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Claudia Heine
Der einzig mögliche Dolmetscher
Kulturminister der Beitrittsländer
eröffnen "Kulturjahr der Zehn"
Berlin und das Brandenburger Tor, symbolträchtiger konnte
der Ort für die Auftaktveranstaltung kaum sein: "Berlin hatte
die Kraft, die Spuren des Hasses und der Teilung wegzuwischen",
sagte die nachdenkliche Kulturministerin Lettlands, Helena Demakova
nach einem Exkurs über die Narben, die die Geschichte in der
Stadt hinterlassen hat. Das war auch als Wunsch gemeint: Die neue,
größere Europäische Union möge die Kraft haben,
eine Teilung zu überwinden, die zumindest politisch seit dem
1. Mai beseitigt ist, nach dem Beitritt von Estland, Litauen,
Lettland, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn
und Zypern.
Zusammen mit ihren Amtskollegen aus den übrigen neun
EU-Beitrittsländern und der Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien, Christina Weiss, diskutierte sie die
Frage "Ein Europa - wieviel Kultur(en)?" Versammelt war die
hochkarätige Runde am 6. Mai 2004 in einem Gebäude am
Brandenburger Tor in Berlin, um den offiziellen Startschuss
für das "Kulturjahr der Zehn" zu geben: Ein Jahr lang werden
die neuen Mitgliedsländer in über 60 Veranstaltungen ihre
Kultur in Berlin vorstellen.
Der politischen Annäherung müsse nun eine mentale
folgen, da wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit allein
keine Staatengemeinschaft formen könnten. Es komme vielmehr
darauf an, gemeinsame kulturelle Werte und Traditionen wieder zu
beleben und ein Bewusstsein für diese zu schaffen. Das war der
Tenor der Podiumsrunde und gleichzeitig der Grund, warum sich die
Kulturminister der Beitrittsländer zusammenfanden. Denn Kultur
ist "vielleicht der einzig mögliche Dolmetscher zwischen den
Ländern. Sie ist der Ort, der die eigene Geschichte für
Menschen aus anderen Ländern übersetzt", sagte der
slowakische Minister Rudolf Chmel unter Hinweis auf den deutschen
Film "Good bye, Lenin". Und die Aufgabe der Minister ist es, einen
Rahmen für einen interkulturellen Austausch zu schaffen.
"Füllen müssen ihn jedoch die Künstler",
ergänzte der Stellvertreter des polnischen Kulturministers,
Michal Tober.
Das "Kulturjahr der Zehn" ist ein erster Schritt auf diesem Weg.
Ein weiterer könnte ein so genanntes Blaubuch für die
Länder Ost-, Mittel-, Nord- oder Südosteuropas sein, "um
auf die großen kulturellen Reichtümer in den neuen
Mitgliedstaaten zu verweisen", schlug Christina Weiss vor. Ihre
Begründung: "Wir hier in der Bundesrepublik haben mit einem
solchen Kompendium gute Erfahrungen gemacht, als wir vor fast 14
Jahren damit begannen, die Kulturlandschaft Ostdeutschlands zu
analysieren und schwere Formen der Vernachlässigung zu
beheben." Hunderte von Kultureinrichtungen seien im Zuge dieser
Blaubuch-Bewegung bereits umstrukturiert und saniert worden. Weiss
plädierte außerdem dafür, dass der Rat der
europäischen Kulturminister Ende Mai die Bewerberliste
für die europäischen Kulturhauptstädte um die neuen
Mitgliedstaaten erweitert.
Auf Widerstand stieß sie damit erwartungsgemäß
nicht bei ihren Kollegen auf dem Podium, wie überhaupt die
gesamte Veranstaltung ein harmonieträchtiges Ereignis war.
Viele gute Absichten wurden verkündet, und es muss sich in den
nächsten Jahren zeigen, inwiefern sich diese verwirklichen
lassen. Gerade dem kulturellen Sektor einer Gesellschaft wird, zum
Teil ohne Rücksicht auf Verluste, mit der Begründung
allgemeinen Sparzwangs erheblicher Schaden zugefügt. Berlin
ist auch dafür ein gutes Beispiel und könnte so als
Mahnung gelten.
Die einhellige Meinung der im Gebäude der Dresdner Bank
versammelten Runde, dass der Kommerzialisierung der Kultur
entgegengewirkt werden müsse, könnte sich auch darin
verwirklichen, die Existenzberechtigung kulturell wichtiger
Institutionen nicht von einem reinen Zahlenspiel im Finanzhaushalt
abhängig zu machen. Die Bedeutung der Berliner Symphoniker zum
Beispiel lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken, sondern
in dem, was sie für die kulturelle Bildung von Kindern und
Jugendlichen leisten und damit für die Zukunftsfähigkeit
einer Gesellschaft. "Kultur macht die Größe eines Landes
aus", das dürfe nicht vergessen werden, sagte Michal Tober
seinen Zuhörern.
Weitere Infos unter: www.kulturjahrderzehn.de
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