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Norbert Mappes-Niediek
Zwischen Mur und Drau
Unbekanntes Weinland Slowenien
Kleine Hügel mit Weinreben, in den Tälern dichte
Buchenwälder: Es ist eine friedliche, unspektakuläre
Landschaft, abwechslungsreich und kleinförmig, die sich da
zwischen den Flüssen Mur und Drau ausbreitet, Gegend im
Hintergrund, wie bukolische Landschaftsmaler im 18. Jahrhundert sie
mochten. Wer hier in der Prlekija die "Weinstraße" sucht,
findet sie überall und nirgends.
Vom schmucken k.k.-Bezirksstädtchen Ormoz an der Drau nimmt
man eines der schmalen Sträßchen links hinauf in die
Berge und landet dann aus dieser oder jener Richtung unweigerlich
in Jeruzalem, dem kleinen Zentrum eines von Reisebussen und
besoffenen Kegelclubs ganz unberührten Anbaugebiets. Jeruzalem
ist kaum mehr als ein Weinberg mit einer Kirche und einem Gasthaus
oben drauf. Er ragt mit seinen 340 Metern nur ein klein wenig
über die Nachbarhügel hinaus, genug aber, dass man hier
an klaren Tagen bis zum ungarischen Plattensee schauen kann. Im
Gasthaus gibt es, im Schatten eines alten Baumgartens, den
Weißwein, der 50 Meter weiter unten angebaut wird.
Wer etwas essen will, kann Hirsch oder Wildschwein haben, etwas
ganz Besonderes in einem Land, das sich sonst voll und ganz der
Pizza verschrieben hat. Dazu isst man Buchweizen. Auf der Karte
muss man "Ajdova kasa" suchen. Feinen Ohren mag es vorkommen, als
hätten sie das Wort schon einmal gehört. Das ist
möglich: Etwas weiter nördlich, jenseits der Grenze,
heißt es "Heidenkäse". Jeruzalem gehört zur
Landschaft Stajerska - zur Steiermark, wie man im
österreichischen Norden sagt.
Bevor die Gegend 1918 zu Jugoslawien kam, war sie mehr als 700
Jahre lang ein Teil von Österreich. Stajerska war zu
jugoslawischer Zeit als Begriff für den nordöstlichen
Teil Sloweniens verpönt. Nach der Unabhängigkeit fuhren
dann plötzlich Autos mit einem seltsamen Aufkleber durch die
Gegend: "Hvala Bogu da jem Staijerc" - Gottseidank bin ich ein
Steirer. Heute wird der Begriff wieder arglos verwendet. In die
Verwaltungssprache hat er allerdings keinen Eingang gefunden.
Wer dem neuen Restaurant die alte Gaststube vorzieht, sitzt
sogar sonntags unter den Altbauern von Jeruzalem, die hier wie in
Südtirol blaue Schürzen tragen, mit Besuchern auf Wunsch
ein hartes, steirisches Deutsch sprechen und sich gern auch ein
Bier statt des eigenen Weines schmecken lassen. Das Gasthaus diente
einmal der Adelsfamilie Fischerauer als Schloss. Aus den
herrschaftlichen Jahren dieser vergangenen Zeit ist noch der bald
350-jährige Weinkeller übriggeblieben.
Das kleine Slowenien, an Ausdehnung so groß wie
Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt, besteht zur Hälfte aus
Weinanbaugebieten: Das bekannteste ist das Küstenland mit dem
gefragten Vipava, einst Jugoslawiens Paradewein. Weniger
berühmt sind das Land an Sawe und Krka und das an Drau und
Mur. Auf 22.000 Hektar Land in ganz Slowenien wächst Wein, pro
Jahr werden 80 bis 120 Millionen Liter gekeltert. Neun von zehn
Flaschen trinken die Slowenen übrigens selber - und das bei
stolzen Preisen von vier bis fünf Euro.
Wein und Kastanien
Gegen den "Billigwein" hat man sich schon immer abgesetzt - und
erfolgreich erstmals 1976, als sich die - damals fast
ausschließlich staatlichen - Weingüter zu einem
Schutzverband gegen den zuckersüßen "Amselfelder" aus dem
Kosovo verbündeten. Die sozialistische Episode hat den
Strukturen der Anbaugebiete nicht geschadet. Im Vergleich zur
angrenzenden österreichischen Steiermark ist der Anbau
deutlich dichter, ohne damit zur Monokultur geworden zu sein. Es
macht den besonderen Charme steirischer Weinbaugebiete aus, dass
auch die Kastanien, die man zum Wein isst, an Ort und Stelle
wachsen; auch die Hirsche werden nicht weit von hier
geschossen.
Es fehlt zwar andererseits die gewachsene Dichte von
"Buschenschänken", wie die Straußwirtschaften in der
Steiermark genannt werden. Dafür sind die, die man findet,
noch unbeschädigt von der rustikalen
Brauerei-Gemütlichkeit, die bei den Busladungen aus Wien so
gut ankommt. Wer ein bisschen sucht, findet sogar wahre Perlen.
Eine davon liegt abseits der Straße hinter einem Wald in einem
kleinen, engen Tal mit etlichen Fischweihern, einem reetgedeckten
Bauernhaus und etlichen Gänsen und Enten.
Dort, in Slamnjak bei Ljutomer, waltet einer der rührigen
"Unternehmer", die Sloweniens verschlafene Schönheiten
für Ausflügler aus Österreich öffnen: Frank
Ozmec, der neben einem fruchtigen, halbtrockenen Riesling eine
Brotzeit, Gästebetten und Hausmusik bietet.
Ozmec ist einer der vielen Bauern mit Ideen, die es hier gibt.
Das beste Beispiel dieser Spezies ist Vinko Brenholc, dem das
Gasthaus Jeruzalem gehört, ein junger Mann, der Golf
fährt und gern mit den Winzern ein Schwätzchen hält.
Von ihnen haben auch viele ältere das Risiko der
Privatisierung auf sich genommen und bewältigt, und wer wie
Vinko Brenholc noch jung ist, kann gleich an mehr denken.
"Langsam kommt alles wieder", erzählt ein alter Bauer, der
den Weinberg unter seinem Haus am Wasserturm von Jeruzalem gekauft
hat und einen kräftigen Muskateller ausschenkt. Ganz hier in
der Nähe spielt auch die Erfolgsgeschichte des ersten privaten
Weinbauern Sloweniens, der schon 1971 seine erste eigene Marke
vorstellte und heute mit seinem Schwiegersohn neun Sorten anbaut
und außer dem üblichen Angebot für Kenner sogar
Trockenbeerenauslesen und Eisweine verkauft.
Eine halbe Stunde ist es von hier bis Ptuj, dem
mittelalterlichen Städtchen mit Fluss und Burg, für die
Weinregion ein würdiges Zentrum. Und wer es partout will und
noch nicht zuviel Welschriesling und Silvaner probiert hat, ist
sechs Stunden später wieder zurück in München.
Norbert Mappes-Niediek
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