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Uwe Rada
Im Fluss ist nur der Fluss - die Sprachgrenze
bleibt bestehen
Polnische, deutsche und holländische
Schriftsteller sitzen in einem Boot, schippern über die Oder -
und sagen sich wenig
Grenzen im Fluss" lautete der Titel einer literarischen
Schiffsfahrt, die das Kleistmuseum in Frankfurt (Oder) im Mai
dieses Jahres veranstaltet hat. Mehr als 30 Schriftsteller aus
Deutschland, Polen und den Niederlanden sollten zunächst auf
der Oder, dann auf dem Rhein ausloten, ob die Grenzen
tatsächlich im Fluss, also in Bewegung sind, oder ob die
Grenzflüsse noch immer die Grenzen der Wahrnehmung zwischen
Ost- und Westeuropa bestimmen.
Kaum in Breslau, dem Beginn der Reise, angekommen, zeigte sich,
dass die Oder noch lange davon entfernt ist, der verbindende Fluss
zwischen Ost und West zu sein, als den ihn viele Autoren in Polen
inzwischen begreifen. Vielmehr bildet sie noch immer eine
Erfahrungsgrenze, eine biografische Trennlinie, der auch die
Autoren ihrer Länder nicht entfliehen können, wie die
erste Diskussion der literarischen Fahrt zeigte. Kaum hatte der in
Utrecht lebende deutsche Lyriker und Herausgeber Gregor Laschen die
"fließende Identität" in den Vordergrund gestellt, die
seine Generation auszeichne, konterte seine Stettiner Kollegin Inga
Iwasiów: "Ich kann nicht von vielen Reisen in meiner Kindheit
berichten. Meine einzige Reise führte mit dem Schiff nach
Schwedt. Nicht jeder ist ein Nomade und kann von fließenden
Identitäten erzählen."
So fuhr es los, das Schiff mit den Dichtern, ein ost-westlicher
Mikrokosmos, auf der Suche nach neuen Horizonten. Eigentlich
hätte es genug Gelegenheiten gegeben, die Kontroversen
auszutragen, die sich im Dialog zwischen Gregor Laschen und Inga
Iwasiów angedeutet hatten. Hatten nicht gerade Andrzej Stasiuk
und der ukrainische Autor Jurij Andruchowitsch, der auf dem Schiff
dabei war, einen Doppelessay mit dem Titel "Mein Europa"
veröffentlicht? War darin nicht deutlich geworden, dass es
eine über die polnisch-ukrainische Grenze reichende
mittel-osteuropäische Erfahrung gibt, die der postmodernen
Selbstvergessenheit eine neue Suche nach Wurzeln in Biografie und
Geschichte entgegensetzt? Ist diese fließende Geschichte quasi
als Gegenentwurf zur fließenden Identität im Westen des
Kontinents nicht ein Thema, das sich auch durch die Prosa von
Autorinnen wie Olga Tokarczuk zieht, die ebenfalls mit auf der Oder
war?
Um es vorwegzunehmen: Der Erfahrungsaustausch zwischen den
Europas der Tokarczuks, Andruchowitschs, Laschens, van den Brinks,
Lentz' und Bongaards fand nicht statt. Nicht weil er von den
Autoren nicht gewünscht war, sondern weil die Fahrt ganz
andere Grenzen im Fluss aufwarf. Weniger die gemeinsame Arbeit an
Texten, wie sie literarischen Bootsfahrten sonst zu eigen ist,
hatte der Leiter des Kleistmuseums, Lothar Jordan, in den
Mittelpunkt seines Unterfangens gestellt, sondern Autorenlesungen
an den Orten, an denen die "Adler-Queen", ein ehemaliger
Butterdampfer, anlegte. Nur dass auf diesen Lesungen eben auch kein
Dialog stattfand, weil es die Regie verabsäumt hatte, die
Events mit immerhin ein paar Stars der Szene vor Ort bekannt zu
machen.
Butterdampfer fuhr ins Leere
So zeigte sich bald, dass die Grenzen im Fluss hartnäckiger
waren als der Wunsch, sie aufzubrechen. Vor allem während der
langen Flusspassagen sortierte sich die literarische Gesellschaft
nicht entlang der literarischen Genres oder Debatten, sondern, ganz
banal, entlang der Sprachgrenze. Deutsche und Niederländer auf
der einen, Polen auf der anderen Seite, das hätte man
vielleicht verhindern können, wenn man neben den Lesungen
Werkstattgespräche oder Diskussionen an Bord veranstaltet
hätte, durch die es über die Sprachgrenze hinweg zum
Dialog gekommen wäre. So aber blieben selbst die Dolmetscher,
die man an Bord genommen hatte, unter sich.
Auch hier bestätigten Ausnahmen die Regel. Mit Judith
Kuckart, Tanja Dückers und Michael Zeller waren drei deutsche
Autoren an Bord, die für eine neue Lust am literarischen
Erinnern stehen. Allesamt schicken sie ihre Romanhelden auf der
Suche nach ihrer eigenen Geschichte in den nun näher
gerückten Osten Europas, in dem so viele Fäden
auseinandergerissen wurden, und manche nun wieder zusammenlaufen.
Wie wenig diese Literatur in Polen bekannt ist, machte Olga
Tokarczuk deutlich: "Wir haben Übersetzungen von Günter
Grass, von Bernhard Schlink, das ist die zeitgenössische
deutsche Literatur, die man in Polen kennt." Umgekehrt ist es
anders. Seit Polen im Jahr 2000 Gastland bei der Frankfurter
Buchmesse war, werden zahlreiche Titel polnischer Autoren ins
Deutsche übersetzt. Hier beginnen die Grenzen tatsächlich
fließend zu werden. Doch das gelte, schränkte Tanja
Dückers zugleich ein, vor allem für Berlin und den Osten
Deutschlands. "Im Westen ist das Interesse dafür eher
gering."
Von einem europäischen Geschichtenerzählen, das hat
die Bootsfahrt auf der Oder gezeigt, ist man zudem noch weit
entfernt. Als die "Adler-Queen", eine Woche nach ihrer Abfahrt aus
Breslau, in Frankfurt (Oder) anlegte, teilte sich die
Reisegesellschaft schneller als erwartet. Während Deutsche und
Niederländer den Abend in Frankfurt verbrachten, zog es die
polnischen Autoren nach Slubice. Und plötzlich, aus heiterem
Himmel, fanden sie dort auf einem von Studenten organisierten
Open-Air-Festival etwas, was sie die ganze Zeit auf dem Schiff
nicht gefunden hatten: einen Raum, den deutsche und polnische
Studenten und Künstler gemeinsam in Besitz genommen haben, ein
Stück Europa, in dem sich die Fäden der Biografien
verweben zu etwas, das tatsächlich im Fluss ist.
Uwe Rada ist Redakteur der "tageszeitung".
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