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Susanne Balthasar
Vier lächerliche, unüberwindbare
Zentimeter
Monika Götz hielt den Juniorenweltrekord im
Stabhochsprung - dann bekam sie Angst vor dem Sprung
Wie viel sind vier Zentimeter? Die Länge
einer Schraube, einer Raupe oder eines zwei Monate alten Embryos.
Bei Monika Götz umfassen vier Zentimeter den Abstand zwischen
zwei Welten. Die erste Welt ist die, in der sie die
größte Nachwuchshoffnung der deutschen Stabhochspringer
war. Eine Welt, in der sie "aus der kalten Hose" den
Juniorenweltrekord von 4,31 Meter sprang. Die zweite Welt ist die,
in der sie nur noch 4,27 Meter schaffte - die vier Zentimeter
dazwischen machten alle Träume unerreichbar. Sie zeigen die
messbare Größe der Angst von Monika Götz an, ihrer
Angst vor dem Sprung.
Die Angst hat viele Gesichter. Es gibt
Flugangst, Platzangst, Höhenangst. Im schlimmsten Fall zieht
die Angst um die von ihr besetzten Orte einen unsichtbare Linie,
die der Ängstliche nicht mehr überschreitet. Also keine
Flugzeuge, keine Menschenmengen, keine Höhen mehr. Aber was
tut eine Stabhochspringerin, die Angst vor dem Sprung hat? Sie
springt weiter.
Heute sagt Monika Götz: "Ich weiß,
dass ich nie wieder springen werde." Inzwischen ist sie
Maschinenbau-Stundentin in Gummersbach und trainiert eine
Jugendgruppe. Ab und an macht sie ihren Mädchen einen Sprung
vor, "aber nur einen kleinen mit vier Schritten Anlauf". Ein paar
Schritte mehr, und "dann könnte es wieder losgehen. Nie wieder
möchte ich mich in so eine Situation bringen."
Wann die Angst in ihr Leben trat, sagt Monika
Götz, kann sie nicht genau sagen. Sicher, Angst kannte sie
vorher auch: Prüfungsangst und natürlich auch Angst im
Sport, die positive. Wenn vor einem wichtigen Sprung die Hände
schwitzig werden, der Körper hibbelig wird, weil der
Adrenalinpegel steigt, dass der Sportler die Aggressivität
spürt, "wenn es hart wird zu beißen". Aber Angst zu
springen? Nein, sagt Monika Götz, die hatte sie nie. Warum
auch? Nach den Weltmeisterschaften schien das Leben wie ein
goldenes Buch vor ihr zu liegen, in das sie sich nur noch eintragen
musste: "Ohne protzig klingen zu wollen: Ich wurde als das
hoffnungsvollste Talent gehandelt. Damals gab es Springerinnen, die
waren technisch besser als ich, aber ich kam trotzdem
20 Zentimeter weiter." Als sie den
Juniorenweltrekord aufstellte, waren es 4,31 Meter, und jeder neue
Sprung war ein Versprechen darauf, dass die Latte ein
Stückchen höher in Richtung Himmel steigt.
Monika Götz ist nicht so abgehoben, das
Stabhochspringen mit dem Fliegen zu vergleichen. Wenn sie
darüber spricht, ist das eher ein technischer Vorgang:
Anlaufen, einstechen, einrollen, aufrollen und dann über die
Latte. Ein Vorgang so normal wie das Kuppeln im Auto. Sie weiß
nicht genau, wann der Punkt war, an dem die Angst ihren Traum in
einen Alptraum verkehrte, aber sie weiß, dass bevor die Angst
kam, das Gefühl ging. "Ich hatte kein Gefühl mehr
für das Einstechen", versucht sie das ihr Unerklärliche
zu beschreiben, "und dann Angst, dass ich den Stab nicht mehr
richtig halten kann." So etwas kann passieren. Bei Gegenwind oder,
wenn sich die Geschwindigkeit ändert, in einer schlechten
Trainingsphase.
Die unsichtbare Hürde
Bei Monika Götz hörte es nicht mehr
auf. Die Stelle, an der Stab den Boden berührt, war für
sie verschwunden, und sie hat sie nie wieder gefunden. Stattdessen
wuchs eine unsichtbare Hürde aus dem Stadionbelag, die sie
nicht mehr über-, sondern nur noch unterschreiten konnte: "In
der Mehrzahl der Sprünge lief ich unter der Latte durch." Und
dort, wo das verloren gegangene Gefühl einmal saß, wuchs
die Angst, die ebenso ungreifbar war wie die imaginäre
Hürde: Unsichtbar, grundlos, nicht zu überwinden und
nicht zu fassen.
Es war keine körperliche Angst, sagt
Monika Götz. Kein Herzflattern, kein rasender Atem, keine
heißen Hände: "Das war nur im Kopf." Schon beim Loslaufen
dachte sie an den Sprung, dass sie ihn nicht schafft und dass der
Stab zu hart ist. Irgendwann fragte ihr Trainer, was los sei.
Monika Götz sprach nicht von Angst: "Ich habe Ausreden
gesucht, dass der Wind Schuld sei oder mir etwas wehtut." Was
hätte sie auch sagen sollen? Dass eine Stabhochspringerin sich
vor dem Sprung fürchtet? Er hätte es nicht verstanden, so
wie es keiner verstanden hat. "Spring doch, du kannst das", sagte
der Trainer. Und stellte das Training um auf kürzere
Anläufe und weichere Stäbe, umsonst. "Du bist doch so
gut", sagte ihr Freund, auch ein Stabhochspringer. Ja, sie war gut
und wurde immer besser: immer stärker, immer schneller, immer
besser von den Turnwerten, nur ihre Sprünge wurden schlechter
und schlechter. Die 4,27 Meter waren trotz intensivstem Training
alles, was sie noch schaffte. Auch der Sportpsychologe verstand das
nicht und riet ihr, sich die Bewegungsabläufe und den Stab
vorzustellen. Nur ein Mädchen aus Cottbus verstand sie. Aber
die hatte sich einmal das Handgelenk gebrochen, die hatte einen
Grund für ihre Angst. Monika Götz hatte den nicht: "Da
gab es einfach nichts."
Monika Götz steht noch immer vor diesem
Nichts: "Ich weiß immer noch nicht warum." Sie weiß nur,
dass mit dem letzten Sprung die Angst aus ihrem Leben verschwunden
ist. Und das war wohl auch notwendig, denn die Angst wuchs
über den Sportplatz hinaus in das Leben der jungen Frau
hinein, beschränkte ihre Persönlichkeit: Sie, die immer
viel ausgegangen und lebenslustig war, verkroch sich im Bett. Hatte
keine Lust mehr zum Training, war wie gelähmt vor Anstrengung.
"Beim Einspringen habe ich einen Stress gehabt wie bei der
Olympiade. Irgendwann war ich so fertig, dass ich beim
Krafttraining mit Kniebeugen nicht mehr 40, sondern nur noch 20
Kilo geschafft habe." Irgendwann wurde sie krank. Die Lymphknoten
schwollen an, die Ärzte diagnostizierten erst Borreliose, dann
die Katzenkratzkrankheit. Man nahm an, dass ihr Immunsystem so
schwach sei, dass sie die Keime von den Kratzern ihrer Katze nicht
mehr abwehren konnte. So etwas passiert nach Chemotherapien oder
bei HIV-Infektionen. Bei Monika Götz war die Angst die
Ursache. Das war der Zeitpunkt, an dem sie aufgab: "Nach der
Krankheit hätte ich noch einmal ganz von vorne anfangen
müssen, da hatte ich nicht mehr die Kraft zu." Die deutsche
Hoffnung im Stabhochsprung hatte sich selbst besiegt.
Andere scheitern an ihrem Talent, an ihrem
Fleiß, an ihrem Körper. Monika Götz sagt, dass sie
an ihrem Kopf gescheitert ist: "Ich hatte eine Kopfverletzung."
Vier Jahre hat der Kampf gegen den Kopf gedauert. Vier Jahre lang
ist sie gegen eine innere Wand gelaufen, die nicht durchlässig
war. Sie hat sich davon erholt, auch wenn das eine Weile gedauert
hat. Am Anfang konnte sie ihren Sport nicht mal im Fernsehen sehen:
"Ich hatte Angst, dass die Springerinnen den Stab nicht halten
können." Inzwischen freut sie sich ganz angstfrei für
ihre Konkurrentinnen und sagt: "Ich habe auch andere Talente. Ich
bin auch als Maschinenbauerin nicht schlecht, wenn auch nicht so
gut wie als Stabhochspringerin." Monika Götz träumt nicht
mehr von Olympia und Weltmeisterschaften, sondern von einem guten
Abschluss, einem guten Job und Kindern. Ihren wohl
größten Traum hat sie sich schon erfüllt: ein Leben
ohne Angst. Deshalb sagt sie heute: "Ich weiß, dass ich nie
wieder springen werde, und das macht mich
glücklich."
Susanne Balthasar arbeitet als freie
Journalistin in Berlin.
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