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Andrea Dunai
Noch verhält sich der Gesetzgeber oft wie
ein Macho
Ungarns Frauen müssen selbstbewusster
werden
"Braucht Ungarn überhaupt den Feminismus?",
fragte die führende ungarische Sozialwissenschaftlerin Zsuzsa
Ferge 1987. Sie wusste genau, warum sie diese Frage stellte. In der
Ära Kádár trug die durchschnittliche ungarische Frau
wie eh und je den Nachnamen ihres Ehemannes, ging täglich acht
Stunden zur Arbeit, kümmerte sich um den Haushalt und die
Kinder. Die berufliche Karriere galt als Männersache -
abgesehen von den Vorzeigefrauen in Partei und Staat.
Westliche Frauenforschung, die die
osteuropäischen Staaten nach der Wende mit Vorliebe zum
Gegenstand ihrer Analysen machte, musste in Ungarn zunächst
gründliche Aufklärungsarbeit leisten, denn die Wellen der
feministischen Bewegungen waren an den ungarischen Frauen
vollkommen spurlos vorbeigegangen. Frauen für Frauen haben in
der Ära Kádár nur einmal ihre Stimmen laut erhoben:
1973, als die Regierung plante, das Abtreibungsgesetz zu
verschärfen, hatten einige Studentinnen gegen diese
Maßnahme eine Unterschriftensammlung organisiert. Zur
Vollständigkeit gehört die Tatsache, dass diese
Aktivistinnen bereits vor der Wende das Land verlassen hatten, ohne
ihr geistlich-feministisches Erbe neuen Kandidatinnen zu
überlassen.
In diesem Nichts brach die politische Wende
von 1988/89 an. Das erste Zeichen der marktwirtschaftlichen
Umstellung, die Massenentlassungen, hat zunächst infolge der
Rationalisierung der Schwerindustrie die männliche
Gesellschaft getroffen. Erst später folgten die
Kündigungen in den administrativen Bereichen. Die westlichen
Forscher waren nach ihren ersten Interviews mit ungarischen Frauen
verblüfft, da die in ihren Augen objektiv schlechten
Verhältnisse aus Sicht der ungarischen Frauen gar nicht so
schlecht waren. Was sie vermissten, waren eher die guten, staatlich
geförderten Kindergärten und Schulen sowie die sicheren
Arbeitsplätze. Erst Mitte der 90er-Jahre veränderte sich
das Bild allmählich, und das auch nur, weil die
unerwünschten Nebenprodukte der westlichen Demokratie
plötzlich auch in Ungarn sichtbar wurden: die Entstehung der
Sexindustrie, die Behauptungen in den Medien, die die Frauen
für den abnehmenden Bevölkerungszuwachs verantwortlich
machten, und nicht zuletzt die Zunahme von Gewaltakten innerhalb
von Familien. So finden sich unter den landesweit 57.000
eingetragenen zivilgesellschaftlichen Organisationen nur etwa 150,
die ihre Sensoren auf die Belange der Frauen ausrichten.
Einige Frauen begannen allerdings, sich doch
intensiver mit ihren Rechten und ihrer Rolle in der Gesellschaft
auseinanderzusetzen. Die wahrscheinlich kämpferischste von
ihnen war Katalin Lévai. Die studierte
Sozialwissenschaftlerin, in den 70er-Jahren beteiligt an den
Aktionen der demokratischen Opposition, begriff die Wende als
einmalige historische Chance für die benachteiligten
Bevölkerungsgruppen, wozu die Frauen gehörten. Sie wurde
Mitbegründerin der Ungarischen Frauenstiftung MONA und
versuchte die verschiedenen sowohl generationsmäßig als
auch politisch unterschiedlichen Frauengruppen auf eine gemeinsame
Plattform zu bringen. Dies war kein einfaches Unterfangen.
Einerseits war die ungarische Öffentlichkeit in jeder
möglichen Frage gespalten, andererseits flossen die
notwendigen Förderungsbeträge, milde gesagt, ziemlich
schleppend in die Frauenorganisationen. Diese Situation
änderte sich erst als Frau Lévai im Kabinett Medgyessy
den Posten einer "Ministerin für Chancengleichheit"
erhielt.
Im Dezember 2003 war die "Bewegung
weißes Band" bereits in vollem Gange. Katalin Lévai hatte
Ungarns männliche Bürger - in Anlehnung an eine
kanadische Initiative - aufgefordert, als Beweis ihrer Ablehnung
von Gewalt gegen Frauen 16 Tage lang auf der Straße ein
weißes Band an ihrem Mantelkragen zu tragen. Die Abzeichen
sind leider in den verschneiten Budapester Straßen
vollständig untergegangen. Frau Lévai lässt sich
aber nicht so leicht entmutigen. Auf die Initiative der ehemaligen
Aktivistin der demokratischen Opposition wurde vor zwei Jahren das
Ministerium für Gleichstellungsfragen ins Leben gerufen. Nach
anfänglichen Schwierigkeiten ist sein Jahresetat nun
gesichert. Der Ministerin und ihren wenigen Mitarbeitern stehen
2004, in dem Jahr, das in Ungarn als Jahr der Erneuerung der
Wohlstandspolitik gilt, nun 13 Milliarden Forint (5,2 Millionen
Euro) zur Verfügung. Daraus finanziert die Ministerin nicht
nur eine Vermittlungstätigkeit zwischen den verschiedenen
Sektoren der Regierung, sondern betreibt ihr "eigenes Projekt": Die
Gründung des ersten Frauenhauses in Budapest.
Es ist gewissermaßen ihr "Kind". Die
Räume in der Nähe des Budapester Stadtwäldchens sind
bereits bemalt, letztendlich fehlen nur noch die
Einrichtungsgegenstände. Zur Klientel des Hauses werden
diejenigen Frauen oder Kinder gehören, die vor ihren
gewalttätigen Familien hier professionelle Hilfe suchen. Die
Initiative versteht sich als offenes Haus, das auch präventiv
gegen die Diskriminierung der Frauen vorgehen wird. Von hier aus
sollen Medienkampagnen, Informationsveranstaltungen in Schulen oder
Weiterbildungskurse für Romafrauen gestartet
werden.
Die Protagonistinnen der linksliberalen
Regierung verbinden mit dieser Initiative noch andere
Hintergedanken. Der Bevölkerungsrückgang in der
ungarischen Republik beginnt dramatische Züge anzunehmen. Laut
pessimistischer Prognose werden in 40 Jahren nur noch ungefähr
neun Millionen Menschen in Ungarn leben. Junge Frauen müssten
daher motiviert werden, Kinder zur Welt zu bringen. Auslöser
des Bevölkerungsrückgangs (nach der Wende wurden im
Durchschnitt jährlich 40.000 Kinder weniger geboren, als in
den 70er- und 80er-Jahren) seien in erster Linie die instabilen
Familienverhältnisse. Und darunter werden nicht
ausschließlich diejenigen subsumiert - insgesamt an die drei
Millionen im Land -, die unter dem Existenzminimum leben. Gerade um
dieses Thema Geburtenrückgang gibt es in Ungarn allerdings
eine heftige Kontroverse. So stellen Sozialarbeiter der alten
Schule die Frage gern konservativer: Für sie ist es nicht
normal, dass Frauen ungern Kinder gebären, und lehnen deshalb
die liberale Haltung nach dem Motto "Mein Bauch gehört mir"
ab. Der weltbekannte Genetiker Endre Czeizel wiederum plädiert
dafür, dass die Familien aufgrund von
Chromosomenuntersuchungen frei über das Geschlecht ihrer
Kinder entscheiden können. Die "halboffizielle" Haushebamme
Ágnes Geréb und ihre kleine Crew hingegen kämpfen
darum, aus der Illegalität herauszukommen und den
Gesundheitssektor dazu zu bewegen, Hausgeburten zu genehmigen und
ein Geburtshaus in der Nähe einer Klinik aufzubauen. Bis dahin
bleibt sie leider auf die Geldbörse ihrer Privatpatientinnen
angewiesen.
Die "kleine" und die "große" Politik
unterschieden sich kaum voneinander. Katalin Lévai und ihre
Mitstreiterinnen stoßen immer wieder auf massiven Widerstand.
Besonders hartnäckig scheinen manche Regierungsmitglieder zu
sein, obwohl ausgerechnet sie entsprechend den EU-Normen handeln
müssten. Bestimmte Reaktionen fielen einfach plump aus. So
lösten zu Beginn des vorigen Jahres veröffentlichte
Statistiken, wonach jede fünfte verheiratete Frau
regelmäßig geschlagen wird, bei Justizminister Péter
Bárándy keine Betroffenheit aus. Seine coole Haltung hat
er auch - in ungeschickter Weise - in seiner Rede anlässlich
des internationalen Frauentages vertreten: "Solange die
Gesellschaft Gewalt in den Familien akzeptiert, kann man gegen
dieses Phänomen nicht mit rechtlichen Regelungen vorgehen. Mit
der Gewalt in Familien ist es wie mit Gewalt außerhalb
derselben." Nur die politisch besonders Versierten wussten, dass
die zynische Haltung des Ministers nicht EU-konform war, umso
weniger, als die UNO bereits im August 2002 die Ungarische Republik
aufforderte, den tatsächlichen und potentiellen weiblichen
Opfern von Gewalttaten Rechtsschutz und -mittel zu
gewähren.
Typisch für die Behandlung des Problems
war auch die Parlamentsdebatte um das Allgemeine
Antidiskriminierungsgesetz. Eine neu gegründete
Dachorganisation von 40 Frauengruppen, das so genannte Bündnis
der Interessenvertretung der Ungarischen Frauen, richtete einen
Protestbrief an alle Regierungsparteien. Die Frauen
bemängelten in erster Linie die Tatsache, dass in dem
Gesetzentwurf die Besonderheiten der gegen Frauen, unter anderem
Romafrauen, gerichteten Diskriminierung mit keinem Wort
erwähnt werden. Es wurden insgesamt 98 Vorschläge zur
Besserstellung der Frau unterbreitet, doch die Staatsmänner
ließen sich durch die Vertreterinnen des "schwächeren
Geschlechts" nicht beeinflussen. Das Pauschalgesetz untersagt zwar
jede Art der Diskriminierung, trägt aber keineswegs dazu bei,
dass Bürgerinnen und Bürger des Landes, die von Haus aus
gehemmt sind, ihre Interessen souverän vertreten und ihre
Beschwerden mit mehr Nachdruck artikulieren können.
Nichts charakterisiert die Machohaltung der
Gesetzgeber hingegen besser als folgende Beispiel: Auf Druck des
privaten Mittelstandes verschwand die Pflicht für Unternehmer,
einen Gleichstellungsplan zu entwerfen, in Windeseile aus dem
Entwurf. Die Öffentlichkeit zeigte kein Zeichen von
Widerstand. Wie die Frauenaktivistin Ida Csapó sagte, "auf den
Rücken der ungarischen Frauen kann man Holz zerhacken, da sie
zum Erdulden sozialisiert wurden". Die meisten Ungarinnen und
Ungarn glauben leider nicht daran, dass die Politik ihre
Lebensverhältnisse verbessern wird.
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