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Claudia Heine
Ein bisschen Mann, ein bisschen Frau
Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen erfand
die Werbung den "metrosexuellen" Herren
Die Männer sind in Bewegung. Ist das neu?
Mit dem Bild vom Jäger, der das erlegte Tier an die heimische
Feuerstelle schleppt, sind die meisten Mitteleuropäer
groß geworden: der Mann als Agierender, sei es für's
Essen oder die Sicherheit. Soziologen meinen damit jedoch ein
verändertes Rollenverhalten, das sie schon seit einigen Jahren
beobachten: weg vom traditionellen Macho hin zum so genannten
"neuen Mann". Werbestrategen klatschten da in die Hände und
riefen im vergangenen Sommer eine scheinbar sensationelle
Entdeckung aus: den metrosexuellen Mann.
Der metrosexuelle Mann fährt nicht etwa
leidenschaftlich gern mit der métro durch Paris. Obwohl er in
der Stadt der Mode schon richtig ist: Metrosexuell zu sein bedeutet
nämlich, auch als Mann seine weibliche Seite auszuleben. Woran
man das erkennt? An den "typisch weiblichen" Interessen eben: Mode,
Kosmetik und Körperpflege, Gesundheit und gutes Essen, aber
auch stilvolle Möbel - dafür interessiert sich der
Metrosexuelle. Angeblich rasiert er sich auch die Brusthaare, geht
zur Maniküre, benutzt Rasierschaum mit pflegenden
Kamilleextrakten und wechselt öfter seine Frisuren. So wie der
englische Fußballspieler David Beckham - Ikone dieses neuen
Trends und der Werbeindustrie überhaupt.
Seine feinen Fingernägel, leuchtenden
Haarsträhnen und kecke Unterwäsche sind aber nur ein Teil
des Bildes. Komplettiert wird es durch die Beziehung zu seiner
Ehefrau - ein ehemaliges "Spice Girl" - und den Kindern. Denn es
geht nicht um das Klischeebild eines Homosexuellen, sondern um
Männer, die Frauen lieben und ihre Rolle als Vater.
Verschwinden also die Grenzen zwischen Frauen und Männern?
Oberflächlich betrachtet sieht es so aus. Und bei der Kreation
"metrosexueller Mann" und seiner Definition geht es fast nur um
sie, die Oberfläche.
Der Werbegigant "Euro RSCG" fand in einer
Umfrage in den USA und Großbritannien heraus, dass
20 Prozent aller Männer in den
Metropolen - daher der Begriff metrosexuell - in diese Zielgruppe
passen. Wichtiger ist aber, so stellten die Marketingexperten fest,
dass sie bereit sind, viel Geld für Kleidung und
Körperpflege auszugeben. Männer werden als Konsumenten
entdeckt - tatsächlich eine neue Rolle. Sie sind zwar die
Manager des Kapitalismus, galten aber dennoch bisher als
ungeeignet, kapitalistische Absatzbedürfnisse zu befriedigen:
zu bescheiden und uninteressiert an den schönen Dingen, mit
denen man sich pflegen, kleiden und einrichten kann. In
ironischer Anspielung auf diese Situation und
die gleichzeitige Blüte neuer Hochglanzmagazine für
Männer, schuf der britische Journalist Mark Simpson 1994 den
Begriff des Metrosexuellen: die Erfindung des passenden Mannes
für diese Zeitschriften.
Auf der Jagd nach dem idealen
Körper
Von einem Verschwinden der
Geschlechtergrenzen kann dennoch keine Rede sein. Ob nun
metrosexuell oder neuer Mann - bisher handelt es sich nicht um ein
Massenphänomen. Auch hat Männlichkeit viele Gesichter,
und der neue Mann ist nur eines von vielen. Soziologen fanden
heraus, dass sich Männerrollen trotz der Veränderungen zu
gleichen Teilen zwischen den extremen Polen "traditionelle" und
"neue" Männer bewegen. Während der traditionelle Mann
nach wie vor den passenden Platz der Frau an Heim und Herd sieht,
beteiligt sich der neue Mann deutlich mehr an Haus- und
Familienarbeit, nimmt die Vaterrolle ernst und unterstützt
seine Frau in ihrer Berufstätigkeit. Dazwischen existieren
auch noch die "pragmatischen Männer", die sich aus dem
traditionellen wie dem modernen Bild die Rosinen rauspicken: Es ist
gut, wenn auch die Frau Geld ins Haus bringt - für die
schmuddeligen Hausarbeiten mache ich meine Hände trotzdem
nicht schmutzig. Ihre Gruppe ist bei weitem die
größte.
Neu am Trend des metrosexuellen Mannes
scheint dagegen eines zu sein: Männliche Identität
definierte sich in der zweigeteilten Geschlechterordnung bisher
über die Abgrenzung zur Weiblichkeit. Zu diesem
unterschiedlichen Rollenverständnis
gehörte auch das Verhältnis zum
eigenen Körper. Körperlichkeit wird seit Jahrhunderten
mit Weiblichkeit assoziiert. Männer wurden in der
wissenschaftlichen Diskussion stets als Menschen beschrieben, die
ihren Körper beherrschen und nur gebrauchen, um ihre Ziele zu
erreichen. Frauen dagegen galten in ihrem Charakter und ihren
Handlungsmöglichkeiten durch ihren Körper bestimmt. Im
Bild vom neuen Mann verwischen diese Konturen.
Der Druck, auch im eigenen Erscheinungsbild
bestimmte Erwartungen erfüllen zu müssen, ist für
Männer enorm gewachsen. Essstörungen, bisher ein
klassisches Frauenproblem, sind nur eine Folge der Jagd nach dem
idealen männlichen Körper. Aber selbst in der neuen
männlichen Körperlichkeit zeigen sich die Grenzen zur
Frau. Im Unterschied zu ihr, die eigentlich "nur" schön sein
muss, besteht die männliche Schönheit vorwiegend aus der
Symbolisierung von Stärke.
Der "neue Mann" präsentiert sich
letztendlich nicht als Neuerfindung: Trotz seiner Hinwendung zu
Familie und Kindern und seiner Offenheit gegenüber der
Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen bleiben Stärke,
Vernunft und Erfolg seine Markenzeichen. Auch David Beckham
verbindet beides: Als Star in einem klassischen Männersport
wie Fußball kämpft er "Mann gegen Mann" um den Ball; als
Vater passt er gern auf seine zwei Kinder auf.
Diese neue Kombination von scheinbar
männlichen und weiblichen Verhaltensweisen hätte noch nie
ein Widerspruch sein müssen, ginge es nach Judith Butler. Die
amerikanische Gender-Theoretikerin lehnt eine solche Zuordnung
aufgrund des Körpers grundsätzlich ab. Jede
geschlechtliche Identität von Männern und Frauen ist nach
ihrer Lesart im Verlauf der Zivilisation angelernt und weder
naturgegeben noch an den Körper gebunden. Folglich sind auch
Zuordnungen von weiblichen oder männlichen Symbolen ein
willkürlicher Akt.
"Geschlecht ist nicht genau das, was jemand
‚ist' oder exakt das, was jemand ‚hat'", schreibt
Butler, "Geschlecht ist der ‚Mechanismus', durch den
Vorstellungen von maskulin und feminin geschaffen und
eingebürgert werden, doch dieser könnte ebenso gut dazu
dienen, solche Begriffe zu zerstören oder zu beseitigen."
Werbetrends jedoch verschwinden genauso schnell, wie sie kommen.
Die metrosexuelle Revolution lässt bisher auf sich warten.
Claudia Heine ist Volontärin bei "Das Parlament".
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