"Wir sitzen alle in einem Boot"
Interview mit Doris Ahnen, Präsidentin der
KMK
Doris Ahnen (SPD), ist seit Mai 2001 Ministerin
für Bildung, Frauen und Jugend des Landes Rheinland-Pfalz. Die
Politikerin (39) hat jetzt den Vorsitz der Kultusministerkonferenz
(KMK) übernommen. Die Fragen stellte Jutta Witte.
Das Parlament
Der im vergangenen Dezember vorgelegte
Bildungsbericht hat einen weiten Handlungsauftrag an die
Kultusminister formuliert. Wo sehen Sie in Ihrer Amtszeit den
Schwerpunkt?
Doris Ahnen Der Schwerpunkt liegt in diesem
Jahr sicherlich im Bereich der Qualitätsentwicklung und
Qualitätssicherung von Schule. Wir haben ja bereits erste
Bildungsstandards in Deutsch, Mathematik und der ersten
Fremdsprache für den mittleren Schulabschluss verabschiedet.
In diesem Jahr sollen in diesem Bereich die Naturwissenschaften
folgen und gleichzeitig Standards für die Grundschule und den
Hauptschulabschluss verabschiedet werden.
Das Parlament
Wer kontrolliert, ob die Länder die
Standards auch erfüllen?
Doris Ahnen Zunächst einmal: Die ersten
Standards, mit denen die Schulen derzeit vertraut gemacht werden,
sind für jedes Land verbindlich und alle Länder sind
dabei, sie umzusetzen. Wir haben aber von Anfang an gesagt, dass
Qualitätsentwicklung wissenschaftliche Begleitung braucht.
Diese Aufgabe soll das "Institut zur Qualitätsentwicklung im
Bildungswesen" übernehmen, das den Ländern beratend zur
Seite steht und noch in diesem Jahr mit seiner Arbeit beginnen
soll. Außerdem laufen schon jetzt die Vorbereitungen für
einen weiteren Bildungsbericht, den Bund und Länder 2006
gemeinsam vorlegen wollen.
Das Parlament
Der erste Bildungsbericht kritisiert unter
anderem das schlechte Lernklima an deutschen Schulen. Wäre
hier nicht ein Punkt, an dem man auch mit mehr Verbindlichkeit wie
bei den Standards einhaken müsste?
Doris Ahnen Sicher. Aber das ist ein Problem,
dass Sie nicht über Standards lösen können. Dennoch
gibt es da Ansatzpunkte: Zu einem guten Schulklima gehört
beispielsweise, dass alle Schülerinnen und Schüler sich
angenommen fühlen mit ihren unterschiedlichen Interessen und
Bedürfnissen, und dass sie Raum bekommen, selbst tätig zu
werden. Wir haben nach wie vor noch zu oft einen stark
lehrerbezogenen Unterricht. Insofern glaube ich, dass das Arbeiten
an besseren Ergebnissen auch mit der Frage zusammen hängt, wie
in Deutschland gelernt wird.
Das Parlament
Sie werben dafür, die Schnittstellen
zwischen den einzelnen Bildungsstufen zu verbessern. Worum geht es
ihnen dabei?
Doris Ahnen Im Kern geht es mir darum, dass
wir mehr vom Kind ausgehen und weniger von der Institution. Kinder
und Jugendliche sollten die Übergänge zwischen den
einzelnen Bildungsetappen von der Kindertagesstätte bis zum
Beruf nicht als Hürde erleben sondern als fließende
Entwicklung.
Das Parlament:
Was heißt das konkret?
Doris Ahnen Das heißt, dass die
Bildungskonzepte von Kindertagesstätte und Grundschule besser
aufein-ander abgestimmt werden, dass wir die Diskussion zwischen
Grundschule und weiterführender Schule intensivieren
müssen, und dass es gemeinsame Projekte zwischen Schulen und
Hochschulen schon während der Schulzeit geben muss genauso wie
Möglichkeiten zur Berufsorientierung in der Schulzeit. In
Rheinland-Pfalz läuft gerade ein Projekt, da gehen sogar
Kindergartenkinder in die Betriebe und können sehen: Was macht
überhaupt ein Maurer, eine Schreinerin oder ein
Steinmetz?
Das Parlament
Bleiben wir bei Rheinland-Pfalz. Der Landtag
hat gerade ein neues Schulgesetz verabschiedet. Wie sichern Sie
hier das Qualitätsmanagement ab?
Doris Ahnen Indem wir den Schulen mehr
pädagogische und organisatorische Selbstständigkeit
einräumen und sie gleichzeitig verpflichten, ihre Leistungen
regelmäßig zu überprüfen - durch externe und
interne Evaluation.
Das Parlament
Wie wollen Sie die Leistungen der Schulen
transparent machen?
Doris Ahnen Wir haben zum Beispiel im
vergangenen Herbst begonnen, alle Viertklässler in allen
Grundschulen Vergleichsarbeiten in Mathematik und Deutsch schreiben
zu lassen. Jede Schülerin, jeder Schüler und jedes
Elternteil konnte daraufhin eine Rückmeldung über die
Kompetenzen bekommen, die das Kind erworben hat. Das
Klassenergebnis konnte innerhalb der Schule verglichen werden, und
die Schule kann ihre Ergebnisse mit einem Landesergebnisvergleichen
- unter fairer Betrachtung ihrer jeweiligen
Rahmenbedingungen.
Das Parlament
Sie vertrauen im neuen Gesetz ganz auf die
Bildungsstandards. Sind Lehrpläne verzichtbar?
Doris Ahnen Wir haben das im Vorfeld lange
diskutiert. Ich wollte kein Schulgesetz verabschiedet sehen, das
durch die Festschreibung von Lehrplänen mitten im
Entwicklungsprozess der Standards, die ja eine große Chance
sind, diese Entwicklung praktisch ausbremst. Zunächst bleiben
die Lehrpläne in Kraft, werden aber auf die Bildungsstandards
hin fokussiert. Ich möchte, dass wir mehr Freiheit bekommen
für die einzelne Schule.
Das Parlament
Warum verzichten Sie anders als die meisten
Bundesländer auf ein Abitur nach zwölf Jahren?
Doris Ahnen Wir haben in Rheinland-Pfalz eine
besondere Situation. Hier machen alle Schülerinnen und
Schüler das Abitur seit 2002 nach zwölfeinhalb Jahren -
und sind zum 31. März fertig. Damit haben wir jetzt schon
für rund 30.000 Abiturientinnen und Abiturienten einen
Zeitgewinn erreicht. Wir haben uns damals für diesen Weg
entschieden, weil wir wissen, dass eine größere Anzahl
von Schülerinnen und Schülern sicher Probleme hat, das
Abitur nach zwölf Jahren zu machen. Und: Wir wollen die
Durchlässigkeit erhalten und gleichzeitig eine möglichst
hohe Abiturientenquote sichern.
Das Parlament
Sie haben sich in Rheinland-Pfalz als erstes
Bundesland ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen zum
Ziel gesetzt. Welche Erwartungen knüpfen sie an diese
Schulform?
Doris Ahnen Die Ganztagsschule ist sicher
kein Allheilmittel, aber sie gibt auf viele Probleme, die PISA
deutlich gemacht hat, eine gute Antwort. Eine Ganztagsschule hat
mehr Zeit für eine differenzierte Förderung sowohl
schwacher als auch leistungsstärkerer Schüler. Nehmen Sie
die bei PISA in Deutschland festgestellte hohe Abhängigkeit
der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs vom sozialen
Hintergrund. Es liegt auf der Hand, dass man sich bemühen
muss, über die Schule erweiterte Angebote zu machen auch
für Kinder, die schlechtere Startbedingungen haben - etwa
für Kinder mit Migrationshintergrund. Das tut die
Ganztagsschule. Und sie bietet die Chance, neue Lernformen mutig zu
erproben.
Das Parlament
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wann,
glauben Sie, hat das deutsche Bildungssystem im internationalen
Vergleich aufgeholt?
Doris Ahnen Niemand darf sich einbilden, das
funktioniere von einem Tag auf den anderen. Bei
Umsteuerungsprozessen, wie wir sie jetzt in Angriff genommen haben,
rechnen Experten mit fünf bis zehn Jahren, bis sich Erfolge
zeigen. Das ist auch meine Einschätzung. Wichtig ist, dass
sich das Bewusstsein bei allen Beteiligten deutlich geschärft
hat. Die Verantwortung wird nicht mehr nur beim anderen gesucht,
sondern Politik, Schulen, Lehrkräfte, Kinder und Eltern
wissen: Wir sitzen alle in einem Boot.
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