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Norbert Mappes-Niediek
Der Zwergtiger am Südrand der Alpen
Die slowenische Wirtschaft hat die Verluste
durch den Jugoslawienkrieg kompensiert
So gut war die Laune im Hotel Bosna, dem
zentralen Hotel von Sarajevo, schon lange nicht mehr. Gleich am
ersten Tisch vorn an der Theke wird gelacht und gezecht, wie es gar
nicht die Art der hektischen Journalisten und steifen Diplomaten
ist, die sich sonst hier ein Stelldichein zu geben pflegen. Noch
eine Runde Loza, den klaren bosnischen Schnaps, zu den
fröhlichen drei Männern an Tisch eins!
Die Slowenen sind wieder da. Im vorsichtigen,
kriegserfahrenen Bosnien fallen die munteren nördlichen
Nachbarn sofort auf, auch wenn sie die Landessprache ziemlich
perfekt beherrschen. "Das mit dem Krieg, Leute", sagt der Ingenieur
aus Maribor mit entwaffnender Offenheit, "habe ich auch nicht
verstanden." Die Rückkehr der Slowenen ist ein gutes Zeichen.
Wo sie auftauchen, riecht es nach Geschäft statt nach Gefecht.
Die drei Reisenden in Sarajevo sind Straßenbauer. Sie kennen
alle Durchgangsrouten, wissen, wie hierzulande die Kurven gezogen
werden und welchem Gestein man trauen kann, können mit
korrupten Beamten Klartext reden und, besonders wichtig, die
komplizierten Machtverhältnisse in Unternehmen und Banken
entschlüsseln.
Sloweniens Wirtschaft hat sich für ihre
Verluste durch den jugoslawischen Krieg längst schadlos
gehalten. Schon 1996, als kaum die Waffen schwiegen und im
zentralbosnischen Zenica erstmals wieder eine Messe stattfand,
kamen von 320 Ausstellern 92 aus Slowenien. Das erste
Managertreffen zum Wiederaufbau des zerstörten Landes fand
statt, als der Waffenstillstand gerade zwei Wochen alt war.
Albanische Firmen aus dem Kosovo wickeln ihre EU-Geschäfte am
liebsten über Slowenien ab - dort denkt man europäisch,
versteht aber auch die Probleme in Prishtina. Ljubljana
präsentiert sich als Drehscheibe, und die Balkanstaaten
springen gerne auf. Als alle noch Teilrepubliken Jugoslawiens
waren, trieben sie naturgemäß besonders intensiven Handel
miteinander: Der Bundesstaat verfügte schließlich, auch
wenn jede Statistik separat für die Teilstaaten geführt
wurde, über so etwas wie eine arbeitsteilige Binnenwirtschaft.
Slowenien, der am meisten entwickelte Teil, war das Land der
Endfertigung und der Markenproduktion, der weniger entwickelte
Süden lieferte Rohstoffe und Halbfertigprodukte. "Die
Slowenen", pflegte man in Jugoslawien zu sagen, "melken die
serbischen Kühe und machen Alpenmilch daraus." Vom
zwischenstaatlichen Austausch ist nach Krise und Krieg kaum etwas
geblieben: Von drei Milliarden Dollar im letzten Vorkriegsjahr ging
das Handelsvolumen bis 1994 fast auf ein Fünfzigstel
zurück. Das Land orientierte sich ganz nach Westen und kam
nach fünf Jahren zurück auf die balkanischen Märkte
- wie der Vetter, der in der Emigration reich geworden ist: Er
kommt gern mit den Daheimgebliebenen ins Geschäft, will aber
die neu erworbenen Standards nicht mehr preisgeben.
Einiges hätte er vielleicht anders
gemacht, sagt Joze Mencinger, 1990/91 erster nichtkommunistischer
Wirtschaftsminister Sloweniens und heute Rektor der
Universität Ljubljana. Aber wenn er sich das Ergebnis
anschaue, dann hätte es besser kaum laufen können. Die
kleine Republik steht nach 13 Jahren am Ende einer gelungenen
Transformation. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt heute bei 71 Prozent
des EU-Durchschnitts, über den Werten von Griechenland und
Portugal. Die Arbeitslosigkeit, die lange hoch war, geht seit zwei
Jahren zurück und unterschreitet inzwischen den Durchschnitt
der Gemeinschaft. Der Oppositionspolitiker Lojze Peterle, damals
Premierminister, mag seinen Widersachern in der Regierung nicht gar
so viele Rosen streuen. Aber was in Slowenien anders wäre,
wenn er mit seinen Christdemokraten und nicht die Nachfolgeparteien
der KP die Regierung gestellt hätte, kann auch Peterle nicht
recht sagen. Spontan fällt ihm ein, dass es mehr Privatschulen
gäbe, mehr katholische Kindergärten und mindestens eine
konservative Tageszeitung - nicht gerade Essentials einer
demokratischen Marktwirtschaft.
Wichtigster Faktor des Erfolgs ist nach
einhelliger Meinung die gute Ausgangslage. Jugoslawien sei
schließlich seit 1952 nicht mehr planwirtschaftlich
organisiert gewesen, die Firmen im "sozialen Eigentum" hätten
sich seit langem schon "fast wie normale Unternehmen" verhalten.
Konsens ist aber auch, dass es gut war, den "big bang", den
wirtschaftlichen Schock, möglichst zu vermeiden - die
Privatisierung und Sanierung aller großer Unternehmen Hals
über Kopf, begleitet von Massenentlassungen.
"Glücklicherweise hat der Weltwährungsfonds unsere
Pläne für einen gleitenden Übergang damals nicht gut
geheißen", sagt Mencinger, "unter der Regie des IWF wäre
es weniger glimpflich abgegangen." Die Form der Privatisierung, die
sich lange hinzog und die Management und Belegschaft stark
bevorteilte, hat zwar wenig Kapital ins Land gebracht, aber auch
wenig Unruhe erzeugt.
Vor allem von außen hat es dagegen
kräftig Kritik gehagelt. Das kleine Land am Südrand der
Alpen galt als protektionistische Festung, die sich geschickt gegen
Konkurrenz und ausländische Direktinvestitionen abschloss. Die
meisten Engagements internationaler Konzerne - Renault, Semperit,
Henkel, Siemens - haben ihren Ursprung noch in jugoslawischer Zeit.
Erst viel später kamen wieder in größerem Stil auch
Ausländer zum Zuge. Die beiden wichtigsten Kreditinstitute,
Nova Ljubljanska banka und die Nova kreditna banka Maribor, bekamen
strategische Partner. Ein Mobilnetz ging an die Österreicher,
mit der Telekom wird gewartet, bis die Preise sich wieder erholt
haben. Im Medienbereich tobt ein Abwehrkampf gegen die benachbarten
Österreicher. Vergeblich hatte sich der
konservativ-katholische Styria-Konzern in Graz darum bemüht,
die wichtigste Tageszeitung "Delo" in Ljubljana zu übernehmen,
was einer Kulturrevolution und der ärgsten nationalen
Erschütterung seit dem Zehn-Tage-Krieg des Jahres 1991
gleichgekommen wäre. Jetzt versuchen es die Österreicher
von außen und verteilen eine Gratis-Zeitung.
Dass ausländische Investitionen - etwa
im Vergleich zu Ungarn oder Tschechien - eine eher geringe Rolle
spielen, hält etwa Joze Damijan vom
Wirtschaftsforschungsinstitut jedoch nicht unbedingt für einen
Vorteil. Anderswo hätten die Investoren immerhin neue
Technologien gebracht, mit denen es in Slowenien noch eher schwach
aussehe. Firmen mit ausländischer Beteiligung, so ein
Vergleich in acht Übergangsländern, wachsen schneller,
zahlen höhere Löhne und verfügen über das
besser qualifizierte Management. Die Nachfrage nach slowenischen
Betrieben war lange Zeit größer als das Angebot - ein
Sonderfall unter den Übergangsländern der 90er-Jahre. Wo
ausländische Investoren sich etablieren konnten, sind sie voll
des Lobes über die Produktivität, die Arbeitsdisziplin,
die sauberen Geschäftssitten. Bei Iskratel, einer großen
Telekom-Firma mit Siemens-Beteiligung in Kranj, etwa liegt die
Rendite deutlich höher als anderswo im Konzern. Die starke
Identifizierung der Slowenen mit ihren Firmen, die früher alle
"der Gesellschaft" gehörten und von der Belegschaft selbst
verwaltet wurden, schätzt Sighart Seidel, stellvertretender
kaufmännischer Direktor, als Vorteil: "Ganz Kranj ist stolz
auf unser Telefonvermittlungssystem."
Während etwa das hoch verschuldete
Ungarn schon deshalb seine wichtigsten Betriebe ins Ausland
verkaufen musste, weil es sonst seine Haushaltsnöte nicht
gemeistert hätte, schaffte es Slowenien, die Kontrolle
über die wichtigsten Unternehmen zu behalten. Die
größten Eigentümer im Land sind heute
öffentliche Fonds, etwa der gesetzlichen Rentenversicherung.
Als strategisch agierende Unternehmer treten diese Finanzfonds
nicht auf. Sich über Investitionen, neue Märkte und
Produkte Gedanken zu machen, ist nach wie vor Aufgabe des
Firmenmanagements. Zumindest in dieser Hinsicht hat die
Privatisierung also wenig geändert: Noch immer sind die
wichtigsten Firmen de facto im öffentlichen Besitz. Nur
dürfen die Arbeitnehmer ihre Manager nicht mehr
wählen.
Mit der EU gibt es kaum Probleme. Die
Landwirtschaft ist nicht konkurrenzfähig, macht aber auch nur
vier Prozent des Sozialprodukts aus. Fast hätte das Land von
Anfang an zu den Nettozahlern gehört: 75 Prozent des
EU-Durchschnittseinkommens ist die Obergrenze für
förderungsfähige Regionen, Slowenien liegt bei 71. Gerade
weil der Abstand zu den Altmitgliedern kaum ins Gewicht fällt,
wird zwischen Brüssel und Ljubljana mit jedem Euro, ja mit
Tolar gerechnet. Der Wirtschaftsforscher Boris Majcen etwa
hält es für einen Fehler, dass Slowenien in den letzten
Jahren so viel in seine Infrastruktur investiert hat: "Das war zu
früh. Hätten wir gewartet, zahlte vermutlich die EU." Bis
zum Tag der Beitrittsentscheidung musste der Kandidat sich als
reich und erfolgreich präsentieren, von da an nützt es
ihm, sich arm und hilfsbedürftig zu geben. Die Debatte
über Übergangsfristen bei der Freizügigkeit wird in
Ljubljana leicht beleidigt kommentiert. Niemand rechnet mit
Arbeitsemigration. Diesen Umstand aber dann den Slowenen gerade als
Argument für lange Übergangsfristen vorzuhalten, nennt
Europaminister Janez Potocnik eine "etwas perverse Logik".
Politisch schließlich genießt das Land eine manchmal
schon unheimliche Stabilität. Nachfolger der kurzzeitigen
Allparteienregierung, die das Land 1991 in die Unabhängigkeit
führten, wurden die Liberaldemokraten, die seither bis auf ein
kurzes konservatives Intermezzo ununterbrochen regieren.
Staatspräsident Janze Drnovsek war zuvor zehn Jahre lang
Premierminister, sein Nachfolger Tone Rop führte zuvor das
Finanzressort.
Als erster Kandidat fühlen die Slowenen
sich auch beim Beitritt zur Euro-Zone, auch wenn niemand dabei
besondere Eile an den Tag legt; die Rede ist vom Jahr 2008. Der
Tolar flottiert seit 1991 frei, eine Strategie, die anfangs als
riskant eingestuft wurde, sich aber nach Mencingers Meinung
bewährt hat. Um die Währung halten zu können, wehrte
sich Slowenien lange gegen Portfolio-Investitionen, weil sie ein
Risiko für den Tolarkurs bedeutet hätten. Bei den
Maastricht-Kriterien hätte das Land nur mit der traditionell
eher hohen Inflation Probleme. Ihre Senkung auf 6,1 Prozent im
bisher preisstabilsten Jahr 1999 verwandelte sich durch
Ölpreiserhöhung und Gehaltsanhebungen für Beamte
wieder in einen Anstieg.
Mencinger hält es für "eine Art
Wirtschaftswunder", dass Slowenien zu Beginn der 90er-Jahre den
Verlust des einstigen jugoslawischen Marktes derart rasch mit
Exporten in die Länder der Europäischen Union erfolgreich
kompensieren konnte. Nach dem glänzenden Sieg an der
wirtschaftlichen Westfront richten sich die Augen des umgewandelten
Slowenien wieder nach Südosten: Die Exportraten vor allem nach
Jugoslawien steigen inzwischen sprunghaft an, Firmen nutzen ihre
alten Kontakte und ihre Kenntnis von Sprache, Märkten und
Mentalitäten. In Bosnien-Herzegowina ist der einstige
Bundespartner schon der größte ausländische
Investor. Mit potenten westlichen Kapitalgebern im Rücken
könnte Slowenien dort sein zweites Wunder vollbringen - mit
Industrieexporten, aber auch mit Bankgeschäften und Consulting
für international agierende Konzerne und westeuropäische
Mittelständler.
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