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Barbara Minderjahn
Das unübersichtliche Bollwerk
Jede Menge ineinander geschachtelte Räume:
Das Schengener Abkommen
Der Schengenraum umfasst 15 Länder. 13 davon (Belgien,
Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland,
Holland, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Spanien und
Schweden) gehören zur EU. Zwei (Norwegen und Island) nicht.
Zwölf Länder sind Mitglieder der EU, aber nicht voll
integriert in Schengen. Verwirrend?
Schengen und EU stellen zwei unterschiedliche, aber sich
teilweise überlappende Räume dar. Das schafft Probleme,
wie schon die Entstehungsgeschichte des Abkommens zeigt. 1985
beschlossen zunächst nur Frankreich, Deutschland, Belgien,
Luxemburg und die Niederlande, das Übereinkommen zu
unterzeichnen. Die Staaten hatten sich geeinigt, untereinander
einen Raum ohne Grenzen zu schaffen - den so genannten Schengenraum
- benannt nach der Luxemburgischen Stadt, in der das
Übereinkommen zu Stande kam. Die Idee, die EU solle ein Raum
sein, in dem Freizügigkeit herrsche und in dem es keine
trennenden Grenzen mehr gäbe, teilten zwar auch die anderen
EU-Länder. Aber sie konnten sich noch nicht darauf einigen,
wie sie dies umsetzen wollten.
Die Kritiker von Schengen wollten am Prinzip der Grenzkontrollen
zwischen den Staaten festhalten. Freizügigkeit sollte nur den
Bürgern aus der Europäischen Gemeinschaft gewährt
werden; jene aus Drittländern wollten sie nach wie vor bei
Überschreitung der Grenze kontrollieren. Die Entscheidung,
welche Staatsbürger für welches Land ein Visum
benötigen, wäre so eine nationale Angelegenheit geblieben
mit dem Ergebnis, dass Reisende aus Nicht-EU-Ländern unter
Umständen für jedes Land ein neues Dokument hätten
beantragen müssen. Schengen dagegen gewährt auch
Bürgern aus Drittländern eine gewisse Freizügigkeit
innerhalb seiner Grenzen.
Wer einmal die Einlasspforte, die so genannte
Schengen-Außengrenze, überschritten hat, darf innerhalb
des Raumes unbehelligt reisen. Für Kurzaufenthalte gibt es nur
noch ein gemeinsames Visum. Die Außengrenzen werden
verstärkt, die Einreisekontrolle vereinheitlicht, und das
heißt: alle Grenzstationen von Schengen fertigen den
Reiseverkehr nach identischen Vorschriften ab, Visa- und
Asylverfahren sind gleich. Grenzkontrollen im Inneren des Raumes
fallen weg.
Da sich nicht alle EU-Länder zu einem so radikalen Wandel
entschließen konnten, beschlossen nur fünf von ihnen die
Umsetzung der Maßnahmen. Um Freiheit und Sicherheit
miteinander in Einklang zu bringen, wurden darüber hinaus die
so genannten Ausgleichsmaßnahmen eingeführt: Die
Unterzeichnerstaaten von Schengen vereinbarten die Zusammenarbeit
ihrer Polizei-, Zoll- und Justizbehörden und den Austausch von
personenbezogenen und anderen geheimdienstlich oder polizeilich
relevanten Daten über das gemeinsame Informationssystem
SIS.
Die Außengrenze von Schengen sollte ein Bollwerk gegen
Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel und
illegale Einwanderung werden. Doch dadurch drohte innerhalb der EU,
dort, wo man eigentlich keine Grenzen mehr haben wollte, eine neue
Grenze zu entstehen, die stärker war als alle anderen zuvor.
Wie wollte man den Übergang von der EU zu Schengen regeln? Wie
sollte man innerhalb der EU gemeinsam Terrorismus bekämpfen,
wenn einige der Staaten Informationen aus dem gemeinsamen System
erhalten konnten und andere nicht? Nach und nach entschlossen sich
auch die meisten anderen Mitgliedsländer, dem Abkommen
beizutreten: 1990 Italien, 1991 Spanien und Portugal, 1992
Griechenland, 1995 Österreich, 1996 Dänemark, Finnland
und Schweden. England und Irland gehören zwar bis heute
offiziell nicht zum Schengen-Raum, haben sich aber entschlossen, an
einigen Aspekten der Zusammenarbeit teilzunehmen, zum Beispiel am
Schengener Informationssystem oder der Kooperation in Strafsachen
und bei der Drogenbekämpfung.
Durch den Beitritt von Dänemark, Finnland und Schweden
entstand übergangsweise ein neues Problem. Die drei nordischen
Länder gehörten gemeinsam mit Island und Norwegen zur
Nordischen Passunion. Die fünf Staaten hatten ähnlich wie
die Schengen-Staaten die Kontrollen an ihren gemeinsamen Grenzen
aufgehoben. Was nun? Sollte man die nordische Union einfach
schlucken, also die beiden Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen als
gleichberechtigte Mitglieder innerhalb Schengens integrieren? Oder
wollte man das Bündnis spalten, indem man die
Schengen-Außengrenze zwischen die fünf Staaten legte? Ein
Assoziierungsabkommen mit Island und Norwegen löste das
Problem bis 2001, als die beiden Staaten als einzige
Nicht-EU-Mitglieder Teil des Raumes wurden. Zuvor war Schengen mit
dem Amsterdamer Vertrag in den Rahmen der EU integriert worden.
Der Beitritt der zehn neuen EU-Länder bringt das
Miteinander der ineinander geschachtelten Räume nun wieder in
Bewegung. Die neuen Mitglieder gehören noch nicht zu Schengen.
Doch um dem Prinzip der Freizügigkeit treu zu bleiben und
überall ein gleichhohes Niveau innerer Sicherheit zu
garantieren, hat die EU ihre neuen Mitglieder bereits im
Beitrittsvertrag dazu verpflichtet, das Schengen-Abkommen so
schnell wie möglich umzusetzen. Wann die EU-Außengrenzen
erstmals deckungsgleich mit denen von Schengen sein werden, will
niemand voraussagen.
Vor 2006 werden die internen Grenzen nicht fallen, vermuten die
Verantwortlichen, denn damit sind für die neuen Länder
noch schwierige Reformen verbunden. Die Polizei-, Zoll und
Justizbehörden müssen in das bestehende
Informationssystem integriert werden. Dazu brauchen sie neue
Computer, neue Datenverarbeitungsprogramme und manchmal sogar neue
Mitarbeiter. Einige der altgedienten Beamte schaffen es trotz der
EU-gesponserten Ausbildungsprogramme nicht, offener als bisher mit
Informationen umzugehen. Ähnlich sieht es bei den
Grenzkontrollen aus, vor allem beim Schutz vor illegaler
Einwanderung. Die alten Geräte taugen nicht, um den erwarteten
Ansturm von Flüchtlingen aufzuhalten. Für neues
Gerät fehlt das Geld. Und die wenigen Beamten sind ein Problem
für sich. Ungarn etwa bezahlt seine Grenzer schlecht.
Korruption ist eine Folge.
Schengen nicht oder erst spät beizutreten können sich
die neuen Mitglieder aber umgekehrt noch weniger leisten. Denn
dadurch würden sie nicht nur an politischer Macht und Ansehen
innerhalb der Union verlieren. Sie müssten dann auch für
den Schutz ihrer Grenzen allein sorgen. Drogendealer,
Menschenhändler und Terroristen könnten die
schwächer geschützten Randbereiche der EU nutzen, um von
dort aus, ihre Aktionen zu planen. Barbara Minderjahn Die Autorin
ist freie Journalistin in Köln.
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