Bernward Janzing
Frische Windbrisen unter Sonnenstrahlen
Bis 2050, so hoffen die Vordenker, könnte
die Bundesrepublik komplett auf erneuerbare Energien umgestellt
sein
Wenn es nach dem Image ginge, würden in
Deutschland nur die erneuerbaren Energien genutzt. Speziell die
Sonne behauptet sich in allen Umfragen unangefochten als
Wunschenergie. So hat denn die Politik in der Bundesrepublik, wie
auch in der EU, längst reagiert und ein klares Ziel definiert:
Bis 2010 soll der Anteil der regenerativen Energien im Strom- wie
im Wärmemarkt jeweils verdoppelt werden.
So weit der Konsens in Politik und
Gesellschaft. Indes ist der Weg umstritten: Hier herrscht eine Art
Glaubenskrieg. Welche Fördermethode ist die wirksamste? Sind
Hilfen für die Wissenschaft die richtige Strategie? Oder setzt
man besser auf Markteinführungsprogramme, um so auch
Unternehmen für die Forschung zu interessieren?
Beide Varianten erscheinen sinnvoll - je nach
Lage des spezifischen Marktes und je nach Stand der betreffenden
Technik. So hat besonders die Windkraft in den vergangenen zehn
Jahren beispielhaft gezeigt, was eine unterstützende
Markteinführung bewirken kann: Festgesetzte
Einspeisevergütungen machten die Erzeugung von Windstrom
attraktiv - der Aufbau einer entsprechenden Branche mit
leistungsfähigen Entwicklungsabteilungen war die
Folge.
Entsprechend rasant war der Fortschritt bei
dieser Technik. Im Jahr 1992 leistete jede neue Windturbine in
Deutschland im Mittel gerade 163 Kilowatt, 1995 waren es bereits
309 Kilowatt, im Jahr 2000 schließlich 653 Kilowatt. Heute
werden Serienanlagen mit 2,5 Megawatt ausgeliefert, und erste
Prototypen für den Offshore-Einsatz auf dem Meer mit bis zu
4,5 Megawatt sind bereits installiert. Die durchschnittliche
Neuanlage leistet heute zehn Mal so viel wie Anfang der 90er-Jahre
- und der Trend zu höherer Leistung wird anhalten.
Zusätzliche Forschungsgelder braucht
jedoch weiterhin der Solarstrom. Denn anders als beim Wind, wo die
grundlegende Technologie etabliert ist, sind bei der
Sonnenenergienutzung zahlreiche Verfahren denkbar, die weitreichend
von der heute verbreiteten Technik abweichen -
Dünnschichtzellen etwa oder organische Solarzellen. Anders als
der Wind ist die Sonnenenergie daher auch künftig auf
Grundlagenforschung angewiesen, die kaum von den Solarfabriken aus
dem eigenem Entwicklungsetat finanziert werden kann. Das
heißt: Diese Technik benötigt noch staatliche Gelder, um
in überschaubarer Zeit marktfähig zu werden. Dagegen geht
es beim Wind nur noch um vergleichsweise kleine Optimierungen, etwa
um innovative Regelverfahren oder um neue
Verbundwerkstoffe.
Zwischen den beiden Extremen Sonne und Wind
stehen heute die anderen Branchen der erneuerbaren Energien.
Biomasse kommt teilweise mit der Markteinführung im Rahmen des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bestens zurecht, beispielsweise
bei der Stromgewinnung in Holzkraftwerken. Teilweise braucht man
aber noch Forschungsgelder, etwa beim Biosprit oder bei der
Biomassevergasung.
Ähnlich kann die Geothermie mit den
Einspeisevergütungen des EEG prinzipiell leben. Das Risiko von
Fehlbohrungen vermag die Branche freilich nicht zu tragen, da sind
wiederum Forschungsmittel erforderlich. Als marktnah hingegen
gelten bereits die Technologien zur Umwandlung der Wärme
niedrigthermaler Tiefenwässer in elektrischen Strom. Das erste
Erdwärmekraftwerk Deutschlands wurde gerade im
mecklenburgischen Neustadt-Glewe in Betrieb genommen.
Die Anhänger der erneuerbaren Energien
wollen sich nun durch die Alternative Markteinführung versus
Forschungsförderung nicht auseinanderdividieren lassen. Beide
Strategien, so der ForschungsVerbund Sonnenenergie (FVS), der die
gesamte Bandbreite der erneuerbaren Energien abdeckt, müssten
"optimal ineinandergreifen".
Der FVS, dem zwölf Mitgliedsinstitute
angehören, hat den wohl differenziertesten Überblick
über den Stand der Wissenschaft in diesem Bereich. Zwar
bescheinigt die Assoziation der deutschen Forschung "auf dem Gebiet
der erneuerbaren Energien und der dazugehörigen Systemtechnik
einen Spitzenplatz in der Welt". Doch lässt man zugleich
durchblicken, dass der Vorsprung gefährdet ist: "Für die
erneuerbaren Energien werden 2004 weniger Mittel zur Verfügung
stehen als vor dem Regierungswechsel 1998", warnt
FVS-Geschäftsführer Gerd Stadermann. Auch die
Öko-Energien leiden unter den leeren Kassen.
Dabei ist jeder Euro in diesem Metier gut
angelegt. Schließlich wird über die Förderung und
die daraus resultierende Ausweitung der Produktionsmengen eine
stetige Kostensenkung bei der Gewinnung erneuerbarer Energien
erzielt. Schon in den zurückliegenden Jahren ist die
Preisdegression zügig vorangeschritten. Windstrom nähert
sich den Marktpreisen an: Die Kosten einer Kilowattstunde sind in
den vergangenen zwölf Jahren um 55 Prozent gesunken. In etwa
zehn Jahren, prognostiziert der Verband Deutscher Maschinen- und
Anlagenbau, werde Windstrom die Preise am Strommarkt bereits
unterschreiten.
Sehr ermutigend entwickelt sich zugleich der
Preis des Sonnenstroms. 1990 kostete eine Solaranlage mit einer
Leistung von einem Kilowatt noch 13.500 Euro, heute sind es nur
noch 6.000 Euro. Und der Rückgang setzt sich ungebremst fort.
Im Jahr 2020 wird die Photovoltaik zu Zeiten der mittäglichen
Spitzenlast zu marktgerechten Preisen produzieren können,
prophezeit der Bundesverband Solarindustrie. Man werde mit dem
Solarstrom bis 2010 etwa auf 30 Cent je Kilowattstunde kommen, 2020
dann auf 15 Cent. Damit würden im nächsten Jahrzehnt die
Kosten für Sonnenstrom unter den Preis für Endkunden
sinken. Dieser Optimismus wurzelt in der Erfahrung, dass jede
Verdoppelung des Verkaufsvolumens von Solarzellen 20 Prozent
Preisreduktion mit sich bringt.
Die Solarforschung hat noch viele
Ansatzpunkte, um die Kosten weiter zu vermindern: Dünnere
Halbleitermaterialien in den Zellen etwa. Oder auch
"Stapelsolarzellen", die das Sonnenspektrum besser als bisher
ausnutzen können. Die einschlägige Forschung findet in
Instituten statt - vom Fraunhofer-Institut für solare
Energiesysteme in Freiburg über das Institut für
Solarenergieforschung in Hameln/Emmerthal bis zum Forschungszentrum
Jülich, das mit der Atomforschung anfing und inzwischen
weitgehend "konvertiert" ist.
Die Forschung an den Instituten ist jedoch
nicht allein auf die Technik beschränkt. Die Integration der
erneuerbaren Energien in das Stromnetz markiert eine weitere
Herausforderung. Dazu zählen auch Modelle zur Verbesserung der
Windprognose, die durch frühzeitige Planungen Geld einsparen
helfen. Zwei Forscherteams sind hier bereits weit fortgeschritten:
die Uni Oldenburg mit ihrem System "Previento" und das Institut
für Solare Energieversorgungstechnik in Kassel mit seinem
"Advanced Wind Power Prediction Tool".
Doch die erneuerbaren Energien sind nicht die
einzige Vision, mit der sich Energieexperten beschäftigen.
Eine andere Perspektive ist der Wasserstoff, eine vielversprechende
Speichertechnologie. Das Gas kann etwa mit Windkraft hergestellt
werden und steht dann bei Flauten als Energiequelle für die
Stromerzeugung zur Verfügung. Auch als Brennstoff für
Heizungen bietet sich Wasserstoff an. Die von dieser Technik
ausgehende Faszination überlagert freilich oft eine wichtige
Frage: Wie will man den Wasserstoff künftig gewinnen? Erzeugt
man das Gas mittels fossiler Energien, dann ist es nicht mehr
klimaneutral und damit nicht mehr umweltfreundlich. Gerade diese
letztere Variante aber wird zum Missfallen der ökologischen
Vordenker immer wahrscheinlicher. Das wurde im Herbst beim ersten
"Deutschen Wasserstofftag" in München deutlich, einem
Symposium der Linde AG und des Verbands der Deutschen Industrie.
Zwar warnte der eigens aus Washington eingeflogene Bestsellerautor,
Umweltaktivist und "Wasserstoffpapst" Jeremy Rifkin davor,
"schwarzen Wasserstoff" aus fossilen Energien herzustellen: Nur der
"grüne Wasserstoff" aus erneuerbaren Energien sei
umweltverträglich. Andere Referenten wie der deutsche
Wasserstoff-Stratege Carl-Jochen Winter ließen durchblicken,
dass sie auch mit Wasserstoff aus Kohle oder Erdgas "keine
Probleme" hätten. In der Tat wird Wasserstoff heute fast
ausschließlich mittels fossiler Energien erzeugt.
Längst ist den Visionären der
Umweltbewegung die Debatte um den Wasserstoff entglitten - in die
Hände der Industrie, die auf diesem Sektor für die
nächsten Jahre große Wachstumspotenziale sieht. Linde als
Vorreiter bei technischen Gasen in Deutschland hofft auf einen
milliardenschweren Markt. Die Firma Total hegt die Absicht, in
ferner Zukunft 135.000 Wasserstoff-Tankstellen in der EU
aufzubauen. DaimlerChrysler und BMW propagieren schon seit Jahren
Fahrzeug-Konzepte auf der Basis der Brennstoffzelle (Daimler) und
des Wasserstoff-Verbrennungsmotors (BMW).
Die Industrie hat sich sehr viel Wissen
über Wasserstoff und Brennstoffzellen erarbeitet. Der TÜV
Süddeutschland betont, dass Wasserstoff im Einsatz inzwischen
"so sicher wie Benzin" ist. Linde verfügt über
ausgereifte Verfahren, um den energiereichen Stoff entweder mit bis
zu 700 bar in Druckgasbehältern oder bei minus 253 Grad in
flüssigem Zustand zu speichern (was bislang als problematisch
galt). DaimlerChrysler hat die Leistungsdichte seiner
Brennstoffzellen in den vergangenen Jahren um das Zwanzigfache auf
ein Kilowatt pro Kilogramm gesteigert.
Brennstoffzelle bekommt Konkurrenz
Indes wird die Brennstoffzelle bei der
dezentralen und effizienten Energienutzung künftig auch
Konkurrenten bekommen. Auf dem Markt sind inzwischen
Stirling-Motoren, die nur Wärme benötigen, um in Bewegung
zu geraten und Strom zu produzieren. Gasturbinen werden zugleich
immer kleiner ("Mikrogasturbinen") und damit flexibler einsetzbar.
Auch Verbrennungsmotoren als "Blockheizkraftwerke" werden immer
effizienter. Im Idealfall werden diese Maschinen künftig
allesamt mit Biogas betrieben.
Bis 2050, so hoffen die Vordenker, könne
die Bundesrepublik komplett auf erneuerbare Energien umgestellt
sein. Doch mit den Prognosen ist das bekanntlich immer so eine
Sache. Als Greenpeace im Herbst 1991 ein Energiekonzept für
Deutschland vorstellte, schien dieses "Öko-Szenario" manchem
Kritiker reichlich illusorisch: Im Jahr 2010, so rechneten die
Umweltschützer damals ambitioniert vor, könnten
Windmühlen in Deutschland 30 Terawattstunden Strom erzeugen,
das sind 30 Milliarden Kilowattstunden. Doch es kam anders. Selbst
die größten Optimisten wurden inzwischen von der
Realität überholt: Deutschland wird das Ziel von 30
Terawattstunden Windstrom spätestens im Jahr 2005 erreichen.
Wenn die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt, dann
können selbst gewagte Prognosen übertroffen
werden.
Bernward Janzing ist freier Wissenschafts-
und Umweltjournalist in Freiburg.
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