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Claudia Heine
Teures Plauderstündchen
...vor 40 Jahren am 29. Juli 1964: Sondersitzung
des Bundestages zur Erhöhung der
Telefongebühren
Kein Telefonanruf, sondern ein Telegramm holte die Abgeordneten
des Bundestages aus ihrer Sommerpause zurück nach Bonn. Die
oppositionelle SPD-Fraktion hatte eine Sondersitzung wegen der
für den 1. August 1964 geplanten Erhöhung der Telefon-
und Fernschreibegebühren beantragt. Damit die Parlamentarier
am 29. Juli nicht im Stehen debattieren mussten, begannen die
Handwerker eiligst damit, die bereits für eine Renovierung
entfernten über 500 Sitzplätze des Plenarsaals
provisorisch neu zu aufzustellen. Prominent und keinesfalls
"provisorisch" besetzt präsentierten sich Regierung und
Opposition an diesem Tag und unterstrichen damit die Bedeutung der
Sondersitzung. Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU), Postminister
Richard Stücklen (CSU), Finanzminister Rolf Dahlgrün
(FDP) und alle Fraktionsvorsitzenden beteiligten sich, mit
verschiedenen Argumenten, an der Debatte über Plauderstunden
am Telefon.
Seit Monaten schon sah sich die christlich-liberale Koalition
wegen ihrer Pläne massiver öffentlicher Kritik
ausgesetzt. Die Bundespost, damals noch ein staatliches
Unternehmen, erwartete für 1964 ein Defizit von rund 380
Millionen Mark, dem ein enormer Investitionsdruck
gegenüberstand: Von 100 Haushalten hatten gerade 13 ein
Telefon, die Wartelisten waren entsprechend lang. Mit ihren
Plänen, die Grundgebühr für einen Telefon- oder
Telexanschluss um 50 Prozent, die Gesprächsgebühr von 16
auf 20 Pfennig je Einheit und die Nachttarife für
Ferngespräche um bis zu 150 Prozent zu erhöhen, erregte
die Regierung jedoch den allgemeinen Volkszorn. Von der Rentnerin
bis zum Mittelständler, von Gewerkschaften bis zu
Unternehmerverbänden: Alle waren sich einig in ihrem
Widerstand. Von moralischen Begründungen ("Ich kenne eine
schwer kranke alte Dame, für die ein Telefon lebenswichtig
ist") bis hin zu Zahlenbeispielen ("Bei einem großen Warenhaus
kassiert Stücklen 25.000 Mark mehr im Jahr") reichten die
Argumente in den Leserbriefen der Zeitungen. Gewohnt drastisch
sprach es ein Boulevardblatt aus, indem es forderte: "Schluss mit
der Postdiktatur." Mit einer Politik des Maßhaltens, wie sie
die Koalition propagierte, hätten die Erhöhungen nichts
zu tun, so der einhellige Tenor.
Allen Proteststürmen zum Trotz hielt die Regierung an ihren
Plänen fest, obwohl auch innerhalb der Koalitionsparteien
Differenzen herrschten. Der Sprecher der Bundesregierung,
Staatssekretär Karl-Günther von Hase (CDU), erzürnte
die Volksseele mit seiner Vorstellung vom "Maßhalten"
zusätzlich: "Der private Telefonbenutzer kann ja mit einem
Konsumverzicht antworten", erklärte er vor der Presse.
Zur Sondersitzung am 29. Juli lagen dem Plenum Anträge von
SPD und FDP vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, auf
die Gebührenerhöhung zu verzichten. Da sich im Vorfeld
auch der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß sowie zahlreiche
Abgeordnete aus CDU und FDP gegen die Erhöhung ausgesprochen
hatten, schien es nicht unmöglich, eine Mehrheit gegen den
Kabinettsbeschluss vom Juli zustande bringen zu können.
Fritz Erler, Vorsitzender der SPD-Fraktion, warf der Regierung
vor, das Parlament "hinter's Licht" geführt zu haben. Der
Bundestag hatte schon im April eine Gutachter-Kommission gefordert,
nach deren Bericht über eine Erhöhung entschieden werden
sollte. Eingesetzt wurde sie jedoch erst nach der beschlossenen
Gebührenerhöhung Ende Juli, so der Vorwurf Erlers. Nicht
nur die Wirtschaft, auch Alte, Schwerbeschädigte und jene, die
mit ihren Verwandten in der DDR nur über's Telefon Kontakt
halten können, würden nun von diesen Plänen
benachteiligt. Auf den Vorschlag von Hases, einfach weniger zu
telefonieren, reagierte Erler mit einem Vergleich: "Das wäre
so, als wenn Sie die Kuh umbringen würden, die man eigentlich
melken will."
Bundeskanzler Ludwig Erhard ließ sich von der Dramatik der
Telefon-Affäre nicht anstecken: "Sie tun wirklich so, als wenn
durch diese Gebührenerhöhung die Welt unterginge", befand
er an die Opposition gerichtet. Es gäbe, so Erhard weiter, nur
eine Möglichkeit, sie zu vermeiden: vom Bundeshaushalt jene
Millionen "abzuzweigen", um das Defizit der Bundespost auszuglei-
chen. "Wo aber sollen die herkommen?", fragte der Kanzler.
Bundespostminister Richard Stücklen stellte fest, dass eine
solche Maßnahme keine Dauerlösung sein könne,
verteidigte sie jedoch wie Erhard mit dem Hinweis auf die
Haushaltslage des Bundes.
Am Ende entging die Bundesregierung knapp einer
Abstimmungsniederlage: Die Abgeordneten entschieden sich mit 201
gegen 194 Stimmen gegen die Anträge von SPD und FDP. Schon am
1. Dezember 1964 wurde die Gebührenerhöhung teilweise
wieder rückgängig gemacht. Claudia Heine
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