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Jörg Magenau
Echte Nachbarschaft
West-Baden-Württemberger und
Ost-Baden-Württemberger sind sich durch eine innige
Rivalität verbunden
Die Welt wird naturgemäß von Schwaben
bevölkert. So lernt es der Schwabe schon in der Schule. Seine
Welt reicht vom Bodensee bis nach Heilbronn. Oben drüber ist
Norddeutschland, da kennt er sich nicht aus. Von dort kommen die,
die eine andere Sprache sprechen. Um sie von Ausländern aus
Griechenland, Italien oder sonstwoher zu unterscheiden, heißen
sie "Reingschmeckte". Ob das etwas mit dem fernen Rheinland zu tun
hat, fragt er sich? Am Rhein entlang - und jetzt wird seine
Weltordnung kompliziert - wohnen auch die Badenser. Sie sind vom
Schwaben äußerlich nicht zu unterscheiden und reden auch
so.
Ob man das Wort "Bahnhof" mit hellem oder
dunklem Nasal spricht, mehr mit offenem a oder dumpfem o, das kann
nun wirklich keinen existentiellen Unterschied begründen.
Zwischen Ravensburg und Geislingen an der Steige oder
Großbottwar gibt es gewichtigere, innerschwäbische
Sprachdifferenzen. Doch die Badenser, die sich selbst als Badener
bezeichnen, sind eine Art Nachbar in der eigenen Wohnung. Solche
Leute muss man zwangsläufig als Feind betrachten.
Die Badenser sind das einzige Volk der Welt,
das die Bezeichnung "Badenser" für ein Schimpfwort hält.
Schwaben benutzen es nur deshalb so gerne, weil die Badenser sich
darüber zuverlässig ärgern. Das muss mit badischem
Selbsthass zu tun haben. Dass auch Goethe, ein unverdächtiger
Hesse, in "Dichtung und Wahrheit" von Badensern spricht, ignorieren
sie. Dass die vergleichbaren Wortbildungen "Hallenser" oder
"Jenenser" keinerlei Beleidigungspotential entfalten, ficht sie
nicht an. Dabei ist der "Badenser" ganz schlicht aus dem
Lateinischen "Badensis" abgeleitet. Das Lexikon verzeichnet Badener
und Badenser wertfrei nebeneinander. Die terminologische
Schwierigkeit ist Ausdruck dessen, dass es Badener, Badische,
Badenser oder wie auch immer sie heißen, eigentlich gar nicht
gibt. Sie sind, historisch betrachtet, nur eine Sonderform des
Schwaben oder des Alemannen, was ursprünglich einerlei war.
Das alte Herzogtum Schwaben, das bis ins Jahr 746 im Gebiet der
Alemannen bestand, umfasste jenseits des heutigen
Baden-Württembergs auch Schweizer Landstriche, das Elsass, das
bayrische Schwaben und Vorarlberg. In ähnlichen Grenzen
bestand ein Herzogtum Schwaben zwischen 916 und 1268. Vom 16. bis
Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in diesen Abmessungen einen
"Reichskreis Schwaben" als einen von zehn Verwaltungsbezirken, die
unter Kaiser Maximilian I. eingeführt wurden.
Und Baden? Nichts als Kleinstaaterei. Die
Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach waren nun wirklich
nicht der Rede wert. Das Großherzogtum Baden entstand erst
1806. Es profitierte ebenso wie Württemberg von der
napoleonischen Neuordnung Europas. Beide hatten sich rechtzeitig
auf die richtige Seite geschlagen und wurden deshalb mit
üppigen Gebietszugewinnen belohnt. Auszubaden hatten es die
Söhne des Landes, die als Söldner für fremde Truppen
in den Krieg ziehen mussten. Vielleicht wanderten deshalb so viele
Schwaben im 19. Jahrhundert nach Amerika, im 20. nach West-Berlin
aus. Sprichwörtlich ist weltweit der Ruf: "Ist kein
Böblinger da?"
Einen Badenser aber will der Schwabe auch im
Ausland nicht treffen. Schlimm genug, wenn Restaurants, die sich an
Maultaschen versuchen, diese als "badische Spezialität"
offerieren. Maultaschen sind neben der Suppenvorliebe und der
Butterbrezel das Schwäbische schlechthin. Metaphysische
Spekulationen, wonach auch die Seele eines Schwaben die Form einer
Maultasche besitzt, sind nicht so leicht zu widerlegen.
Es gibt Badische und Unsymbadische, sagen die
Badenser. Der Schwabe ahnt, dass sich das gegen ihn richtet. Er
spricht deshalb, wenn er Leute aus der fragwürdigen
Hälfte seines Bundeslandes meint, von "Gelbfüßlern",
auch wenn er nicht weiß, was das zu bedeuten hat. Manche
behaupten, es habe damit zu tun, dass die Badenser so dumm sind, in
einem Korb mit Eiern herumzustampfen, um mehr unterzubringen. Nach
anderer Version entstand der Name, weil Badenser immer gegen den
Wind pinkeln. Glaubwürdigere Experten wollen sich an badische
Truppen im 19. Jahrhundert erinnern, die gelbe Strümpfe oder
Gamaschen trugen.
Eigentlich leben Badenser und Schwaben
durchaus friedlich zusammen, seit sie 1952 gegen den Widerstand des
rebellischen Südbadens zu einem Bundesland zusammengefügt
wurden. In Südbaden gab es einmal republikanischen Geist und
revolutionären Aufbruch, als Friedrich Hecker mit seinen
Truppen
loszog, um eine freie Republik zu
erkämpfen. Die Enkel fechten's besser aus! Heute wird die
politische Rivalität in sublimierter Form auf dem
Fußballplatz ausgetragen. Elf Badenser sollt ihr sein. SC
Freiburg gegen VfB Stuttgart, das ist Naturenergie gegen
DaimlerChrysler, Landproletariat gegen Großindustrie,
Abstiegskampf gegen Championsleague-Sehnsucht. Doch seltsamerweise
verteidigen dann Herr Coulibaly aus Mali oder der Georgier
Iaschwili die badische Ehre gegen tapfere Schwaben wie Zvonimir
Soldo oder Jurica Vranjes. Der interne ethnische Konflikt
läßt sich derart nicht wirklich glaubhaft austragen. Und
doch erklingt von den Rängen des Dreisam-Stadions das Badener
Lied: "Drum grüß ich dich, mein Badner Land / Du edle
Perl in deutschem Land. / Frisch auf, frisch auf, mein Badner
Land."
Fußballspieler sind die Söldner der
Moderne. Zogen einst junge Schwaben für Napoleon oder andere
Kriegsherren in die Schlacht, so sammeln sich heute internationale
Truppen auf dem Fußballplatz. Doch die
schwäbisch-badische Grenze erweist sich als
globalisierungsresistent. Gerhard Mayer-Vorfelder scheiterte als
VfB-Präsident ja nicht etwa daran, den Verein fast in den Ruin
geführt zu haben. Schlimmer noch war sein Versuch, den
weißblonden Badenser Winnie Schäfer vom Karlsruher SC zu
holen und zum VfB-Trainer zu machen. Das konnte nur schiefgehen.
Schäfer wurde anschließend Nationaltrainer in Kamerun.
Ottmar Hitzfeld aus Lörrach hat es in Stuttgart immerhin zum
Rechtsaußen gebracht und in zwei Jahren in der zweiten Liga
zahlreiche Tore geschossen. Für die Bundesliga war er dem VfB
dann nicht mehr gut genug. Aber das ist ein anderes
Thema.
Aber wo genau verläuft nun die alles
entscheidende Grenze? Wo wohnen noch Schwaben, wo schon Badenser?
Woher soll man wissen, mit wem man es zu tun hat, wenn man sich zum
Beispiel in Unterreichenbach befindet? Auf dem Weg von Stuttgart
nach Karlsruhe überquert man irgendwo die Demarkationslinie,
ohne es zu registrieren. Kein Zöllner macht sich bemerkbar,
kein Schlagbaum öffnet sich. Der genaue Verlauf der Grenze ist
wie die Berliner Mauer in tiefere Regionen der Geschichte
abgesunken und ruht nun irgendwo auf dem Grund des
schwäbisch-badischen Bewusstseins. Die Zeit, in der sauber
getrennte Herzogtümer passgenau aneinander grenzten, liegt
lange zurück und bleibt die historische
Ausnahmesituation.
Vielleicht bezeichnet die Grenze weniger eine
geographische, als eine mentale Scheidelinie. Vielleicht läuft
diese Grenze in Wirklichkeit mitten durch jeden Schwaben hindurch.
Sie trennt Erfindungsreichtum und Faulheit, Geiz und Geilheit,
Cleverness und Stumpfsinn, progressives Denken und konservatives
Gefühl. Nur weil diese Elemente so schwer auseinanderzuhalten
sind und niemals in Reinform vorkommen, spricht man der Einfachheit
halber von Schwaben und Badensern. An der charakterlichen
Vereindeutigung arbeiten auch die Witze, die man über einander
erzählt: Warum tragen schwäbische Frauen keine
String-Tangas? Weil man später daraus keinen Putzlappen machen
kann!
In die andere Schmährichtung zielt die
Geschichte vom Schwaben, der zusammen mit einem Badenser, einem
jungen Mädchen und dessen Mutter im Zugabteil sitzt. Als der
Zug durch einen Tunnel fährt, hört man ein schmatzendes
Geräusch und kurz darauf eine schallende Ohrfeige. Wieder im
Hellen hat der Badenser eine knallrote Wange. Die Mutter denkt:
Braves Mädel, hat sich die Zudringlichkeit dieses Typen nicht
gefallen lassen. Die Tochter: Wieso hat er es bei meiner Mutter
versucht und nicht bei mir? Der Badenser: Verfluchter Schwabe! Er
küsst das Mädchen und ich kriege die Ohrfeige. Der
Schwabe: Hat ja prima geklappt. Im nächsten Tunnel schmatz ich
wieder und hau dem Gelbfüßler noch eine
runter.
Die Schwaben arbeiten mit solchen Anekdoten
die historische Schmach ab, die ihnen seit Grimms Märchen von
den "sieben Schwaben" aufgeladen ist. Tumber als diese sieben, die
einen Hasen für ein Ungeheuer hielten und schließlich
ersoffen, als sie versuchten, die Mosel zu überqueren, kann
man nicht sein. Tumbheit ist die historische Kehrseite der
geschäftigen Häuslebauercleverness. Vielleicht ist der
legendäre schwäbische Fleiß sowieso nichts anderes
als ein kompensierter Minderwertigkeitskomplex. Mildernd kann
allein die Tatsache wirken, dass die sieben Schwaben Namen wie
Veitli, Jergli oder Marli trugen, die vermuten lassen, dass es sich
in Wirklichkeit um schweizerische Alemannen handelte.
Jörg Magenau, geboren 1961 im
württembergischen Ludwigsburg, lebt als freier Autor
in
Berlin.
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