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Eva Glauber
"Donner und Blitze über der Tatra"
Die innenpolitischen Krisen der
Slowakei
Den Slowaken steht ein turbulentes Jahr bevor.
Noch vor der Aufnahme des Landes in die EU, wird ein neuer
Staatspräsident gewählt, und wie ein Damoklesschwert
hängt darüber hinaus wieder einmal die Drohung einer
vorgezogenen Neuwahl des Parlaments über der Republik. Das
Land ist gespalten, die Bürger fühlen sich von der
konservativen Regierung geschröpft - und hoffen auf bessere
Zeiten. Obwohl das höchste Amt im Lande mit nur minimalen
Entscheidungskompetenzen des Staatsoberhaupts ausgestattet ist,
versprechen sich die Slowaken von der Direktwahl des
Präsidenten Besserung ihrer sozialen Situation.
Neben elf anderen Bewerbern kandidiert auch
der bisherige Präsident Rudolf Schuster. Als zweites
Staatsoberhaupt der unabhängigen Slowakei seit der Trennung
von Tschechien Anfang 1993 hat es der 70-Jährige dem
Regierungskabinett nicht immer leicht gemacht. Ende vergangenen
Jahres sträubte sich der Präsident etwa, zu dessen
umstrittenen Reformpaket sein Ja und Amen zu geben - jene Reformen,
die die Bürger nun empfindlich treffen. Doch Schusters Veto
wurde von der Parlamentsmehrheit überstimmt. Bei der
Präsidentenkür hat der jetzige Amtsinhaber und Bewohner
des schmucken Palais Grassalkovich - dem Amtssitz des
Staatsoberhauptes mitten in der Hauptstadt Bratislava (Pressburg) -
zudem starke Gegner. Neuesten Umfragen zufolge liegt Schuster daher
derzeit nur an dritter Stelle in der Gunst seiner Mitbürger.
Als Favoriten gelten - neben dem jetzigen Außenminister Eduard
Kukan - statt dessen auch der Ex-Premier Vladimir Meciar, der die
Umfragen mittlerweile anführt.
Auch der Populist Meciar, Gründer der
Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), ist im
Ausland kein Unbekannter. Zusammen mit seinem damaligen
tschechischen Gegenüber Vaclav Klaus boxte der ehemalige
Amateur-Faustkämpfer 1993 die Teilung der Tschechoslowakei
durch. Dafür liebten ihn die slowakischen Wähler und
hievten das Schwergewicht auf den Ministerpräsidentensessel.
Doch die Ära Meciars als Premier glich mafiöser
Machtaneignung. Bei der Privatisierung des staatlichen Eigentums
sollen sich vor allem seine Gefolgsleute und angeblich auch er
selber bereichert haben. Sein gespanntes Verhältnis zu dem
damaligen slowakischen Präsidenten Michal Kovac gipfelte in
einer bis heute nicht völlig aufgeklärten Entführung
des Präsidentensohnes. Außenpolitisch manövrierte
der bullige Ex-Premier das Land ins Abseits. Dennoch hat Meciar
nicht viel von seiner einstigen Popularität
eingebüßt. Bei den Parlamentswahlen 2002 errang die HZDS
die meisten Stimmen. Wegen des Zusammenrückens nahezu aller
politischen Gegner muss die Meciar-Partei dennoch die
Oppositionsbank drücken.
Dass die Demoskopen den EU-Skeptiker Meciar
und den weltoffenen Außenminister Kukan als chancenreichste
Kandidaten für das Präsidentenamt ausweisen, verdeutlicht
die Polarisierung in der Gesellschaft. Die christlich-liberale
Regierung von Premier Mikulas Dzurinda, die seit der letzten Wahl
2002 eine Vierer-Koalition bildet, hat zur gesellschaftlichen
Spaltung beigetragen. In der Rolle des Musterschülers bei der
Westintegration fand das bunte Bündnis seine Einheit in der
Vielfalt. Neben seinen Aufgaben als Regierungschef schuf sich
Dzurinda mit der neu gegründeten Demokratisch-Christlichen
Union (SDKU) eine liberale Basis gegenüber seiner
Herkunftspartei Christdemokratische Bewegung (KDH), die sich in der
erzkatholischen Slowakei auf Vatikan-Ebene bewegt: Die KDH hat im
postsozialistischen Land dafür gesorgt, dass in den Schulen
der obligatorische Religionsunterricht wieder eingeführt wird.
Der Koalitionspartner lehnt außerdem ein
Antidiskriminierungsgesetz strikt ab, das gleiche Rechte für
Homosexuelle garantieren sollte.
Zum Regierungsbündnis gehört
außerdem die Unabhängige Bürgerallianz (ANO), die es
2002 auf Anhieb schaffte, 15 von 150 Sitzen im Abgeordnetenhaus zu
besetzen. Die ANO - die Abkürzung des Parteinamens bedeutet im
Slowakischen "Ja" - ist eine wirtschaftsliberale Neugründung
von Pavol Rusko, dem "slowakischen Berlusconi". Der Medienzampano
wurde als Eigner des meistgesehenen Privatfernsehen "Televizia
Markiza" reich. Im Wahlkampf kannte der Kommerzsender auch keine
Skrupel, für die Partei des Chefs kräftig die
Werbetrommel zu rühren. Inzwischen hat Rusko seine Anteile an
"Markiza" in andere Hände gegeben und steht dem
Wirtschaftsministerium vor.
Der stabilste Partner im Regenbogen des
Regierungsbündnisses ist die politische Vertretung der 521.000
Ungarn in der Slowakei (SMK). Trotz gelegentlicher Zwistigkeiten
zwischen Slowaken und den magyarischstämmigen Mitbürgern
hat die SMK der Koalition Dzurindas die Treue bewahrt. Die elf
Prozent, die sie in den letzten Wahlen errang, entsprechen nicht
zufällig genau dem Anteil der ungarischen Minderheit in der
Slowakei.
Gestützt auf das fragile Fundament hat
der begeisterte Marathonläufer Dzurinda als Premier seit 1998
einen langen Atem bewiesen. Aufwind verschafft ihm derzeit vor
allem der Begeisterungssturm ausländischer Investoren. Denn in
der jungen Republik herrschen seit Jahresanfang so freundliche
Steuergesetze, dass sich die lange übersehene Slowakei mit
vier Prozent Wirtschaftswachstum den Beinamen "Tiger-Staat" ans
Revers heften konnte. In welchem anderen mitteleuropäischen
Land gibt es schon eine einheitliche Besteuerung von 19 Prozent,
die so genannte "Flat Tax", mit der die Unternehmen extrem
begünstigt werden? Und wo sonst gibt es so viele willige wie
billige Arbeitskräfte, die dazu noch hervorragend ausgebildet
sind? Wo noch in Europa liegt dennoch der durchschnittliche
Monatslohn bei 290 Euro?
Doch innenpolitisch werden die Reformen von
"Donner und Blitzen über der Tatra" begleitet - wie es in der
slowakischen Nationalhymne in etwas anderem Kontext heißt. Um
im finalen Galopp nach Europa den
Maastricht-Stabilitätskriterien Genüge zu tun, hat die
Regierung in Bratislava eine radikale Steuerreform mit Renten- und
Sozialkürzungen in Gang gesetzt, die sogar den Mittelstand
trifft. Für Rentner und Arbeitslose kommen die damit
verbundenen Preiserhöhungen einer Katastrophe gleich. Ein
kräftiger Anstieg der Armutsgrenze ist vorprogrammiert, unken
die Soziologen. Denn während das Lebensniveau in Bratislava an
der Westgrenze des Landes EU-Durchschnitt erreichen konnte, hat in
weiten Teilen der Provinz schiere Not Einzug gehalten. Darüber
erbost, brachten die Gewerkschaften immerhin 550.000 Unterschriften
zusammen, mit denen sie ein Referendum mit dem Ziel vorgezogener
Neuwahlen erreichen wollen. Den Durchschnitts-Slowaken werde noch
mehr abverlangt als bislang, vermuten sie. Dabei waren schon die
bisherigen Opfer, die sich in einer Arbeitslosenrate von 15 Prozent
ausdrücken, alles andere als ein Spaziergang durch den
Rosengarten.
Die soziale Verelendung hat auch Jozef Varga
aus der ostslowakischen Stadt Kosice (Kaschau) zur Selbstinitiative
getrieben. Er sammelt Unterschriften, denn Zeit hat der Arbeitslose
schließlich genug. In den 15 Jahren, die seit dem Sturz des
Kommunismus vergangen sind, hat der Enddreißiger seine Lektion
in Sachen Demokratie gelernt. Varga hat fast 1.000 Unterschriften
von Mitbürgern zusammengebracht. Er und seine
Unterstützer wollen den Sturz von Arbeits- und Sozialminister
Ludovit Kanik in der 400 Kilometer entfernten Hauptstadt
herbeiführen. "Wir, die Bürger der Slowakischen Republik
lehnen es ab, in Armut und in täglicher Angst um den Erhalt
unserer nackten Existenz zu leben", steht in Vargas Petition. "Mit
den Reformen von Minister Kanik sind wir nicht einverstanden, da
sie das Leben der mittellosen Menschen kurz vor dem Eintritt
unseres Landes in die Europäische Union in eine tiefe Krise
stürzen".
Mit seiner Wut auf die neueste Entwicklung in
seinem Land ist Varga nicht allein. Seine Heimatstadt Kosice ist
mit etwa 230.000 Einwohnern die Metropole des slowakischen Ostens
und die zweitgrößte Stadt nach Bratislava, die etwas mehr
als die doppelte Bevölkerungszahl aufweist. Unter der
"Diktatur des Proletariats" gab im Osten des Landes der Stahlgigant
VSZ mehreren zehntausend Menschen aus der gesamten Umgebung Arbeit.
Heute sind die Hüttenwerke in Besitz eines US-amerikanischen
Konzerns, der die postkommunistische Ära mit radikalen
Entlassungen spürbar gemacht hat. Die Arbeitslosenrate im
Osten der Slowakei schnellte in schwindelerregende Höhen -
zeitweise betrug sie 30 Prozent. Von Kosice sind es schlappe 94
Kilometer an die ukrainische Grenze - dem neuen Ende der
Europäischen Union.
Am schlimmsten geht es der Minderheit der
Roma. In manchen Landstrichen erreicht die Arbeitslosenrate dieser
Ethnie die 100-Prozent-Marke. Viele der offiziell gezählten
90.000, jedoch auf 500.000 geschätzten Roma der Slowakei sind
bei Wucherern verschuldet. Ein Teil der "Zigeuner" lebt in Slums
ohne Strom, Wasser und gepflasterte Straßen außerhalb der
Dörfer. Die Anfang des Jahres eingeführte Halbierung der
Unterstützung von Langzeitarbeitslosen zog sogar
Plünderungen von Lebensmittelläden nach sich - aus "purem
Hunger", wie die Roma beteuern. Sozialminister Kanik, einer der
Hauptautoren der Reformen, will eiligst einen
Arbeitsbeschaffungsplan für die Roma-Minderheit basteln. Mit
ähnlichen Maßnahmen waren zuvor sämtliche anderen
postkommunistischen Regierungen in der Slowakei
gescheitert.
Krank ist auch das slowakische
Gesundheitswesen. Nicht selten werden Spitäler wegen
Finanzmangel geschlossen. Immer wieder kommt es zu
Medikamenten-Engpässen, weil die Krankenversicherungen die
Rechnungen der Apotheken nicht begleichen können. Ebenfalls
angespannt ist die Situation auf dem Bildungssektor. Den Schulen
und Universitäten des Landes werden Gelder gestrichen, der
gute Ruf der Bildungsstätten schwindet dahin. Die Eliten
verabschieden sich in die Privatwirtschaft oder gehen gleich ins
Ausland. Wegen der miserablen finanziellen Lage der
Bildungseinrichtungen protestieren auch die Studenten.
Bei den resignierten Durchschnittsslowaken
profitieren davon nicht nur Politiker wie Robert Fico. Der Chef und
Gründer der Partei Smer (Richtung) ist ein gelehriger
Schüler des Altmeisters Vladimir Meciar. Der junge
Linkspopulist versprach im Wahlkampf allen alles - und seine
"Richtung" stimmte: mit 13,5 Prozent verstärkten die
Senkrechtstarter von Smer seither die Opposition im Parlament. Aber
auch Nostalgie ist bei vielen Slowaken angesagt. Zur allgemeinen
Überraschung zog nach den letzten Wahlen die kommunistische
KSS, die ihrer stalinistischen Vergangenheit nie wirklich
abgeschworen hat, wieder mit elf Abgeordneten ins
Parlamentsgebäude in der Nähe der Burg von Bratislava
ein. Die linke Stahlhelm-Fraktion darf sich inzwischen noch
größere Hoffnungen machen: In den wirtschaftlich
schwachen Gebieten der Slowakei würden inzwischen bis zu 30
Prozent der Wähler den Kommunisten ihre Stimme
geben.
Eva Glauber ist freie Journalistin in
Wien.
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