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Norbert Mappes-Niediek
Selbstfindung zwischen Kirche und
Kommunismus
"Slovenia Incorporated" - ein weithin
unbekanntes Land
Der Mann mit den tiefen Stirnfalten sah dem
derzeitigen US-Präsidenten auffallend ähnlich. Er lockte
mit dem Finger, in der anderen Hand hielt er einen Colt: "I want
you for NATO, Slovakia!", sagte der Cowboy auf der Karikatur, die
pazifistische Studenten in Ljubljana überall an die
Litfasssäulen geklebt hatten: "Ich will dich in der NATO
haben, Slowakei!"
Von George W. Bush weiß man in der
Hauptstadt Sloweniens vor allem, dass er das Land in
öffentlicher Rede schon einmal mit der Slowakei verwechselt
hat. Die Plakate hingen im vorigen Jahr, als die Slowenen
außer über den EU- auch über den NATO-Beitritt
abstimmen sollten, und wurden allgemein freudig beschmunzelt. "Wenn
wir gegen die NATO stimmen, verwechselt uns wenigstens niemand
mehr", hofften die Kritiker des atlantischen Bündnisses
damals. Aber so etwas hätten die Slowenen nie getan. Exakt
zwei Drittel stimmten Ende März 2003 trotz drohenden
Irak-Kriegs für den NATO-Beitritt. Gegen die 90 Prozent
Zustimmung zur Europäischen Union war das immerhin eine klare
Abwertung. Ein typisch slowenisches Ergebnis: Man verschafft sich
Gehör, aber tut es vorsichtig. Der Spott über die Welt,
die Reserve gegen Werbung von außen, die Koketterie im Umgang
mit eigener Kleinstaatlichkeit, der Trotz und der Realismus -
alles, was Slowenien ausmacht, ließ sich in der Kampagne und
ihrem Ergebnis ablesen. Man setzt sich durch, meidet aber Debatte
und offene Feldschlacht um jeden Preis. Wenn ein kleines Land etwas
erreichen will, muss es die Gelegenheit suchen. Die Slowenen sind
Meister in dieser Disziplin.
Das war schon so, als das Ländchen vor
85 Jahren zum erstenmal ins Licht der politischen Geschichte
Europas trat. Der Erste Weltkrieg neigte sich seinem Ende zu. Die
Böhmen desertierten schon kompanieweise, und der junge Kaiser
in Wien musste fürchten, dass ihm seine schöne Monarchie
auseinanderfallen würde. Es war höchste Zeit, die
verbliebenen Bundesgenossen zu sammeln, und so bestellte Kaiser
Karl sich eines Tages im September des Jahres 1918 Hochwürden
Korosec in die Hofburg zu Wien, einen kaisertreuen und
gottesfürchtigen Mann, der ihm als Vertreter der Slowenischen
Volkspartei bekannt war. Der Kaiser hatte eine gute Nachricht und
eröffnete Anton Korosec, dass aus Österreich nun endlich
der von den Slowenen so lange schon geforderte Bundesstaat werden
solle. "Majestät", sagte der fromme Herr mit von Ehrfurcht
zitternder Stimme und schaute dann beschämt zu Boden. "Es ist
zu spät."
Das war eine Überraschung, denn die
Slowenen galten damals in Wien als kaisertreu. Nur wusste man eben
nicht viel von ihnen. Die vier Wörter, die der Priester
Korosec am Ende des Ersten Weltkriegs dem Kaiser zur Antwort gab,
könnten als Motto an allen Weggabelungen der slowenischen
Geschichte stehen. Immer hatte sich in dem kleinen Volk etwas
getan, was in den fernen Zentren keiner richtig mitbekommen hatte.
"Es ist zu spät" - das eröffnete Sloweniens KP-Chef Milan
Kucan vor dem endgültigen Auseinanderfallen Jugoslawiens in
Belgrad seinem serbischen Kollegen Borisav Jovic. Eine ganz
ähnliche Antwort hatten schon 1848 die deutschen Liberalen
bekommen, als sie ihre Genossen in Laibach nach Frankfurt in die
Paulskirche einluden, damit sie dort an einer gesamtdeutschen
Verfassung mitwirkten. Die Slowenen wollten erst keine Deutschen,
dann keine Österreicher, dann keine Jugoslawen mehr sein.
Immer verfügten sie gerade nur über die Macht, sich dem
Werben der größeren Mächte zu entziehen.
Mit Slowenien kommt ein weithin unbekanntes
Land in die Europäische Union. Nur draußen in
Brüssel, da kennt und lobt man zumindest die Wirtschaftsdaten:
"Slovenia Incorporated", wie das Land mit seinen ökonomisch
hoch professionellen Unterhändlern bei der EU-Kommission
genannt wird, hat Portugal und Griechenland im Pro-Kopf-Einkommen
schon lange überholt und müsste eigentlich als einziges
Beitrittsland vom ersten Tag seiner Mitgliedschaft an zu den
Nettozahlern gehören. Das allerdings hätte sich auf die
Stimmung der Slowenen verheerend ausgewirkt, und da sie sich, wie
wir schon wissen, gern zieren und manchmal ganz entziehen, hat man
ein Übergangsarrangement gefunden. Die Skepsis gegen Europa,
die von den Unterhändlern so bravourös genutzt wurde, ist
nicht grundsätzlich, aber sehr konkret - europäisch eben:
Es geht um die Agrarsubventionen - das obwohl die Landwirtschaft
nur vier Prozent des Sozialprodukts ausmacht -, um die
Quellensteuer, die Geschwindigkeit von
Banküberweisungen.
Dass es zu einem Nein hätte kommen
können, hat in Slowenien allerdings nie jemand geglaubt. "Wo
sonst sollen wir hin?", fragten sich öffentlich selbst
prominente EU-Skeptiker. Um zum eigenen Kosmos zu werden, ist
Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern zu klein. Dafür
verfügt das Land über eine reiche Erfahrung, wenn es
darum geht, eine Zentralgewalt auszutricksen. Die zuständigen
Referenten bei der EU-Kommission in Brüssel können davon
schon ein Lied singen. Vor allem wenn es um technische und
Umweltstandards ging, versteckten die Beamten in Ljubljana in ihren
Gesetzen und Verordnungen immer wieder gern protektionistische
Absichten. Bei der Privatisierung der 1.500 Betriebe aus
"gesellschaftlichem Eigentum" hatten Ausländer praktisch keine
Chance: Wer kaufen wollte, musste gleich 100 Prozent erwerben und
kam nur zum Zuge, wenn der Arbeiterrat zustimmte. Erst als die
Filetstücke in slowenischen Händen waren, wurde das
Gesetz geändert. Bei Vorhaltungen bekamen die Brüsseler
Beamten zu hören, man habe kaum die Verwaltungskapazität
anderer Beitrittsländer; schließlich hätten sie 1991
im Finanzministerium mit 20 Mann angefangen. Um Ausreden ist man in
Ljubljana nie verlegen.
Dass man das Land, wo die Liberalen "links"
und die Sozialdemokraten "rechts" stehen, als Ausländer nicht
begreift, hat seinen logischen Grund: Es ist zu klein. Große
Staaten gehorchen nachvollziehbaren, erlernbaren Regeln. Die
Slowenen dagegen kennen sich alle von Kind auf. Die gesamte
politische Klasse von heute hat gemeinsam in den Oberseminaren
derselben Jura-, Volkswirtschafts- und Politologie-Ordinarien an
der Uni Ljubljana gesessen und jeder weiß vom anderen, was der
vor 20 Jahren für einen Unsinn geredet hat. Wenn man den
Premierminister Anton "Tone" Rop kennen lernen will, so kann man
sich in gepflegtem Englisch seine Visionen vortragen lassen. Will
man aber über Rops Regierung eine Prognose wagen, sollte man
wissen, dass er mit dem Fußball-Nationaltrainer Srecko Katanec
im Kindergarten war, zusammen mit dem einflussreichsten
Ökonomen des Landes, Vlado Dimovski, Seminararbeiten
geschrieben hat und wer in den 80er-Jahren bei der
Planungsbehörde in Ljubljana seine Zimmergenossen waren:
nämlich der heutige Europaminister Janez Potocnik und der
spätere Premier Lojze Peterle. Wer das alles nicht weiß,
kann einpacken. Einmal, im Jahr 2000, hat mit Andrej Bajuk ein
Emigrant die Regierung geführt. Nach drei Monaten war er am
Ende.
Dass sich alle kennen, bedeutet nicht, dass
sie sich auch vertrügen. Im Gegenteil: In der politischen
Klasse des Landes herrschen bittere Feindschaften. Die
innerparteilichen kommen aus persönlichen Verletzungen - so
hat in den 90er-Jahren ein einziger Politiker der Volkspartei,
Marjan Podobnik, mit ein paar gelungenen Intrigen das Klima im
ganzen bürgerlichen Lager nachhaltig vergiftet. Die
großen Feindschaften aber haben eine historisch ernste
Ursache: Im Zweiten Weltkrieg haben Slowenen auf Slowenen
geschossen, und ein Bürgerkrieg in einem so kleinen Volk wirkt
noch viel schlimmer nach als in einem großen.
Bis heute ist die Szene von zwei
unversöhnlichen Lagern geprägt: dem linken und dem
rechten. Das "linke" Lager besteht, merkwürdig genug, aus den
Liberaldemokraten, die auch Mitglied der gar nicht linken Liberalen
Internationalen sind, einer Vereinigten Liste der Sozialdemokraten
und der Rentnerpartei Desus. Die drei Parteien haben gemeinsam,
dass sie aus verschiedenen Strömungen und Untergliederungen
des Bundes der Kommunisten hervorgegangen sind, dass sie die
gleiche Sicht der Geschichte pflegen und dass sie mit
radikal-liberalen Konzepten nach US-Muster nichts im Sinn haben.
Das rechte Lager setzt sich aus der schon erwähnten
Volkspartei, einer christdemokratischen Partei namens Neues
Slowenien und, als stärkster Kraft, den Sozialdemokraten unter
Janez Jansa zusammen. Koaliert wird seit langem über die
Lagergrenzen, sagt aber jemand ein historisches Reizwort, sammeln
sich alle wieder bei ihren jeweiligen Fähnlein.
Die Lager sind im 19. Jahrhundert entstanden.
In der politischen Landschaft Österreich-Ungarns gehörten
die Slowenen klar nach rechts, zu den Kaisertreuen, Katholischen.
Der Fortschritt war deutsch. Deutsch sprach man auch in den
Städten Laibach und Marburg, die erst damals ihre slowenischen
Namen Ljubljana und Maribor bekamen. Slowenisch war von gestern. So
redeten die Bauern und die Landpfarrer, die ihnen aufs Maul zu
schauten. Dem Thron in Wien kam der damals erwachende slowenische
Nationalismus entgegen, denn er bot ein Gegengewicht gegen die
deutschen Liberalen. Die Slowenen fürchteten den Ungeist der
Städte und die Eisenbahn von Graz nach Triest, die das moderne
Denken in ihr heiliges Land zu bringen drohte. Sie blieben dem Hofe
treu.
Eine richtige Nation wurden die Slowenen
erst, als sich nicht mehr nur Landpfarrer, sondern auch
städtische Liberale zum Slowenentum bekannten. Das linke Lager
Sloweniens entstand im Laibach der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts,
typisch slowenisch, mit dem Bruch einer Freundschaft. Der junge
Graf Auersperg, der sich Anastasius Grün nannte, und der etwas
ältere France Preseren übten sich gemeinsam an Lyrik in
der originellen Volkssprache ihrer Heimat. In der 48er Revolution
musste Grün entsetzt feststellen, dass sein Freund Franz sich
lieber mit den volkstümelnden Pfaffen gemein machte als mit
den deutschen Liberalen. Indem Preseren, heute als
größter Dichter des Landes verehrt, die nationale
Zugehörigkeit über die politische stellte, war aus einer
konservativen Bewegung eine Nation geworden, die von Anfang an
bedroht war: Im späten 19. Jahrhundert wurde den
Deutsch-Österreichern klar, dass sich das Reich gegen den
Nationalismus der slawischen Völker nicht mehr lange
würde halten lassen; da wollte man wenigstens für das
eigene Volk einen möglichst großen Batzen
herausschneiden. Friedliche und völlig politikfreie
slowenischsprachige Dörfer erschienen den Deutschtümlern
auf einmal als Bedrohung. Eine "Brücke" aus "deutschen"
Gebieten sollte Graz und Triest verbinden. Ein Verein Südmark
wurde gegründet, dessen Ziel es war, slowenische Gebiete zu
germanisieren - es gibt ihn übrigens immer noch, und er
residiert noch immer unter derselben Grazer Adresse wie damals. Man
kaufte verlassene Höfe zwischen Graz und Maribor auf, um sie
an Bauern aus dem Deutschen Reich weiterzugeben. Zwischen 1906 und
1914 brachten die "Umvolker" es auf 64 Siedlerfamilien mit 368
Personen.
Die Urangst vor der Verdrängung durch
deutsche Sprache und Kultur hat sich bis heute gehalten. Aufs
höchste alarmiert reagierte das ganze Land, als vor ein paar
Jahren die Regierung in Wien einen Grazer Professor schickte, der
nachweisen sollte, dass es in Slowenien eine "deutschsprachige
Minderheit" gebe. Der Mann fand tatsächlich ein paar alte
Leute, die in ihrer Kindheit deutsch gesprochen hatten. Den
Gedanken, dass es sich um eine Volksgruppe handelte, konnten die
Slowenen nicht akzeptieren: Wenn einer hier ein Deutscher ist, sind
wir es am Ende alle, war die Furcht. Der "Volkstumsstreit" um
Slowenien wurde nicht zwischen ethnischen, sondern politischen
Gruppen geführt. Wer sich als "Slowene" bekannte, sprach meist
genauso gut deutsch wie sein "deutscher" Nachbar, der sich mit
seinen Großeltern nur auf Slowenisch unterhielt. Nicht "Nemci"
nannten die Slowenen die Deutschen im eigenen Land, sondern
"nemcuri" - solche, die nur so tun als ob. Weil es ein
Familienstreit war, fiel die Abrechnung 1945 besonders brutal aus.
Nirgends in Jugoslawien wurden so viele "Deutsche" ermordet wie in
Slowenien.
Solange Slowenien zu Österreich
gehörte, blieb die katholische Rechte dominant. Als die
Monarchie zerbrach, waren es erst die Liberalen und dann die
Klerikalen, die sich für den Anschluss an den neuen Staat
Jugoslawien entschieden. Für sie gab schließlich den
Ausschlag, dass in Belgrad immerhin ein frommer König
regierte, während in Wien die roten Horden tobten. Umgedreht
haben die politischen Verhältnisse erst die Nazis, die die
Slowenen mehrheitlich nicht für "slawische Untermenschen",
sondern für "eindeutschungsfähige" Germanen hielten und
ihnen unter der Besatzung ein vergiftetes Angebot machten: Wer
"deutsch" wurde oder "windisch", also slowenisch sprach und deutsch
fühlte, durfte bleiben, wer nicht wollte, dem drohte
Vertreibung.
Die katholische Kirche arrangierte sich mit
den deutschen und italienischen Besatzern, die Linke nicht. Am Ende
kämpften "Domobranen", die kirchentreuen Truppen der
deutschfreundlichen Marionettenregierung, gegen Titos Partisanen,
die in Slowenien mehr Zulauf hatten als im übrigen
Jugoslawien. Seither gilt die Kirche in den Augen nationaler
Slowenen als kompromittiert. Bis heute vergisst kein Journalist in
einem Zeitungsportrait zu erwähnen, ob der Beschriebene aus
einer Partisanen- oder einer Domobranenfamilie kommt.
Für die praktische Politik spielt die
Unterscheidung keine Rolle. Sind aber Reflexe und Ressentiments
gefragt, lässt sie sich trefflich nutzen. Der Christdemokrat
Lojze Peterle erinnert sich heute noch mit Bitterkeit, wie die
Linke ihn abmeierte. Die Rechtsregierung in Italien veranstaltete
damals ein Lamento über die Grundstücke, die Italiener
bei ihrer Aussiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg in Slowenien
hatten aufgeben müssen. Peterle taktierte geschickt mit Rom
und erreichte schließlich einen günstigen Kompromiss. Als
er dann aber mit seinem Ergebnis ins Parlament nach Ljubljana ging,
brach der heilige Zorn der Linken über ihm zusammen: Verrat
sei das, Ausverkauf nationaler Interessen! Peterle musste gehen.
Sein Nachfolger, ein Linker, verhandelte nach und stieg deutlich
schlechter aus. Diesmal blieb das Parlament ruhig. Peterle war
Christdemokrat. Warf ihm jemand nationale Unzuverlässigkeit
vor, wurde das in ganz Slowenien geglaubt.
Auch die Rechte pflegt ihre Komplexe: Nie
haben es die Antikommunisten verwunden, dass es die Kommunisten
waren, die das Land in die Unabhängigkeit führten. Noch
immer erfüllt sie es mit Staunen, dass die Slowenen in ihrer
Mehrheit gar nicht das Gefühl haben, sie hätten 1991 von
ihren Kommunisten "befreit" werden müssen - schon in den
80er-Jahren hatten pragmatische Leute wie Kucan die Dissidenten in
der Republik nach Kräften gegen Belgrad in Schutz genommen und
die berüchtigten nationalen "Meetings" des Slobodan Milosevic
in Ljubljana verhindert.
Norbert Mappes-Niediek lebt als freier
Journalist und Buchautor in der Nähe von Graz.
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