Georg Turner
Die Zukunftsfähigkeit der Universitäten
in Deutschland
Konzept der Zukunft? Elitehochschulen sind
plötzlich en vogue
Seit Jahrzehnten sind die Hochschulen, vor allem die
Universitäten, Gegenstand des öffentlichen Interesses und
der Kritik. Das Unbehagen äußert sich mit Blick auf die
große Zahl der Studierenden (rund zwei Millionen insgesamt an
den Hochschulen, davon mehr als zwei Drittel an
Universitäten), der Überfüllung in einzelnen
Studiengängen (bis zu 10.000 in einigen
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten), der langen
Studiendauer (über 13 Semester), dem hohen Durchschnittsalter
der Absolventen (28 Jahre) und deren angeblich fehlendem
Praxisbezug. Dies und anderes wird als unerträglich empfunden;
es müsse geändert werden. Die Reform des Hochschulwesens
sei dringend und zwingend.
Die unterschiedlichen Interessen von Politik, Wirtschaft,
Verbänden und Betroffenen an dem, was Universität ist und
was sie hervorbringt, wirken sich in allen Bereichen aus, die
für das Gesamtgefüge der Institution entscheidend sind.
Sie können durch Gesetze - abhängig von den politischen
Mehrheiten - sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. In der
Vergangenheit sind die Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes als
Vorteil verstanden worden, weil auf diese Weise ein gewisses
Maß an Übereinstimmung und Vergleichbarkeit im
Hochschulwesen gewährleistet schien. Je deutlicher es aber
wird, dass es eine Illusion ist, von einem einigermaßen
gleichmäßigen Niveau in der Ausbildung und im Abschluss
auszugehen, verliert auch die Position an Boden, welche die
Einheitlichkeit des Hochschulwesens de iure erhalten
möchte.
Die Universitäten "in die Freiheit entlassen", wie es
Bundespräsident Herzog empfohlen hat, war darum die
konsequente Folgerung aus der gegebenen Situation. Die Gefahr, dass
politisch extreme Ausgestaltungen auftreten, ist nicht besonders
hoch einzuschätzen. Auch wenn sich inzwischen manche Stimmen
bemerkbar machen, welche die Schlachten um Mitwirkung und
Politisierung der Hochschulen erneut bestreiten wollen - ein
flächendeckender Unfug wird mutmaßlich nicht angerichtet
werden. Aber es gibt ein anderes Risiko, das unausweichlich
ist.
Mit dem Wegfall verbindlicher Rahmenbestimmungen wird die
Unübersichtlichkeit zunehmen und das Erscheinungsbild der
Hochschulen noch undeutlicher sein, als es das jetzt schon ist. Das
wird nicht nur die interessierte Öffentlichkeit zu spüren
bekommen, das werden Personalchefs in noch größerem
Maße als bisher zu beachten haben; vor allem aber werden es
die Studierwilligen und die Studierenden erfahren. Die
Informationen über die Hochschulen, insbesondere deren
Selbstdarstellungen, werden es sehr schwer machen, ein objektives
Bild zu gewinnen. Daran werden auch so genannte Rankinglisten
nichts ändern. Die Vielfalt wird verwirrend sein, aber andere
Möglichkeiten sind verspielt.
Die Universität der Zukunft ist kein Gebilde, das heute neu
konzipiert wird. Sie ist in ihren konkreten Ausformungen und mit
all ihren Eigenarten und Auffälligkeiten ein Produkt ihrer
Geschichte. Diese lässt sich nicht abschütteln. Die
handelnden Personen bringen ihr Wissen und ihre Erfahrungen ein.
Diejenigen Studierenden, die seit Ende der 60er-Jahre des vorigen
Jahrhunderts und später ihre Universitätsausbildung
erfahren haben, Entscheidungsträger von heute, kennen nur den
Typ Universität, der die akuten Probleme bereitet. Sie haben
Universität nur erfahren als Gegenstand der Auseinandersetzung
und als vom Zickzackkurs der Politik bestimmte Institution.
Die "zukunftsfähige" Universität
Es wird nicht "die" Universität der Zukunft geben. Unsere
Ausbildungs- und Forschungsstätten werden zwar eine
einheitliche Bezeichnung tragen, sich aber in noch
größerem Maße als bereits bisher voneinander
unterscheiden.
Wie sollte, wenn die Universitäten in die Freiheit
entlassen werden, das neue Gebilde aussehen? Von entscheidender
Bedeutung ist, welches Ziel bei der Aufgabenerfüllung verfolgt
wird. Begreift man die Hochschulen als Stätten, die ein
Spiegelbild der Gesellschaft sein sollen, in denen Mitwirkung und
politische Rechte geübt werden, sieht die Konstruktion anders
aus, als wenn man möglichst gute Leistungen bei optimalem
Mitteleinsatz anstrebt, das heißt wenn oberste Maxime ist:
Qualität in der Ausbildung und bei den Ergebnissen in der
wissenschaftlichen Arbeit sowie den Dienstleistungen unter
sparsamer Verwendung der verfügbaren Mittel. Das hat dann
für die zentralen Punkte, die das Geschehen an der Hochschule
bestimmen, ganz konkrete Bedeutung.
1. Bei der Zulassung zum Studium wird man die Vorstellung
aufgeben müssen, jeder, der die Reifeprüfung bestanden
hat, (erst recht jeder, der sie nicht erworben hat und über
die Berufstätigen-Klausel Zugang begehrt) sei
studierfähig. Aufnahmeprüfungen wären die
Konsequenz.
2. Zulassungsbeschränkungen bei größeren
Bewerberzahlen als vorhandener Kapazität sind
unerlässlich, will man denjenigen, die eingeschrieben sind,
eine angemessene Ausbildung garantieren.
3. Ebenso sind Studiengebühren nicht von vornherein des
Teufels. Allerdings sind sie nur vertretbar, wenn zugleich die
Förderung von Studierenden aus finanzschwachen Familien
geregelt ist. Geradezu gegenläufig zu der Forderung nach mehr
Freiheit und damit auch mehr Wettbewerb ist die Position der
Bundesregierung, wonach die Erhebung von Studiengebühren
für ein Erststudium verboten werden soll.
4. Es ist wettbewerbsfeindlich, an der Zentralstelle für
die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) festzuhalten. Zwar
würde die Abschaffung der ZVS und die damit verbundene
Notwendigkeit, sich an den Hochschulen direkt bewerben zu
müssen, für eine bestimmte Zeit zu erheblicher Mehrarbeit
an den einzelnen Institutionen führen, weil sich Kandidaten an
mehreren Einrichtungen bewerben müssten, um die Chance auf
einen Studienplatz zu wahren. Nach einer gewissen Zeit würde
sich aber herausstellen, wo welche Bewerber mit bestimmten
Voraussetzungen eine Chance der Zulassung haben. Profile und
Qualität der einzelnen Fakultäten kämen besser zur
Geltung.
Die Auswahl der Studenten durch die Hochschulen selbst
würde einen Markt schaffen, bei dem man wüsste, wo was
gefordert wird und wer an welchem Ort gute Möglichkeiten hat.
Es würde sich damit auch die unbegründete Behauptung von
selbst erledigen, die deutschen Universitäten brächten
keine herausragenden Absolventen hervor und man müsse deshalb
private Elite-Universitäten gründen. Zum einen gibt es
wie schon immer hervorragende Berufsanfänger, die von
deutschen Hochschulen kommen. Zum anderen käme es nach einer
Liberalisierung des Zulassungswesens mit Sicherheit schnell zu
einer Differenzierung dessen, was man die Hochschullandschaft
nennt, in anspruchsvolle, mittelmäßige und vielleicht
auch die eine oder andere darunter liegende Institution.
Pläne der SPD
Gerade plädiert die SPD für die Schaffung von
Elite-
universitäten nach amerikanischem Vorbild. Gemeinsam mit
den Bundesländern soll die Struktur der Hochschullandschaft so
verändert werden, dass sich die Universitäten in
Deutschland als internationale Spitzenhochschulen etablieren
können. Bedenkt man, dass nicht zuletzt unter dem Einfluss der
SPD Hochschulgesetze in Kraft getreten sind, die geradezu
kontraproduktiv für die Elitebildung sind, mag man den
neuerlichen Vorstoß als Umkehr begrüßen.
Solange die SPD keine Versuche macht, das Zulassungswesen zu
reformieren, das heißt die ZVS und die
Kapazitätsverordnung abzuschaffen und an dem durch sie in das
Hochschulrahmengesetz hinein gezwungenen Verbot der Erhebung von
Studiengebühren festhält, wirken solche Versuche hilflos
und mit heißer Nadel genäht.
5. Will man Verantwortung und mehr Finanzbewusstsein bei den
Hochschulen erzeugen, muss man ihnen einen Globalhaushalt
einräumen.
6. Das Studium muss den veränderten Bedingungen angepasst
werden, das heißt ein gestuftes Ausbildungssystem,
vergleichbar dem anglo-amerikanischen, muss eingeführt werden.
Nur so kann erreicht werden, dass Hochschulausbildung in
angemessenem Zeitrahmen stattfindet und den Fähigkeiten der
Betroffenen entsprechende Studiengänge angeboten werden.
7. Die Auswahl der neu zu berufenden Professoren hat allein nach
qualitativen Kriterien zu erfolgen. Hier ist eine besondere
Verantwortung der Hochschulleitung gegeben. Ob es angebracht ist,
den Staat völlig aus der Zuständigkeit zu drängen,
erscheint nicht nur wegen seiner finanziellen Beteiligung fraglich.
Gegenüber einer mit mehr Kompetenzen ausgestatteten
Hochschulleitung allerdings dürften keine Abweichungen von
eingereichten Vorschlägen ohne zwingende Begründung
vorgenommen werden.
8. Ohne eine so genannte starke Leitung auf der zentralen Ebene
und in den Fakultäten kann keine grundlegende Verbesserung der
Situation erreicht werden. Dies ist einer der wichtigsten Punkte im
Gesamtgefüge der für die Hochschulen relevanten
Einzelmaßnahmen.
9. Die Mitwirkung der Gruppen in den Gremien, lange Zeit
Gegenstand von Glaubenskriegen, hat zwar an Brisanz verloren; das
Thema flackert aber immer wieder auf. So werden im Rahmen der
Boykottmaßnahmen, fälschlich "Streik" genannt, erneut
Forderungen nach größerer studentischer Mitsprache
erhoben. Wer dem nachgeben will, kann sich gleich von den Zielen
einer Politik verabschieden, die Qualität und Effizienz in den
Vordergrund stellt. Auch bei geringer Wahlbeteiligung kann auf ein
Quorum verzichtet werden.
10. Die Gremien sollten nur beratende Funktion haben. An der
Spitze der Hochschule sollte ein Hochschulmanagement stehen,
gestaltet in Anlehnung an das Vorstandsmodell von Unternehmen.
11. Eine mit mehr Kompetenzen ausgestattete Hochschulleitung
bedarf keiner Staatsaufsicht in Sach- und Rechtsfragen. Hier wird
sich zeigen, wieweit die Freiheit geht, in welche die
Universitäten von den Ländern entlassen werden
sollen.
12. Die Rechte der Personalvertretung sind zum Teil unangemessen
ausgeweitet. Zum mindesten eine Rückführung auf das, was
den Betriebsräten in Unternehmen zusteht, wäre
sachgerechter als der Befund in einigen Bundesländern.
Effizienz und Leistung
Das hier entwickelte Grobkonzept ist, wie gesagt, an dem Ziel
von Effizienz und Leistung orientiert. Man kann alles auch ganz
anders machen. Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn der
Zustand an den Hochschulen nicht befriedigt.
Das aber ist das Risiko: in die Freiheit entlassen bedeutet,
auch in Kauf zu nehmen, wenn Konstruktionen gewählt werden,
die dem eigenen Standpunkt nicht entsprechen. Der Wettbewerb
zwischen den unterschiedlich ausgerichteten Institutionen wird dann
über den Erfolg - und eben auch über die
Zukunftsfähigkeit - entscheiden.
Der Autor ist em. o. Professor Dr. iur. Er war
Universitätspräsident (Hohenheim 1970 - 86),
Präsident der Rektorenkonferenz (Bonn 1979 - 83) und
parteiloser Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin
(1986 - 89).
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