autonomie.
Das Parlament
Überwachungskameras allerorten, die
Registrierung und damit die Kontrolle der Kommunikation im
Internet, Chips in der Haut, die Satellitenüberwachung des
Straßenverkehrs, die bevorstehende biometrische Erfassung
aller Bürger, auf Chipkarten gespeicherte Krankheiten, die
Liste ließe sich fortsetzen: Angesichts dieser Entwicklung hin
zur Big-Brother-Gesellschaft wird es doch wohl dazu kommen, dass
kaum noch eine menschliche Lebensaktivität vom elektronischen
Zugriff verschont bleibt.
Pfitzmann Bei einer Fortschreibung dieses
Trends nähern wir uns in der Tat einer Gesellschaft, in der
nahezu alles überwacht wird. Da zeichnen sich durchaus
totalitäre Tendenzen ab. Aber Geschichte und Lebenserfahrung
lehren, dass es irgendwann Brüche und Widersprüche gibt.
Die Bequemlichkeit und das Komfortbedürfnis der Menschen sind
ohne Zweifel starke Bündnispartner der
Überwachungsgesellschaft. Von Voltaire stammt der Satz, dass
glückliche Sklaven die schlimmsten Feinde der Freiheit sind.
Aber eines Tages wird den Menschen die Entmündigung bewusst,
und dann wächst die Bereitschaft zum Aufbegehren. Die
Informationstechnologien werfen ja auch selbst Probleme auf. Nehmen
wir die Handys, die immer bessere Bilder zu machen vermögen:
Es ist absehbar, dass man in Unternehmen beim Betreten sensibler
Bereiche diese Mobiltelephone wird abgeben müssen. Zudem sind
wir von einer absoluten technischen Perfektion Gott sei Dank noch
weit entfernt. Man denke nur an das Desaster bei der LKW-Maut.
Überdies ist es eine Illusion, von der Technik die Lösung
menschlicher und gesellschaftlicher Konflikte zu erwarten. Meine
Botschaft an die Studenten lautet so: Wir sollten eine Technik
entwickeln, die keinen zusätzlichen Streit in der Welt
provoziert.
Das Parlament
Wo sehen Sie denn die größten
Gefahren heraufziehen?
Pfitzmann Da sind zum einen die rasanten
Fortschritte bei der Mobilkommunikation zu erwähnen. Die immer
perfekteren Handys, die vielleicht auch in Hörgeräte und
dann sogar direkt ins Ohr implantiert werden können,
erleichtern die Erstellung von Bewegungs- und
Kommunikationsprofilen. In einem solchen Fall klappt übrigens
im Parlament keine Intrige mehr, und das dürfte auch
Politikern nicht gefallen. Eine andere Bedrohung von Freiheit und
Autonomie geht von dem aus, was man mit "Smart-Environment"
umschreiben kann: Der Alltag wird von der Wohnung mit elektronisch
gesteuerten Kühlschränken, Vorhängen und Heizungen
bis zur satellitengelenkten Autofahrt immer bequemer und
komfortabler gemanagt. Und auf der anderen Seite lebt der Mensch
dann unter einer wachsenden Zahl von Kameras, Mikrophonen und
Bewegungsmeldern. Ein dritter bedenklicher Trend ist der Einbau von
Überwachungstechnik direkt in Geräte: So ermöglichen
in Kleider integrierte RFID-Tags, also Chips mit einer Kennung, im
Prinzip die Ortung eines Menschen - was auf eine Art indirektes
Personenkennzeichen hinausläuft.
Das Parlament
Forscher sind inzwischen dabei, mit dem PC
Gedanken zu lesen ...
Pfitzmann Mit solchen Systemen wird es ganz
dramatisch. Das mag für Behinderte, die ihre Arme und Beine
nicht mehr bewusst steuern können, eine schöne Sache
sein. Im Kern werden so aber die abendländische Kultur und
Zivilisation ad absurdum geführt, das ist eine kolossale
Erschütterung unseres Menschenbildes. Das Denken, der Kopf, so
war es jedenfalls bisher, ist doch uneingeschränkt eine
private Sphäre, die ausschließlich dem betreffenden
Individuum gehört. Der Mensch muss frei entscheiden
können, welche Gedanken er seiner Umwelt mitteilt und welche
nicht. Das Denken darf nicht zu etwas werden, das dem Zugriff
anderer unterliegt und somit öffentlich wird. Nun aber
rückt die Maschine immer näher an den Menschen heran. Wo
wird künftig die Grenze gezogen? Da stößt die
Wissenschaft in ganz neue gefährliche Dimensionen
vor.
Das Parlament
Schaffen die Informatiker so ganz nebenbei
einen neuen Menschen? Einen, der passiv, angepasst,
zurückhaltend, unterwürfig ist, der nicht mehr
selbstbestimmt, nicht mehr widerständig lebt? Die zunehmende
Überwachung und Kontrolle der Bürger mit Hilfe der
modernen Technik kann doch nicht ohne gesellschaftliche und
politische Folgen bleiben.
Pfitzmann Wenn Menschen befürchten, dass
alles, was sie reden und tun, erfasst wird und ihnen eines Tages
vorgehalten werden kann, neigen sie in hohem Maße zum
Konformismus. Das Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichts
aus dem Jahr 1984 war da sehr vorausschauend. Das ist ein
schleichender Prozess, der das Wesen der Demokratie
untergräbt. Die Demokratie basiert darauf, dass die vielen
einzelnen, natürlich auch in organisierter Form, für ihre
Interessen kämpfen - ohne von vornherein ausgebremst zu
werden. Man stelle sich vor, die heutige Technik mit all ihren
Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten hätte es
schon in der DDR gegeben: Ob es unter solchen Bedingungen 1989 die
von Oppositionsgruppen getragene Revolution gegeben hätte?
Jedes Gemeinwesen lebt von gesellschaftlicher Innovation, und die
ist eben oft zunächst mit Regelverstößen verbunden:
Werden die durch Überwachung und Kontrolle präventiv
verhindert, wird der Status quo zementiert.
Das Parlament
Informatiker erfinden immer schneller neue
Dinge. Keimen da beim Blick auf die freiheitsbedrohenden
Konsequenzen keine Zweifel auf?
Pfitzmann Ich kenne eine ganze Reihe von
Forschern aus unserer Zunft, die sich sehr wohl kritische Gedanken
machen. Beim Blick auf die Verantwortung unserer Wissenschaft
Informatik und Informationstechnik muss man differenziert
abwägen. Wer Grundlagenforschung betreibt, wer etwa Halbleiter
und Speicherzellen entwickelt, ist von den praktischen Auswirkungen
seiner Arbeit sehr weit weg. Bei der Anwendung der Mathematik zur
Analyse der Welt - das ist das Wesen der Informatik als
Strukturwissenschaft - stellt sich die Frage nach der
gesellschaftlichen Verantwortung zunächst eigentlich nicht.
Ganz anders sieht es bei den Ingenieurwissenschaften aus:
Informatiker bauen Systeme, die weitreichend in die Wirklichkeit
eingreifen, da gestaltet der Forscher Realität. Und dann
wächst natürlich auch die gesellschaftliche Verantwortung
des Wissenschaftlers. Man muss sich schon fragen, wie sich Handys,
Überwachungskameras oder RFID-Tags auf das menschliche Leben
auch negativ auswirken können.
Das Parlament
Müsste man das, was mit
gesellschaftlicher Verantwortung der Forschung gemeint ist, nicht
stärker organisieren? Einst war allenthalben von
Technikfolgenabschätzung die Rede, davon ist heute nicht mehr
viel zu hören.
Pfitzmann Es sollte da mehr geschehen. Ich
bedauere es zum Beispiel, dass die Akademie für
Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg wieder
geschlossen wurde. Manche Wissenschaftler sehen in solchen Gremien
eher unergiebige Debattierclubs, was nicht meine Meinung ist. Vor
allem aber denke ich, dass diese Einrichtungen so manchen
Politikern nicht unbedingt in den Kram passen. Bei solchen
Think-Tanks kommt nun einmal zwangsläufig heraus, dass nicht
alle Zukunftsversprechen aufgehen können, und das ist für
nicht wenige Politiker sicher ein Störfaktor. Ich
plädiere mit Nachdruck für eine institutionalisierte
Untermauerung der Selbstreflexion und des kritischen Dialogs
über die gesellschaftlichen Folgen der Informatik und
Informationstechnik. Unabhängige Gremien außerhalb der
Universität haben dabei durchaus etwas für sich, doch
sollten deren Aktivitäten mit der wissenschaftlichen Arbeit
innerhalb der Hochschulen verknüpft sein.
Das Parlament
Ist diese kritische Reflexion in der
Ausbildung der Informatik-Studenten angemessen
verankert?
Pfitzmann Das hängt sehr vom Engagement
der einzelnen Hochschullehrer ab. Bei uns in Dresden wird das
intensiv praktiziert. Aber das findet nicht überall in
gleichem Maße statt. Es nützt wohl nicht viel, das
Nachdenken über die gesellschaftlichen Folgen der Informatik
in Ausbildungsgänge und Prüfungsordnungen aufzunehmen,
diese Debatte kann man schlecht in ein Curriculum zwängen. Bei
den Studenten ist jedenfalls ein enormes Interesse an diesen Fragen
zu spüren. Ich appelliere an die Professoren, sich auf solche
Diskussionen mit den Studenten einzulassen. Meine eigenen
Vorlesungen sind freiwillig und trotzdem gut besucht.
Das Parlament
Sollte der verantwortungsbewusste
Informatiker auch ein aktiver Bürgerrechtler sein, der sich
für Freiheitsrechte einsetzt und der sich in die Politik
einmischt?
Pfitzmann Diese Forderung richtet sich vor
allem an die Ingenieurwissenschaftler unseres Fachs. Sie
müssen über die Folgen ihres Tuns nicht nur
gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber den
Bürgern Rechenschaft ablegen - und deshalb sollten sie mehr
als bisher die öffentliche Debatte suchen. Das geht weit
über den universitären Rahmen hinaus. Wir sollten in die
Medien gehen, im Fernsehen Interviews geben, in interessierten
Kirchengemeinden auftreten, uns kritischen Fragen von
Bürgerrechts-Gruppen stellen. Nötig ist dabei eine
verständliche Sprache. Die Informatiker dürfen keine
abgeschlossene Community bilden. Dafür greift unsere Arbeit
viel zu sehr in das individuelle und gesellschaftliche Leben der
Menschen ein.
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