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Matthias Urbach
Wolkenschieber in den Niederungen der Macht
Zwischen Politik und Wissenschaft liegen Welten,
und doch beeinflussen sich beide Sphären immer
stärker
Es gibt kein Land, wo der Graben zwischen Geist und Macht so
groß ist, wie in der Bundesrepublik." Das sagt einer, der es
wissen sollte: Reinhard Loske ist nicht nur Fraktionsvize der
Grünen im Bundestag, er ist auch habilitierter Politologe und
Volkswirt. Noch hätten Politiker große Vorbehalte
gegenüber den "blauäugigen Wolkenschiebern" in den
Universitäten, während die Professoren vor den
"Niederungen der Macht" erschauerten. In anderen Staaten wie etwa
den USA ist es viel üblicher, dass Wissenschaftler mal ein
paar Jahre in die Politik gehen - und dann an ihren Lehrstuhl
zurückkehren. Hierzulande ist so etwas undenkbar, die
Sphären bleiben weitgehend getrennt, Intellektuelle in der
Politik haben es schwer.
Ein paar Wissenschaftler haben sich dennoch in die Politik
gewagt. Zu ihnen gehört auch der Naturwissenschaftler
Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der in der Wissenschaft schon
alles erreicht hatte, bevor er vor fünf Jahren erstmals
für die SPD in den Bundestag zog. "Die Politik lässt sich
informieren, behält sich aber die Strategien selber vor", so
seine Erfahrung. Eine wissenschaftliche Beurteilung politischer
Strategien, wie es in den USA die berühmt-berüchtigten
Think Tanks machen, "widerspricht der deutschen Mentalität",
urteilt Weizsäcker.
Trotz der traditionellen Distanz blüht der
Know-how-Transfer wie selten und dürfte in Zukunft noch weiter
zunehmen. Die Hartz- und die Rürup-Kommission, die aktuell
augenfälligsten Beispiele, dominieren derzeit die politische
Debatte. Zusätzlich zu dem Gestrüppunzähliger -
meist unbekannter - wissenschaftlicher Beiräte führte der
Kanzler persönlich in den vergangenen Jahren auch noch einen
Ethikrat und einen Nachhaltigkeitsrat ein.
Loske, in jungen Jahren selbst ein glühender Verfechter des
"zivilgesellschaftlichen Dialogs", kann dem neuen
"Kommissionswesen" nicht viel Gutes abgewinnen: "Es ist schlicht
delegitimierend." Am Schluss werde zwar im Bundestag abgestimmt,
aber schon die Rhetorik des Kanzlers von der "Eins zu
Eins-Umsetzung von Hartz" illustriere, dass diese Ausschüsse
ein "Schlag ins Gesicht der Parlamentarier" seien. Auch
CDU-Fraktionsvize Maria Böhmer, als praktizierende
Hochschulprofessorin selbst vom Fach, steht diesen Gremien
ablehnend gegenüber: "Das ist ein Outsourcen von
Entscheidungen".
Sind die wissenschaftliche Kommissionen nur ein Instrument der
Macht? Während die Abgeordneten die neuen Einrichtungen als
Konkurrenz empfinden, zeigen sich die Wissenschaftler
aufgeschlossener. Wolfgang Wiegard etwa ist einer der "fünf
Weisen" im Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem wohl einflussreichsten
Beratungsgremium der Regierung, dem auch Bert Rürup
angehört. Als etablierter Berater hätte Wiegard durchaus
Anlass, die Kommissionen als Konkurrenz zu empfinden. Doch er
hält diese Gremien für sehr hilfreich. "Solche Anregung
kann von Parlamentariern, die sehr ihrem Tagesgeschäft
verhangen sind, doch gar nicht kommen", sagt der Professor für
Volkswirtschaft. Wenn es um einen "Systemwechsel" gehe, dann
benötige manSpezialisten.
Warum sollten die "Wirtschaftsweisen" auch klagen: Sie finden in
der derzeitigen ökonomischen Krise mehr Gehör denn je.
Ihre Vorschläge durchziehen die Agenda 2010 wie die Konzepte
der Opposition. Ohne die Expertise der Hartz-Kommission hätte
Kanzler Gerhard Schröder seine Agenda nach Einschätzung
vieler Abgeordneter kaum durchsetzen können. Der geballte
Sachverstand zerstreute die Bedenken vieler SPD-Linker, der Kanzler
schleife den Sozialstaat allein aus Machtkalkül.
Aber liefert eine breit zusammengesetzte Kommission
tatsächlich objektive Grundlagen für eine politische
Entscheidung? "Das ist ein völlig falsches Bild", urteilt
Gustav Horn, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung, einem der sechs führenden Institute
dieser Zunft: "Das ist dieser Ruck-Mythos: Die Wissenschaft
weiß, wo es lang geht - und man muss es nur tun". Auf diese
Weise versuche die Politik oft, "die Wissenschaft zu
instrumentalisieren". Auch Wiegard hält die viel zitierte
"Eins zu Eins"-Umsetzung der Hartz- wie Rürup-Empfehlungen
für Unsinn: "Das muss die Politik schon selbst
entscheiden."
Rütteln an Tabus
Wenn die Wissenschaft schon nicht objektiv ist, ist sie dann
wenigstens neutral? Ernst-Ulrich von Weizsäcker glaubt das
nicht. In seinen Augen waren es vor allem Ökonomen, nicht
Politiker, die seit den 80er-Jahren "einen Abbau des Sozialstaates"
propagierten. Die Ökonomen hätten einen neoliberalen
Zeitgeist vorangetrieben: "Mit der Wiedervereinigung bekamen sie
Oberwasser". Während Wissenschaftler mit politischen
Ambitionen in den 70er-Jahren von links gekommen seien, meint der
Sozialdemokrat Weizsäcker, kämen sie heute von rechts.
Die großen Wissenschaftsvereinigungen wie die Deutsche
Forschungsgemeinschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft lägen
inzwischen "total auf CDU-Linie".
Die Wissenschaft ist auch aus einem anderen Grund nicht neutral.
Wer es als Forscher zu etwas bringen will, braucht Aufmerksamkeit
und Forschungsgelder. Disziplinen wie die Biotechnik stoßen
zudem an gesellschaftliche Grenzen, rütteln an Tabus. Der
Molekularbiologe Detlev Ganten, Direktor des
Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin,
wünscht sich mehr Freiheiten etwa für die
Stammzellenforschung. Ganten ist Mitglied des Ethikrates beim
Kanzler und wirbt dort vehement für seine Sache. Und noch
immer vermisst er eine "ausreichende" Unterstützung der
Politik für die Freiheit der Forschung.
Gerade der Ethikrat ist für die Parlamentarier Loske und
Böhmer ein rotes Tuch. Schließlich installierte der
Kanzler diesen Ausschuss als Gegengewicht zur forschungskritischen
Bioethik-Enquetekommission des Bundestags. Und nun kämen die
beiden Gremien mit schöner Regelmäßigkeit zu
entgegengesetzten Urteilen, beklagt Maria Böhmer. Hier liegt
der instrumentelle Charakter der Kanzler-Kommissionen klar zutage:
Sie dienen der Politik.
Eigentlich bilden die Enquetekommissionen Schnittstellen
zwischen Wissenschaft und Politik par excellence. Die
Enquetekommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" Ende
der 80er-Jahre ist das legendäre Vorbild für eine
erfolgreiche Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in
die Politik. Die beteiligten Abgeordneten schafften es, zusammen
mit so prominenten Köpfen wie Nobelpreisträger Paul
Crutzen und Harmut Graßl als Klimadirektor am
Max-Planck-Institut, den Treibhauseffekt in das Bewusstsein der
Öffentlichkeit zu tragen.
In der Öffentlichkeit nicht akzeptiert
Doch die Enquetekommissionen des Bundestages sind nur dann
stark, wenn es ihnen gelingt, zu einer einheitlichen Meinung zu
gelangen. Viele dieser Einrichtungen beriefen "zu viele Experten,
die Parteien angehören", kritisiert Graßl: "Die werden
von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert". Auch Ernst-Ulrich
von Weizsäcker, der die Globalisierungs-Enquetekommission
leitete, klagt über die Mentalität vieler Parlamentarier:
"Die Politiker aus beiden Lagern entwickeln wenig Neugier für
die Fakten - sie laden im wesentlichen die Forscher ein, die ihre
eigenen Ansichten reproduzieren." Die Kommission verkommt so
schnell zu einer PR-Maschine.
Aber auch die Wissenschaft ist auf einen fairen Wettbewerb der
Ideen angewiesen, so sie etwas erreichen will. Das betont Hartmut
Graßl, heute selber Vorsitzender eines wissenschaftlichen
Beratungsgremiums der Regierung zu Globalen
Umweltveränderungen. Ohne einen ausdiskutierten Konsens habe
die Forschung kein Gewicht. Als Beispiel nennt Graßl das
UN-Gremium IPCC, das in den 90er-Jahren begann,
regelmäßig das Wissen, aber auch die Lücken der
Klimaforschung zu analysieren: "Ohne IPCC würden wir noch
immer darüber streiten, ob es den Klimawandel gibt oder
nicht." Viele UN-Umweltkonventionen etwa zum Artenschutz oder zur
Wüstenbildung seien bislang deshalb so zahnlos geblieben, weil
niemand den wissenschaftlichen Stand bündele - und der Politik
verlässliche Grundlagen zur Entscheidung präsentiere.
Hier schließt sich der Kreis zur aktuellen Debatte. Denn
die "fünf Weisen" und ihre Konzepte wären derzeit sicher
nicht so einflussreich, gäbe es nicht einen breiten Konsens
der Ökonomen über die Dringlichkeit der Konsolidierung
von Staatsfinanzen und Sozialsystemen. Die
ehrwürdigeWissenschaft vermag eben nur dann die Politik
nachhaltig zu befruchten, wennihre Expertisen mehr sind als ein
womöglich ideologisch gefärbter "educated guess".
Matthias Urbach ist bundespolitischer Korrespondent der taz.
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