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Detlev Lücke
Editorial
Alexander Puschkin hat in seiner Erzählung "Der eherne
Reiter" Zar Peter dem Großen die Worte in den Mund gelegt:
"Von der Natur ist es uns hier beschieden, das Fenster nach Europa
aufzustoßen." Wenn man an die zehn Beitrittskandidaten denkt,
die am 1. Mai Mitglieder der Europäischen Union werden,
brauchten sie ihre Fenster gar nicht erst nicht zu öffnen.
Für sie ist der Begriff der EU-Osterweiterung mehr als
unpräzise, denn sie sind auch zu Zeiten der Kalten Krieges ein
zwar abgetrennter, aber stets immanenter Bestandteil des
Europäischen Hauses gewesen.
Dieser Tatbestand spiegelt sich in fast allen Texten dieser
Ausgabe, die sich den neuen EU-Ländern Slowakei, Slowenien und
Ungarn widmet. Die drei Staaten verbindet weit mehr als das
gemeinsame Datum des Beitritts zur Europäischen Union. Sie
haben auf sehr unterschiedlichen Wegen und mit sehr
unterschiedlichem Erfolg ihre nationale Unabhängigkeit und
ihre kulturelle Eigenständigkeit erkämpft. Ein angemessen
großer Teil der 16 Seiten zum Thema widmet sich deshalb der
oft blutigen Geschichte der jeweiligen Staatswerdung sowie der
Sprache und Kultur dieser Länder. Was sie außerdem
gemeinsam haben, ist eine jahrhundertelange Existenz unter der
Herrschaft der österreichischen Krone. Die Habsburger Dynastie
gönnte allerdings, anders als ihr preußisches Pendant,
den vielsprachigen Untertanen ein gewisses Eigenleben in autonomen
Strukturen. Das entfaltete sich recht unterschiedlich. Norbert
Mappes-Niediek beschreibt in seinem Text über den Weg
Sloweniens zur Unabhängigkeit, wie Österreich am Ende des
verlorenen Ersten Weltkrieges dem südlichen Nachbarn eine
gewisse Eigenständigkeit zubilligen wollte, die Slowenen aber
höflich ablehnten. Sie mussten dann allerdings noch einige
Jahrzehnte warten, bis über den Weg Jugoslawien 1991 ein Staat
Slowenien entstand. Zwei Jahre später folgte die Slowakei, die
sich von Tschechien trennte. Sie wiederum war eng mit Ungarn
verbunden gewesen, dessen Staatsgebiet sie in weiten Teilen bis
1918 war. Texte von Franz Schäfer und Thomas von Ahn
beschreiben diese von Unterdrückung gekennzeichnete Liaison.
Aus dem Mäander der Geschichte Südosteuropas ergeben sich
höchst aktuelle Probleme, wie beispielsweise die Situation der
ungarischen Minderheit in der Slowakei, Rumäniens, Serbiens
und der Ukraine. Es bleibt zu hoffen, dass nach dem Beitritt zur
Union ein entspannteres Verhältnis der Völkerschaften
erwächst, die sich in diesem Teil Europas schon immer in
besonderem Maße mischten. Die EU könnte hier ein Labor
des Zusammenlebens werden mit Beispielcharakter für die
geplanten Beitritte von Rumänien, Bulgarien und Kroatien.
Zsófia Fülep, Reinhold Vetter, Kathrin Lauer, Ulrich
Schneider und andere widmen sich in ihren Beiträgen vor allem
den politischen und wirtschaftlichen Perspektiven, die sich
für diese Länder aus der neuen Konstellation ergeben.
Dabei geht es auch um Erfolgsstories wie der Qualifizierung der
ungarischen Wirtschaft auf dem Weltmarkt. Gerade erst hat der
EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen möglichen
Ängsten der Deutschen vor dem 1. Mai 2004 widersprochen und
darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik von der Osterweiterung
profitieren werde. Die neuen EU-Mitglieder seien erheblich besser
auf die anstehende Erweiterung vorbereitet als viele frühere
Beitrittsländer.
Diese Themenausgabe, mit der wir die Vorstellung der "Neuen"
abschließen, wenn man von einer Zypernseite in der
nächsten Ausgabe absieht, widmet sich aber in Bild und Text
auch den lanschaftlichen Schönheiten von Slowenien, Slowakei
und Ungarn. Balaton, Karpaten und die südliche, steirische
Seite der Alpen sind beliebte und weitgehend bekannte Urlausbziele
der Deutschen. Anderes kann nun neu besichtigt werden. Die Fenster
der zukünftigen Mitgliedsländer sind für Besucher
weit geöffnet. Investoren und Touristen sind bei ihnen
gleichermaßen willkommen. Diese werden zwar neue
EU-Länder, aber kein europäisches Neuland betreten.
Detlev Lücke
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