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Barbara Minderjahn
Zur Sicherheit vernetzt
Grenzkontrollen sind unauffälliger aber
aufwändiger geworden
Fußballfans, die zur Europameisterschaft
nach Portugal geflogen sind, mögen sich gewundert haben. Vor
Beginn des Turniers meldeten die Zeitungen, die Veranstalter
befürchteten terroristische Anschläge. Die Vereinbarung
von Schengen erlaubt es den Mitgliedsstaaten in einem solchen Fall,
die ansonsten offenen Grenzen wieder zu kontrollieren. Doch selbst
einen Tag vor dem Endspiel durften Reisende von Köln nach
Lissabon die Schalterhallen unbehelligt passieren, von Polizisten
weit und breit keine Spur. Sind Grenzkontrollen für unsere
Sicherheit nicht mehr so wichtig? "Das Bedrohungsszenario und die
von Kriminellen eingesetzten Instrumente haben sich
verändert", erklären Experten etwas ausweichend.
Grenzen stören Terroristen heute weniger
als früher, denn die Übeltäter haben sich,
ähnlich wie die Wirtschaftsbosse, global organisiert. Sie
reisen nicht mehr wie Handlungsreisende persönlich mit
Sprengstoff und Waffen durch die Welt. Sie haben Niederlassungen
gegründet, die so genannten "Keimzellen" des Terrors, und
operieren mit "Angestellten" vor Ort. Waffen, die die vernarrten
oder durch Propaganda aufgehetzten Stellvertreter benutzen
können, gibt es in den westlichen Ländern genug. So soll
Al Quaida für die jüngsten Attentate in Madrid in Spanien
produzierten Sprengstoff benutzt haben. Was sollen Grenzen da noch
verhindern?
Ähnlich sieht es im Bereich der
organisierten Kriminalität aus. Die Banden haben ihre
Fühler mittlerweile in ganz Europa ausgestreckt und sind mit
herkömmlichen Mitteln kaum noch zu fassen. Meistens sind es
hierbei aber sogar Deutsche, die die Straftaten hierzulande
verüben. Das heißt: Das Problem lässt sich auch
durch eine noch so rigide Einwanderungskontrolle an der Grenze
nicht lösen. Um Kriminalität und Terrorismus zu
bekämpfen, haben sich die Ermittler daher heutzutage eine
ganze Reihe anderer Methoden einfallen lassen. Statt mit Hunden
bewaffnet Schlangen von Autos und Wagenladungen voller Gepäck
zu durchstöbern, überwachen Beamte des
Bundeskriminalamtes (BKA) beispielsweise lieber den Zahlungsverkehr
von dubiosen Firmen. Jeder Terrorist braucht Geld, jede dunkle
Gestalt aus dem Milieu will Geld. Geld führt die Ermittler auf
die Spur des Verbrechens.
Und das geht so: Bankangestellte,
Finanzdienstleister, Spielbanken, Immobilienmakler,
Wirtschaftsprüfer, Buchprüfer, Steuerberater,
Finanzbeamte, Rechtsanwälte, Patentanwälte und Notare -
sprich alle, die Einblick in die finanzielle Situation eines
Menschen haben - müssen größere oder auffällige
Transaktionen ihrer Kunden prüfen und es dem BKA melden, wenn
der Verdacht auf Geldwäsche besteht. Dort gibt es eine Stelle,
die so genannte Financial Intelligence Unit (FIU), die
sämtliche Fälle auswertet. Dann beginnt die Arbeit.
Tokio, Paris, London, Wall Street und Kairo - um seine unlauteren
Absichten zu verdecken, transferiert das organisierte Verbrechen
die Vermögenswerte kreuz und quer durch sämtliche
Finanzmärkte. Um dieses Knäuel zu entwirren, arbeiten die
Beamten genauso international. Seit der Einführung des neuen
Geldwäschebekämpfungsgesetzes im August 2002 hat die
deutsche FIU "in 98 Fällen Nachrichtenaustausch mit 21
ausländischen FIUs geführt", betont der FIU Jahresbericht
Deutschland von 2002. Hochgerechnet wären das rund 250
Fälle im ersten Jahr.
Dennoch sind auch die modernen Ermittler noch
auf Grenzkontrollen angewiesen, zum Beispiel um Schleuserbanden
oder Kleinkriminelle aufzuspüren, oder die großen Fische
zu verhaften, die mit Hilfe der anderen Methoden
überführt wurden. Grenzen sind Posten, an denen viele
Verbrecher früher oder später doch einmal vorbei kommen,
und sei es nur, um in Urlaub zu fahren. Spätestens hier kann
man sie stellen. Zu diesem Zweck haben die Schengen-Staaten eine
eigene Datenbank eingerichtet, auf die sämtliche
Polizeidienststellen, also auch der Bundesgrenzschutz, Zugriff
haben. Im Schengener Informationssystem (SIS) sind sämtliche
Fahndungsdaten der Mitgliedsstaaten gespeichert. Allein in
Deutschland sind für SIS mehr als 40.000 einzelne Computer
vernetzt, international sind es geschätzt vermutlich mehr als
100.000. Mehr als 40 Millionen Mal jährlich fragt allein der
Bundesgrenzschutz Daten aus dem System ab.
Die Grenzkontrollen haben sich allerdings
verändert. Sie sind für Schengenreisende
unauffälliger geworden. Das mag einer der Gründe
dafür sein, warum sie nicht mehr als so bedeutend
eingeschätzt werden. Im Gegensatz zu früher, als die
Grenzbeamten alle Reisende nach dem Stichprobenprinzip kontrolliert
haben, müssen Bürger der Schengenstaaten heute an den so
genannten Außengrenzen nur noch ihren Pass vorzeigen und
dürfen dann meist ungehindert passieren.
Nur Bürger aus Nichtmitgliedsstaaten
werden grundsätzlich überprüft. Das aber
gründlich. Bei jedem dieser Reisenden muss der Beamte laut
Abkommen Pass und Visa kontrollieren und nachschauen, ob im SIS
etwas gegen ihn vorliegt. Bei Verdacht oder nach dem
Stichprobenprinzip können die Grenzer den Reisenden
durchsuchen oder verhören. Alles, was darauf hin deuten
könnte, dass der Einreisende ein Krimineller oder Terrorist
ist, melden die Beamten an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden
weiter. Das Schengener Abkommen hat die Außengrenzen
effizienter gemacht.
Zwischen den Mitgliedsstaaten sind die
Schranken dafür weggefallen. Der Bundesgrenzschutz
kontrolliert aber auch hier weiterhin, zum Beispiel wie bei ganz
normalen Verkehrskontrollen: die Beamten sperren kurzfristig die
Strassen und überprüfen jeden Passanten. Solche
lageabhängige Kontrollen darf der Bundesgrenzschutz im
gesamten Grenzgebiet, in Zügen, auf Bahnanlagen sowie auf
Verkehrsflughäfen durchführen. Dazu hat der
Bundesinnenminister dem BGS bereits 1992 die Aufgaben der
Bahnpolizei und der Luftsicherheit übertragen und die
Institution damit gestärkt. Besonders um illegale Einreise und
Schleuser- kriminalität zu verhindern, aber auch bei der
Bekämpfung von Drogenschmuggel scheint sich dieses Instrument
zu bewähren. 22.638 illegale Einreisen konnte der BGS, die
Bundeszollverwaltung, die Landespolizei Bayern und die
Wasserschutzpolizei Hamburg und Bremen 2002 zusammen verhindern,
15.991 davon an den Binnengrenzen. Zusätzlich haben die
Grenzbeamten 2002 insgesamt 87.460 Personen zurückgewiesen,
zurückgeschoben oder abgeschoben und insgesamt rund 3.700 kg
Betäubungsmittel beschlagnahmt. Von insgesamt 57.402 als
gestohlen gemeldeten Fahrzeugen konnten sie dagegen nur 326
sicherstellen.
Die bedeutendste Veränderung, die mit
Schengen einherging, ist jedoch die Verzahnung des
Bundesgrenzschutzes mit anderen Sicherheitsorganisationen. Im
Gegensatz zu früher, als der BGS fast schon als
eigenständige, paramilitärische Einheit angesehen werden
konnte, arbeiten die Grenzschützer heute in Kooperation mit
der Landespolizei, dem BKA in Wiesbaden und den
Landeskriminalämtern. Die Informatio- nen, die der BGS
für seine Arbeit braucht - Fahndungs- und Visadaten -
erhält er über das aus Wiesbaden gespeiste
Computernetzwerk SIS und den angeschlossenen Zusatzdiensten. Die
Kriminalämter erhalten ihre Tipps umgekehrt oft sogar auf
direkterem Weg von den Grenzern, zum Beispiel über
Verbindungsbeamte. Ohne diesen Austausch, so die Ermittler,
wären viele Aufklärungserfolge nicht möglich. Selbst
der Verfassungsschutz greift gerne auf die Dienste des BGS
zurück. Ein Beamter, der anonym bleiben will, erzählt:
"Der Grenzschutz gibt uns zum Beispiel Tipps darüber, wer
einreist. Oder sie helfen uns bei der Überwachung von
verdächtigen Personen."
Wenn etwa ein befreundeter Geheimdienst einen
Verdächtigen bis an die Grenze Deutschlands begleitet, wird
die zu überwachende Person beim Grenzbeamten unauffällig
an den deutschen Geheimdienst übergeben. Das funktioniert nur,
wenn die Grenzpolizei dabei hilft. Gerade die Zusammenarbeit von
Polizei und Geheimdiensten haben unsere Verfassungsväter
allerdings nicht so vorgesehen. Um zu verhindern, dass sich einmal
wieder eine Organisation ähnlich der Gestapo entwickelt, haben
sie die strikte Trennung beider Institutionen angeordnet.
Ähnlich wie andere demokratische Prinzipien wurde aber auch
diese dem Kampf gegen den Terrorismus untergeordnet.
Auch international arbeitet der
Bundesgrenzschutz bereits mit Kollegen zusammen. Die bislang noch
nicht institutionalisierte Kooperation gilt als Vorreiter einer
geplanten europäischen Grenzpolizei. Diese Einrichtung solle
die Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten jedoch nicht
ersetzen, sondern unterstützen. "Wichtige Querschnittsaufgaben
wie etwa eine gemeinsame europäische Risikoanalyse, gemeinsame
europäische Ausbildungsvorhaben im Grenzschutzbereich oder
eine gemeinsame Krisenpräventionseinheit könnten
gemeinsam wahrgenommen werden. Hierdurch würden
Reibungsverluste minimiert, Synergieeffekte erzielt und ein
einheitliches Schutzniveau an den EU-Außengrenzen
sichergestellt," erklärt der Bundesgrenzschutz-Jahresbericht
2002.
Grenzkontrollen sind in ihrer neuen Form in
Wirklichkeit also nicht unwichtiger geworden, dafür aber
aufwändiger und teurer. "Früher kam der zu
Kontrollierende zu mir. Heute muss ich ihm hinterherfahren. Um den
gleichen Effekt zu erzielen, brauche ich also mehr Material und
Personal", erzählt ein Beamter. Zusätzlich übernimmt
der Grenzschutz heute noch eine ganze Reihe von neuen Aufgaben. Wie
diese mit der Sicherheit Deutschlands und Europas
zusammenhängen, ist nicht immer so leicht zu erkennen wie bei
den Sicherheitskontrolle an Flughäfen und Bahnhöfen. Bei
der Hochwasserkatastrophe 2002 beispielsweise unterstützte der
BGS die Einsatzkräfte mit 4.000 Leuten, 25 Hubschraubern, 34
Booten und weiterem Material. Die Opfer waren über jede Hilfe
dankbar. Doch man muss den Sicherheitsbegriff weit dehnen, wenn man
den Einsatz, bei dem der BGS Rettungs- und Evakuierungsaktionen und
die Sicherung der Katastrophenstelle übernahm, zum
eigentlichen Aufgabengebiet der Grenzschützer zählen will
- auch wenn es die Regierung in der Gesetzgebung so festgelegt
hat.
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