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Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Heiko Schwarzburger

Direkt ins Hirn gepflanzte Chips

Informatik und Mikroelektronik stehen vor neuen Quantensprüngen

Alle reden von der technologischen Revolution, von Mikroelektronik und Computern, als stünde ein neues Zeitalter bevor. Doch dieser Vergleich hinkt. Revolutionen liefen bisher stets punktuell ab. Die Innovationslawine in der Mikroelektronik aber wird so schnell nicht ausrollen. Der rasante Fortschritt dürfte zum Dauerzustand für die nächsten Menschengenerationen werden. Nach einer Schätzung des Forschungszentrums für Informatik in Karlsruhe kommen schon in den nächsten Jahren mehr als 100 Prozessoren auf jeden Bürger: in Handys, Autos, medizinischen Geräten, Heimcomputern oder Fernsehern.

Künftig verschmelzen diese Geräte miteinander oder kommunizieren über allgegenwärtige Funknetze. "Da stehen wir noch ganz am Anfang", sagt Holger Boche, Experte für schnelle Datennetze am Heinrich-Hertz-Institut in Berlin: "Mit Systemen, die mehr als einen Sender und Empfänger haben, wird sich die Leistungsfähigkeit der Datennetze erheblich erhöhen." Der Mensch, so scheint es, wird in der Information schwimmen.

Holger Boche, der 2003 den renommierten Alcatel-Preis für seine Forschungen erhielt, arbeitet an der Theorie von Mehrantennensystemen, sprich: an ihrer mathematischen Beherrschbarkeit. "Die Innovation auf diesem Gebiet schreitet mit Riesenschritten voran", sagt der Wissenschaftler. James Watts Dampfmaschine brauchte 120 Jahre, bis sie sich in ganz Europa durchsetzte. Heute lässt sich der technologische Run an der Biografie eines Durchschnittsmenschen verdeutlichen:

Ältere Menschen kennen noch die Ära ohne Telefon und Fax, Zeiten, als man Sendungen mit der Hand schrieb und zum Postamt brachte. Kaum war die Bundesrepublik Mitte der 1950er-Jahre flächendeckend mit einem Telefonnetz ausgerüstet, kamen die Fernschreiber, die Datensysteme, erste Computer, Glasfaserkabel - bis zum heutigen Handy. Einige Schwellenländer überspringen diese Stufen und gehen gleich auf drahtlose Systeme über, beispielsweise Brasilien, Indonesien oder Südafrika.

In China gibt es heute 280 Millionen Handybesitzer, mehr als in den USA oder in Europa - hingegen sind nur 250 Millionen Anschlüsse für Telefone im Festnetz registriert. Die Zahl der Anmeldung neuer Handys wächst in dem Riesenreich dramatisch. Deshalb hat Holger Boche eine einzigartige Kooperation mit den Chinesen gestemmt: "Wir gründen ein Doppelinstitut in Peking und in Berlin, finanziert von Bundesforschungsministerium und vom Forschungsministerium der chinesischen Zentralregierung", berichtet er: "Dann werden rund 225 junge Wissenschaftler an der Umsetzung neuer Netzalgorithmen arbeiten."

War Innovation bislang eine nationale Angelegenheit, wird sie nun zum Kennzeichen einer global vernetzten Welt. Will man den Stand der modernen Kommunikationstechnik einem historischen Vergleich unterziehen, könnte man das gängige Handy vielleicht mit einem Abakus vergleichen, also mit jenem antiken Rechenbrett, das auch die Römer für die Abwicklung ihres Handels nutzten. Bis zum modernen Computer vergingen 3.000 Jahre. Auch das Handy, das wir heute im Mobil-Shop in die Hand nehmen, markiert lediglich einen Anfang in seiner Leistungsfähigkeit, in seiner Funktionalität und in seiner Reichweite.

Schon in wenigen Jahren wird das Handy zur Kommunikationszentrale unseres gesamten Alltags mutieren. Forscher der Universität von Illinois haben jetzt einen Transistor entwickelt, der 509 Milliarden mal pro Sekunde schaltet. In Handys der so genannten neuen Generation, die gerade den Markt überschwemmen, schalten die Geräte im Gigahertz-Bereich, also mehrere Milliarden Takte pro Sekunde.

Auch Prozessoren für Computer schaffen höchstens drei Gigahertz. Alle 18 Monate, so ein ungeschriebenes Gesetz der Chip-Industrie, verdoppelt sich die Rechenleistung - und zwar zum gleichen Preis. Herbert Reichl, einer der führenden Spezialisten für die Verdrahtung von Mikrochips und für neue Systeme der Mikroelektronik, sieht dasHandy jedoch nur als eine von mehreren Optionen: "Es könnte auch eine eingewebte Antenne in der Kleidung sein, die dann größer wäre und mehr Daten übertragen könnte."

Völlig neue Ideen

Reichl weist daraufhin, dass schnelle Prozessoren nur den Anlass für völlig neue Ideen bilden. Mit zunehmender Leistung der Chips wäre es denkbar, "ein sogenanntes Body-Area-Network" aufzubauen: "Die Uhr kommuniziert mit dem Handy, das Handy mit der Chipkarte und irgendwann auch das Handy mit der Brille", prophezeit er. Reichl: "Die Brille würde dann die Funktion eines Bildschirms übernehmen."

Der Forscher erwartet zudem weitere erhebliche Innovationen vor allem im Gesundheitsbereich: "Sensoren in der Kleidung könnten aus dem Schweiß Informationen über Antikörperreaktionen gewinnen oder den Blutzucker messen", nennt er zwei Beispiele. Reichl: "Je kleiner die Geräte, desto zuverlässiger sind sie."

Was wie Zukunftsmusik klingt, dämmert schon als Realität herauf: In den Vereinigten Staaten werden bereits Sportjacken zum Verkauf angeboten, die den Puls fühlen und per Antenne an den Arzt melden. Was technisch machbar ist, muss seine Tauglichkeit für den Alltag indes erst noch unter Beweis stellen: Auch die elektronische Kleidung muss schließlich einmal in die Wäsche. "Das müssen die Bauelemente aushalten", meint Reichl. Der Wissenschaftler geht sogar einen Schritt weiter: "Konventionelle Leiterplatten sind starre Gebilde." Auf der Basis von Polymeren werde es jedoch gelingen, "komplette elektronische Systeme aufzubauen, die preiswert, einfach herzustellen und biegsam sind". Dann könnten, prophezeit Reich, Herzschrittmacher extrem dünn gebaut oder als filigrane Implantate gefertigt werden.

An der Technischen Universität in Dresden arbeiten Werkstoff-Forscher fieberhaft an Kunststoffen, aus denen sich solche körperverträglichen Implantate herstellen lassen. Noch stehen solche Studien am Anfang. Um die Abstoßungsreaktionen des Körpers zu vermeiden, tragen die Wissenschaftler eine spezielle Schutzschicht auf die Implantate auf. "Unter Biomolekülen verstehen wir Peptide oder Proteine, aber auch Proteoglycane", erläutert Hartmut Worch, der diese Arbeiten leitet: "Sie sollen so wirken, dass das körpereigene Gewebe die synthetische Unterlage nicht wahrnimmt. Das Implantat heilt ein wie bei einem Knochenbruch."

Ohne Mikroelektronik in Rechentechnik, Simulation oder Analytik wären die neuen Werkstoffe undenkbar. Beim "Tissue Engineering" werden Zellen aus dem Rückenmark eines Patienten auf ein Trägermaterial gepflanzt: Dort wachsen sie und bilden ein biologisches Pflaster, das der Körper als sein eigenes Gewebe erkennt. Auch Mikrochips auf einer flexiblen Polymerfolie lassen sich eines Tages auf diese Weise verkapseln beziehungsweise tarnen.

Dann ist es nicht mehr weit bis zum Prozessor, den man direkt ins Hirn einpflanzen kann. Auch dazu gibt es schon Forschungen. Der Chip wirkt wie ein elektronisches Etikett im Supermarkt. Gekoppelt mit den allgegenwärtigen Funknetzen, wäre ein solcher Mensch leicht zu orten und biometrisch kontrollierbar. Während dies für die einen eine Horrorvision ist, verweisen andere auf den Nutzen. Vermisste ließen sich schneller finden. Implantierte Sensoren könnten, ein anderes Beispiel, das Wachstum eines Hirntumors überwachen. Ans Herz angebracht, schlügen sie bei erhöhtem Infarktrisiko Alarm. Sogar die Energie für die Chips ließe sich aus dem Körper gewinnen: "Vielleicht beziehen wir eines Tages die Energie aus Blutzucker oder aus der Blutzirkulation", schätzt Herbert Reichl. Es werde heute schon versucht, "Energie aus dem Rückenmuskel zu gewinnen".

Der Mensch als virtuelles Modell

Der Mensch selbst wird zum Gegenstand der Informatik: Nach Auffassung des Mathematikers Peter Deuflhard, Chef des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik in Berlin, wird es in wenigen Jahren möglich sein, den gesamten Menschen als virtuelles Modell im Rechner zu simulieren. Die Informatiker brachten bereits das Bein mit der komplizierten Geometrie des Knies in den Kasten. Die Wissenschaftler sind auch in der Lage, Weichteile zu simulieren. Mediziner des Klinikums "Rechts der Isar" in München und des Klinikums in Basel nutzen aufwändige Simulationsprogramme, um chirurgische Eingriffe am Gesicht von Unfallopfern oder anderen schwer entstelltenPatienten vorzubereiten. "Mit Hilfe der modernen Informatik können wir sogar das künftige Lächeln der Patienten vorhersagen", meint Deuflhard.

In der Krebstherapie helfen die Simulationen, die optimale Hyperthermiebehandlung zu planen. Zu diesem Zweck muss der Computer innerhalb weniger Sekunden mathematische Gleichungen "mit einigen Hunderttausend bis Millionen unbekannten Größen lösen", erläutert der Professor.

Allerdings offeriert auch die moderne Computermathematik kein Allheilmittel für alle Probleme der menschlichen Existenz: "Zu politischen oder psychologischen Phänomenen haben wir bislang noch keinen mathematischen Zugang", meint Deuflhards Kollege Martin Grötschel. Er sieht eine wesentliche Herausforderung in der Aufgabe, die zunehmende Komplexität der Welt mit Hilfe von Mathematik und Informatik beherrschbar zu machen.

Noch produzieren die Forscher in ihren Labors Stückwerk. Doch der Trend ist klar: Die verschiedenen Wissenschaftsgebiete wachsen zusammen. Die Informatik könnte das dazu notwendige Rückgrat bilden. Doch ohne systematische Forschung wird dies nicht geschehen. Um mit Joachim Milberg, dem ehemaligen Vorstandschef von BMW, zu sprechen: Die Zukunft kommt von allein. Der Fortschritt nicht.

Heiko Schwarzburger ist freier Wissenschaftsjournalist in Berlin.

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