Bernward Janzing
Auferstanden aus Ruinen - oder: Welche Rolle wird
die Atomkraft in Zukunft spielen?
Die Nuklearenergie galt lange als Auslaufmodell:
Inzwischen wird wieder mehr in die Forschung investiert. Für
junge Wissenschaftler ist das Fachgebiet aber wenig
attraktiv
Spötter haben an der Fusionsforschung seit Jahren ihre
Freude. Denn auf wundersame Weise rückt der Fusionsreaktor
immer weiter in die Ferne, je länger an diesem Vorhaben
gearbeitet wird. Im Jahre 1951 noch glaubten diese
wissenschaftlichen Pioniere, ihre Energiequelle innerhalb von
fünf Jahren erschließen zu können. Wenige Jahre
später sah man sich dann ein bis zwei Jahrzehnte vom
Durchbruch entfernt. 1971 schließlich sprachen die Experten
von einem Prototyp im Jahre 1995.
Und heute? Selbst Optimisten halten einen solchen Reaktor in der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts kaum mehr für denkbar.
Dennoch irrlichtert die Vision von der Kernfusion noch heute durch
die Köpfe. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in
Garching betreibt heute noch zwei Großexperimente mit
Fusionsapparaturen. Die Grundidee der Fusion: Die Energie kommt
nicht wie in Kernkraftwerken aus der Spaltung von schweren
Atomkernen, sondern aus der Verschmelzung von leichten
Atomkernen.
Auf europäischer Ebene ist es das Projekt des Iter, das die
Phantasien beflügelt. Iter steht für "Internationaler
thermonuklearer Versuchsreaktor". Einige Mitgliedsstaaten der EU,
allen voran Frankreich, wollen sich bei der Gemeinschaft jener
Länder, die Fusionsforschung betreiben, für dieses
Vorhaben bewerben. Obwohl die Iter-Anlage viele Milliarden Euro
kosten wird und als kapitalintensive Großtechnologie
eigentlich nicht mehr in die neuen, dezentraler werdenden
Versorgungsstrukturen der Stromwirtschaft passt, können sich
einige Nationen vom Gedanken an die Fusion nicht trennen. Auch die
EU-Energiekommissarin Loyola de Palacio hatte jüngst versucht,
in ihren Entwurf des EU-Grünbuchs für
Versorgungssicherheit die Kernfusion unterzubringen. Doch sie
scheiterte: Aus dem Buch flog die Technologie erst einmal wieder
heraus - weil ihr Einsatz auf absehbare Zeit nicht denkbar ist.
Freilich ist die Fusion nicht die einzige nukleare Energie, die
momentan deren Befürworter umtreibt. Auch die klassische
Atomkraft ist mancherorts wieder auf dem Vormarsch. In Europa ist
es der neue Reaktor "European Pressurized Water Reactor" (EPR), der
bei manchen Unternehmen Hoffnungen weckt, bei
Umwelt-Bürgerinitiativen indes Ängste schürt. Der
Siemens-Konzern und die französische Atomgruppe Areva wollen
jetzt den weltweit ersten EPR in Finnland errichten. Dessen Bau in
Olkiluoto soll rund drei Milliarden Euro kosten. Ans Netz gehen
soll dieser EPR 2009. Areva-Chefin Anne Lauvergeon sagt, mit diesem
Auftrag werde ihr Unternehmen zum großen Player bei der
"Renaissance der Atomkraft". Die Gigantomanie geht mit diesem
"Euroreaktor" in die nächste Runde: Mit 1.600 Megawatt
Leistung soll der EPR leistungsstärker sein als die heutigen
Meiler, die bis zu 1.300 Megawatt erreichen.
In den USA hat man den Beinahe-GAU von Harrisburg 1979
offensichtlich wieder vergessen. Energieminister Spencer Abraham
will Ende des Jahrzehnts das erste neue Kernkraftwerk bauen. 15
Milliarden Dollar will Präsident George W. Bush für
dieses Programm bereitstellen - eine Summe, mit der sechs bis
sieben zusätzliche Atommeiler finanziert werden könnten.
Die Reaktoren der neuen Generation sollen sicherer sein als alle
bisherigen und unter anderem auch zur Wasserstofferzeugung genutzt
werden - um somit Autos indirekt mit Nuklearenergie zu
betreiben.
In Deutschland dürfte das Thema Neubau zumindest in dieser
Legislaturperiode nicht akut werden. Doch von Seiten der CDU und
der FDP sind bereits deutliche Töne zu vernehmen - besonders
aus Baden-Württemberg, wo Unions-Regierungschef Erwin Teufel
im Verein mit mehreren seiner Minister "die Option Atomkraft
offenhalten" möchte.
Doch das sind einstweilen nur Versuchsballons, die über die
Politik hinaus bisher kaum Wirkung entfalten. Schließlich hat
zumindest in der Bundesrepublik ein ansehnlicher Teil der Forscher
den Pfad der Nuklearenergie mittlerweile verlassen. Beim GKSS in
Geesthacht, wo einst Atomreaktoren für Schiffsantriebe
entwickelt wurden, habe man heute "die Reaktorforschung auf Null
zurückgeschraubt", heißt es dort. Ein Forschungsreaktor,
der nach wie vor in Betrieb ist, werde "lediglich als
Neutronenquelle genutzt", um die Neutronen in der Material- und
Medizinwissenschaft einzusetzen. Auch die Kernfusion und die
Entsorgung von Strahlenmüll sind in Geesthacht kein
Forschungsthema mehr.
Deutlich zurückgefahren hat auch das Forschungszentrum
Jülich sein Atom-Engagement. Von allen Aktivitäten der
Einrichtung mache die wissenschaftliche Arbeit im Nuklearbereich
weniger als fünf Prozent aus, so die Auskunft in Jülich.
Es bleibt vor allem noch Karlsruhe. 30 Prozent der 3.500
Bediensteten des Forschungszentrums Karlsruhe sind heute noch im
Atomsektor aktiv. Die Hälfte von ihnen befasst sich mit der
Fusion, die andere Hälfte mit der Kerntechnik, worunter
einerseits die Sicherheitsforschung für bestehende Reaktoren,
andererseits die Entsorgung des Strahlenmülls fällt. Auch
Themen wie die Transmutation, also die Umwandlung langlebiger
Strahlenquellen in kurzlebige, werden in der badischen Stadt
verfolgt.
Während die deutschen Großforschungseinrichtungen
gerne ihr Engagement auf dem nichtnuklearen Feld hervorheben, sehen
Kritiker den Wandel noch nicht endgültig als vollzogen an. Der
forschungspolitische Sprecher der Bundes-Grünen, Hans-Josef
Fell, hat jedenfalls den Eindruck, dass in den Führungsetagen
der Institute "der Geist der Atomenergie allgegenwärtig" sei.
Es fällt dennoch schwer, sich ein Comeback der Kernenergie in
Deutschland vorzustellen. Zumal seit Jahren ein drastisch sinkendes
Interesse junger Leute an der Atomtechnik zu verzeichnen ist.
Dieses Indiz eines gesellschaftlichen Umbruchs könnte noch zu
einem Problem führen: In den kommenden Jahren dürfte es
an kompetenten Nachwuchswissenschaftlern fehlen. In der
Bundesrepublik, wo der Ausstieg beschlossen ist, könnte die
Zahl der Experten schneller abnehmen als die Zahl der Reaktoren.
Denn die Hochschulen für Kerntechnik registrieren kaum noch
Nachfrage. "Besonders an guten Leuten fehlt es", heißt es etwa
an der TU München.
Kein Wunder: Wer will heute noch ein Studium dieser Art
beginnen, wenn er davon ausgehen muss, dass seine Kenntnisse und
Fähigkeiten schon bald nach dem Examen nicht mehr gefragt sein
werden. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Deutschland, wo die
Atommeiler auslaufen sollen. Auch in Europa sind der Nuklearenergie
weithin die Mehrheiten verloren gegangen. Unter den derzeit 15
EU-Staaten hatten fünf Länder nie Kernkraftwerke gebaut,
zwei weitere (Österreich und Italien) haben ihre atomare
Ära längst beendet. Von den verbleibenden acht
EU-Mitgliedern haben Schweden, Belgien, die Niederlande und die
Bundesrepublik inzwischen einen Ausstiegsbeschluss gefasst. So sind
nur noch vier EU-Staaten übrig, die an der Nuklearenergie
einstweilen festhalten: Frankreich, Großbritannien, Finnland
und Spanien. Verschärft wird der Mangel an Fachleuten durch
eine Pensionierungswelle. Da die heutigen Atomwissenschaftler und
-techniker zumeist in den 70er-Jahren in ihren Beruf eingestiegen
sind, stehen viele von ihnen heute kurz vor der Rente.
Engpässe sind folglich zu erwarten.
Doch die Anhänger der Nuklearenergie wollen gegensteuern.
Um das von jungen Leuten so vernachlässigte Studium der
Kerntechnik wieder interessanter zu machen, haben sich zahlreiche
Hochschulen zur "World Nuclear University" (WNU)
zusammengeschlossen. Die neue Hochschule wurde im September
gegründet und wird ihren Sitz in London haben. Was die WNU
künftig genau machen wird, ist noch unklar. Im Vordergrund der
Aktivitäten soll eine bessere Vernetzung der
einschlägigen Universitäten stehen. Unter den deutschen
Forschungseinrichtungen ist die TU München mit ihrem
Garchinger "Institute for Safety and Reliability" im Netzwerk der
WNU vertreten.
Über mangelnde staatliche Mittel jedenfalls können
sich die nuklearwissenschaftlichen Institute in Europa kaum
beklagen. Denn auch im aktuellen sechsten Forschungsrahmenprogramm
hat die EU der Atomwissenschaft mit 1,23 Milliarden Euro erneut den
mit Abstand größten Etatposten eingeräumt. Für
die erneuerbaren Energien stellt Brüssel hingegen zusammen mit
den Effizienztechnologien nur 830 Millionen Euro bereit.
Diese Bevorzugung der Kernenergie hat international Tradition:
70 bis 80 Prozent der öffentlichen Energieforschungsmittel der
vergangenen 50 Jahre seien in der OECD für den nuklearen
Bereich ausgegeben worden, rechnet Forschungspolitiker Hans-Josef
Fell vor. Dennoch trage die Atomkraft heute weltweit weniger als
fünf Prozent zur Deckung des Energiebedarfes bei. Die
erneuerbaren Energien hätten dagegen schon einen Anteil von
mehr als zwölf Prozent am Weltenergieverbrauch - obwohl sie
international nur wenige Prozent der Forschungsmittel im
Energiesektor bekommen hätten.
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