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Jörn Weder
Für die Nachhaltigkeit braucht man einen
langen Atem
Ökologische Visionen fassen in der Politik
nur schwer Fuß
"Nachhaltigkeit" ist der am meisten strapazierte
Begriff in der Umweltdiskussion und zugleich derjenige, von dem wir
im Tun am weitesten entfernt sind. Nur etwa ein Drittel der
Deutschen weiß mit ihm etwas anzufangen. Doch auf die
lebendige Natur bezogen, ist er nicht schwer zu verstehen: Nur so
viele Bäume einschlagen, nur so viele Fische fangen, wie zur
gleichen Zeit nachwachsen! Unseren Kindern keine schlechteren
Lebensumstände hinterlassen, als sie von unseren Eltern
vererbt! So hatte 1987 die "Brundlandt-Kommission" der UNO das Ziel
der Nachhaltigkeit beschrieben.
Kaum einer wird bestreiten, dass wir beim
Verbrauch von Bodenschätzen wie Kohle, Öl oder Gas dieser
Vorgabe am wenigsten Beachtung schenken. Und diese Entwicklung
spiegelt sich in der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung
wider, die viele für die größte ökologische
Bedrohung im 21. Jahrhundert halten.
Seit der Erdgipfel von Rio 1992 die
"nachhaltige Entwicklung" - "sustainable development" im Englischen
- zur Richtschnur allen Fortschritts erhob, arbeiten wir uns an
diesem Begriff ab und an ihn heran. In ihrer Studie
"Zukunftsfähiges Deutschland" zeigten Mitarbeiter des
Wuppertal-Institutes 1996 erstmals umfassend auf, wie die Deutschen
auf vielen Gebieten annähernd umweltverträglich
wirtschaften könnten, ohne dabei schlechter zu
leben.
Die in dieser Analyse enthaltenen Leitbilder
wie "Anders, Besser, Weniger" seien freilich gegenwärtig kaum
gefragt, konstatiert Mitautor Reinhard Loske, heute grüner
Bundestagsabgeordneter: Es hätten sich stattdessen einseitig
technikzentrierte Überlegungen in den Vordergrund
gedrängt, soweit die Sorge um wirtschaftliches Wachstum und
Wohlergehen nicht alles überwuchere.
Die Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestags "Schutz des Menschen und der Umwelt" lieferte mit ihrem
Abschlussbericht 1998 Nachhaltigkeitsbausteineinsbesondere für
das große Problemfeld Boden, Bauen und Wohnen. Doch die
Empfehlung, die uferlose Überbauung der Landschaft zu bremsen
und schließlich ganz zum Stillstand zu bringen, scheint bis
zum heutigen Tag niemand beherzigen zu wollen. Über 100 Hektar
freie Landschaft werden gegenwärtig täglich für
Bauzwecke neu in Anspruch genommen.
Dauerhaft und intensiv hat sich das
Umweltbundesamt um das Thema gekümmert: Dem Bericht
"Nachhaltiges Deutschland" von 1997 folgte 2002 die breit angelegte
Studie "Nachhaltige Entwicklung in Deutschland". In der letzteren
Schrift heißt es zwar: "Nach wie vor weisen viele grundlegende
Trends in eine falsche Richtung." Aber es wird auch gesagt, es habe
"in den vergangenen Jahren eine Reihe von Weichenstellungen in der
Umweltpolitik in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung
gegeben".
Zu diesen zählt die Behörde unter
anderem die in Aussicht genommenen
Straßenbenutzungsgebühren für LKW. Doch während
sich Politik und Wirtschaft äußerst schwer tun, eine
LKW-Maut von 12,5 Cent pro Kilometer einzuführen, macht das
Amt deutlich, dass erst ein mittlerer Mautsatz von rund einem Euro
den massenhaften LKW-Verkehr auf den Autobahnen tatsächlich
eindämmen könnte - eine Gebühr in dieser Höhe
ist in der Schweiz für das Jahr 2010 vorgesehen.
Vergleicht man "sustainable development",
also die Anpassung unserer Wirtschaftsweise an die
Tragfähigkeit der Natur, mit einem in den Wolken liegenden
Berggipfel, so befinden wir uns heute immer noch im Basislager der
Kletterer. Es werden zwar viele angeblich gangbare Aufstiegswege
diskutiert - aber kaum einer wagt es, auch nur bis zur
nächsten Etage aufzubrechen, bestenfalls einige wagemutige
Privatpersonen tun dies, aber kein Staat und schon gar nicht die
Weltstaatengemeinschaft.
Professor Udo Simonis, wissenschaftlicher
Vorkämpfer der Nachhaltigkeit auf internationaler Ebene,
stellt fest, die rasch fortschreitende Globalisierung des
Wirtschaftslebens und der hinterherhinkende Schutz der Umwelt seien
immer noch "Welten voneinander entfernt". Aber immerhin: Die neue
Leitlinie der Nachhaltigkeit behaupte in allen UN-Organisationen,
zumindest in den Verlautbarungen derselben, ihren Platz und sei
auch nicht mehr wegzukriegen.
Ein neuer Wissenschaftszweig "Nachhaltigkeit"
hat sich auch zehn Jahre nach Rio nicht etabliert, eine solche
Fachrichtung im engeren Sinne existiere nicht, sagt bedauernd
Stefan Summerer, zuständiger Referent im Umweltbundesamt. Eine
solche Forschung, die er "Koevolutionswissenschaft" nennt,
müsse es aber geben, fordert Hans Joachim Schellnhuber,
Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die
Biosphäre, die natürlichen Stoffkreisläufe seien
durch menschliche Einflüsse bereits derart überfremdet,
dass sie aus dem Ruder zu laufen drohten, wenn man nicht die
Entwicklungen in der Natur und der menschlichen Zivilisation in
ihrer Verknüpfung genauestens unter die Lupe nehme. Nur so
könne man kastastrophalen Entgleisungen vorbeugen.
Simonis bedauert, dass es nicht gelungen sei,
ein Max-Planck-Institut für Nachhaltigkeit zu etablieren. Es
gibt zwar einzelne Wissenschaftler, Räte, Institute,
Ämter und Stiftungen, die dem Thema nahe oder sogar durch ihre
Aufgabenstellung verpflichtet sind. Das Umweltbundesamt, die
Deutsche Bundesstiftung Umwelt, das Öko-Institut, das
Wuppertal-Institut, der Sachverständigenrat für
Umweltfragen, der wissenschaftliche Beirat für globale
Umweltveränderungen, der nationale Nachhaltigkeitsrat oder
Forscher wie Simonis und Schellnhuber zählen gewiss
dazu.
Die Genannten sind durch ihr gemeinsames
Engagement für die Umwelt sowie durch kommunizierende
Röhren gegenseitiger Information miteinander verbunden. Aber
wieviel Geld in dieses Wissensfeld fließt, ist kaum genau zu
ermitteln. Immerhin hat sich das Bundesministerium für Bildung
und Forschung mit der Namensgebung einer ganzen Abteilung
"Gesundheit, Biowissenschaften, Nachhaltigkeit" und eines Referates
"Nachhaltigkeitskonzepte für Produktion und Konsum" dem Thema
verpflichtet.
Das Ministerium wendet nach eigenen Angaben
stattliche 250 Millionen Euro für einzelne Forschungsprojekte
auf, die unter dem wohl sehr weitherzig aufgefassten Begriff der
Nachhaltigkeit eingeordnet werden. Weitere 330 Millionen Euro
kommen über Institutionen wie die Helmholtz-Gemeinschaft einem
mit "Erde und Umwelt" umschriebenen Forschungsfeld
zugute.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft besitzt
kein eigenes Raster, nach dem Projekte mit dem Schwerpunkt
"Nachhaltigkeit" einsortiert werden. Die Bundesumweltstiftung
erläutert, dass etwa ein Drittel ihrer jährlichen
Zuwendungssumme von 45 Millionen Euro in die ökologische
Forschung geht, die per se eine nachhaltige zu sein hat. Auch das
Umweltbundesamt schätzt, dass etwa ein Drittel seines
jährlichen Auftragsetats von 60 Millionen Euro in Studien
fließt, die der ökologischen Nachhaltigkeit
dienen.
Keine großen Sprünge bei kleinem
Etat
Der Bedarf an großen Visionen, an
Zukunftsentwürfen scheint dabei erst einmal gedeckt zu sein.
Der Präsident des Umweltbundesamts, Andreas Troge, hat
entschieden, der Expertise "Nachhaltige Entwicklung in Deutschland"
aus dem Jahre 2002 für längere Zeit keine visionäre
Gesamtschau mehr folgen zu lassen. In ähnlicher Weise will
sich der von Bundeskanzler Gerhard Schröder berufene Nationale
Nachhaltigkeitsrat damit begnügen, die Regierung zu beraten,
wie sie auf dem Weg zu den selbst gestellten Zielen ihrer
"Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie" vom April 2002 schneller
vorankommen kann. Große Sprünge vermag das Sekretariat
dieser Einrichtung mit einem Jahresetat von rund einer Million Euro
auch kaum zu machen. Aber selbst die kleinen Schriften - so zum
Weltagrarhandel, zur CO2-freien Kohlenutzung oder zum "Nachhaltigen
Warenkorb" - haben Sekretär Günther Bachmann zufolge
einen beachtlichen Widerhall gefunden.
Der Rat hält es sich vor allem zugute,
dass sich die Regierung auf seine Einflussnahme hin Zeit- und
Mengenziele für ihre Nachhaltigkeitsstrategie gesetzt habe.
Die 18 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die in
dem Gremium sitzen, könnten vor allem dazu beitragen, die
Diskussion um die Nachhaltigkeitsstrategie der Regierung in die
Bevölkerung zu tragen, bei der dieses Bestreben noch nicht
angekommen ist.
Engagierte Bundestagsabgeordnete wie Reinhard
Loske und Michael Müller (SPD) wollen jetzt einen
"Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung"
etablieren. Auch diese Kommission soll der Sache einen Extra-Schub
verleihen. Wenn das Kabinett, wie vorgesehen, im Herbst 2004 einen
ersten Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie
beschließt, wird das Parlament schon vorher im Bilde sein, wie
gut oder wie schlecht man vorangekommen ist.
Das Thema ist eine Überlebensfrage und
zu ernst, um es allein dem Belieben und der Bequemlichkeit
politischer Gruppierungen zu überlassen. Der
Sachverständigenrat für Umweltfragen hat ein Urteil
über die Nachhaltigkeit der deutschen Umweltpolitik zuletzt in
seinem Jahresgutachten 2002 abgegeben. Das Gremium versteht unter
"sustainable development" eine "dauerhaft umweltgerechte"
Entwicklung, die auf eine möglichst weitgehende Bewahrung des
Naturkapitals abzielt.
Der Rat, insbesondere sein Mitglied Konrad
Ott, ist kein Freund des von der Politik bevorzugten
"Dreisäulenmodells", wenn in diesem Konzept Wirtschaft und
Soziales wie gewohnt dominieren, während der Umwelt als dem
dritten Bein nur je nach Lage und Belieben Genüge getan wird.
Er konzediert, dass die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen
Anwälte der Nachhaltigkeit neuerdings in der deutschen Politik
Resonanz finden. "Wir wissen genug, so dass es keine Entschuldigung
dafür gibt, eine Politik für Nachhaltigkeit auf die lange
Bank zu schieben."
Die Nachhaltigkeitsforschung schaut mit einem
Auge auf die Natur und mit dem anderen auf die Gesellschaft. Diese
Wissenschaft gewinnt laut Ott praktischen Nutzen aber erst, wenn
sie sich von moralischen Verpflichtungen leiten lässt. Unter
dieser Voraussetzung lassen sich dann Ziele, Grenzen oder Schwellen
setzen, die von allen zu beachten sind - im Einzelfall die
Erhaltung der Artenvielfalt oder ein bestimmter zulässiger
Grad der Versauerung der Atmosphäre. Für Theoretiker wie
Praktiker aber gilt in diesen Tagen, was Reinhard Loske sagt : "Man
braucht einen langen Atem und darf sich von widrigen Umständen
nicht unterkriegen lassen."
Dietrich Jörn Weder arbeitet als freier
Umweltjournalist in Frankfurt am Main.
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