Dirk KLose
"Ein großartiges Vermächtnis"
Die Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des 20. Juli
1944
Der 20. Juli 1944 ist einer "der wichtigsten Tage der neueren
deutschen Geschichte". Dies erklärte Bundeskanzler Gerhard
Schröder auf einer Gedenkfeier im Bendlerblock in Berlin
anlässlich des 60. Jahrestages des gescheiterten Attentates
auf Hitler. Schröder wertete das Attentat als ein
"großartiges Vermächtnis"; es sei eine
Gewissensentscheidung und ein Ausdruck des Willens gewesen, an die
Stelle einer Willkürherrschaft wieder die "vollkommene
Majestät des Rechts" zu setzen.
An der Feierstunde im Bendlerblock nahmen neben
Bundespräsident Horst Köhler auch mehrere Angehörige
damaliger Widerstandskämpfer teil, unter anderem Freya von
Moltke, die Witwe des Initiators des Kreisauer Kreises, Helmuth
James Graf von Moltke. Er hatte seinerzeit mit Gleichgesinnten
über eine neue, auf Recht und Gesetz basierende Ordnung in
Deutschland nach einem Sturz des NS-Regimes beraten und war nach
einem Verfahren vor dem so genannten Volksgerichtshof zum Tode
verurteilt und in Plötzensee hingerichtet worden.
Der Bundeskanzler erinnerte in seiner Gedenkrede daran, dass
mehrere Widerstandskämpfer zu Beginn des NS-Regimes diesem
durchaus nahestanden. Sie hätten sich erst unter dem Eindruck
entsetzlicher Verbrechen zu Gegnern der Willkürherrschaft
Hitlers gewandelt. Schröder: "Die Tradition der
Widerständler hat oberhalb des Staates und des Mannes an der
Spitze einen Befehlshaber gekannt - das eigene Gewissen." Die
Widerständler seien Patrioten gewesen, und es habe nichts von
Landesverrat an sich, wenn man versuche, das eigene Land und seine
Menschen von einer barbarischen Diktatur zu befreien.
Kampf für Freiheit und Recht
Gerhard Schröder schlug einen Bogen zum Warschauer
Aufstand, der ebenfalls vor 60 Jahren, am 1. August 1944, begonnen
hatte und nach zweimonatigen Kämpfen von der deutschen
Besatzung blutig niedergeschlagen worden war. Wie am 20. Juli in
Deutschland sei es auch in Polen darum gegangen, "den
entscheidenden Wurf" zu wagen. Europa, so Schröder, habe guten
Grund, beide Daten als "flammendes Zeichen" auf dem Weg zu einer
wahren europäischen Wertegemeinschaft zu verstehen und in
Ehren zu halten. "Erst heute, 60 Jahre später, können wir
dieses europäische Vermächtnis des Widerstands vollenden.
Denn der Kampf für Freiheit und Recht ist die wichtigste
Grundlage dessen, was uns in Europa eint - seit der Erweiterung der
Europäischen Union am 1. Mai dieses Jahres stärker denn
je."
Am Vorabend hatte Bundespräsident Köhler einen Empfang
für Angehörige und Überlebende des
20. Juli 1944 gegeben und dabei den Tag als "Ehrendatum der
deutschen Geschichte" gewürdigt. Gegen das NS-Regime
hätten viele Menschen Widerstand geleistet, beispielsweise
indem Zwangsarbeiter menschlich behandelt wurden oder Juden zur
Flucht verholfen worden sei. Das habe eine moralische und geistige
Basis für ein neues Deutschland und ein neues Europa
gelegt.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse würdigte die
"Männer um Graf Stauffenberg und Julius Leber" als "Helden des
Widerstandes gegen die menschenverachtende Diktatur". Ihr Beispiel
stehe für viele, die danach strebten, der Diktatur, dem
Rassismus und dem Krieg ein Ende zu machen. Thierse nannte in
diesem Zusammenhang auch die Weiße Rose um die Geschwister
Scholl, die Kölner Edelweißpiraten, den Kreisauer Kreis,
das Nationalkomitee Freies Deutschland, den Bund der deutschen
Offiziere, die Rote Kapelle und Personen wie Dietrich Bonhoeffer,
Kardinal von Galen und Georg Elser (der auf eigene Faust ein
Attentat auf Hitler unternommen hatte).
Thierse weiter: "Die Männer des 20. Juli haben das
Schlimmste verhüten wollen, als die meisten NS-Verbrechen
schon geschehen und viele Opfer des Krieges schon zu beklagen
waren. Diese Tragik ihrer Gewissensentscheidung führt zur wohl
wichtigsten Lehre, die sie allen folgenden Generationen
hinterlassen haben: Wehret den Anfängen! Diktatoren
müssen auf Widerstand stoßen, bevor sie die Macht
ergreifen können; die Demokratie muss verteidigt werden, bevor
ihre Feinde sie zerstören."
Im bayerischen Landtag, dem "Maximilianeum" in München,
gedachten die Abgeordneten der Widerstandskämpfer mit einer
Schweigeminute. Ministerpräsident Edmund Stoiber sagte, der
deutsche Widerstand vom 20. Juli 1944 stehe für "wahren
Patriotismus". Er fügte hinzu: "Auch heute braucht eine offene
und demokratische Gesellschaft Menschen mit Zivilcourage, um den
Feinden der Freiheit entschlossen entgegenzutreten."
Der Bendlerblock im Berliner Bezirk Tiergarten ist wie kein
anderer Ort in Berlin mit dem deutschen Widerstand verbunden. Es
ist ein traditionsreicher Komplex, dessen Hauptgebäude am
Landwehrkanal in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg errichtet
wurde und wo der Staatssekretärs des Reichsmarineamtes,
Admiral von Tirpitz, seinen Dienstsitz hatte. In der Weimarer
Republik waren hier das Reichswehrministerium und die Leitung des
100.000-Mann-Heeres zu Hause.
In den 30er-Jahren wurden im rückwärts gelegenen
Bendlerblock das Oberkommando des Heeres und der Chef des
Ersatzheeres untergebracht. Von hier aus sollte nach einem
geglückten Attentat im Rahmen der Aktion Walküre das
NS-Regime entmachtet werden. Nach dem gescheiterten Attentat waren
noch in derselben Nacht Graf Stauffenberg, General Olbricht und die
Offiziere Ritter Merz von Quirnheim und Werner von Haeften im
Innenhof standrechtlich erschossen worden. Heute ist hier die
"Gedenkstätte Deutscher Widerstand" zu Hause, die - anfangs
heftig kritisiert - die ganze Bandbreite des Widerstandes von 20.
Juli 1944 bis zur Roten Kapelle zeigt.
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