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Florian Rötzer
Verschlossene Türen im virtuellen Raum der
Globalität
Auch im Internet tobt der Kampf zwischen
Kontrolle und Sicherheit
Das Internet hat schon zu der Zeit, als es noch wenig verbreitet
war, die Hoffnung erweckt, ein grenzübergreifendes Medium zu
sein, das einen virtuellen Raum der Globalität eröffnet.
Den Siegeszug trat das Internet mit der Erfindung des Web zu Beginn
der 90er-Jahre an, das den Zugang zur virtuellen Welt erheblich
erleichterte und über die Hyperlinks eine auch auf der
Oberfläche vernetzte Räumlichkeit schuf, bei der
Entfernung keine Rolle mehr zu spielen schien. Die Ausbreitung des
Web erfolgte symbolisch bedeutsam mit dem Ende des Kalten Kriegs
und in der Erwartung, dass nationale, aber auch andere
innergesellschaftliche Grenzen im Zuge der Globalisierung und der
Ausbreitung von Demokratie und Offenheit allmählich
verschwinden würden. Mit dem freien Fluss von Informationen,
Menschen und Gütern schienen sich ein neues Zeitalter der
Globalität, die Bildung einer globalen Metropole und das Ende
der Nationalstaaten anzukündigen. Mit den Möglichkeiten
wurden auch die Risiken deutlich.
Doch als dann ab Mitte der 90er-Jahre die Wirtschaft das Web
wirklich entdeckte, schoss zwar die Internetökonomie mit
explodierenden Aktienwerten und all den Fantasien vom schnellen
Profit auf. Aber es wurde auch deutlich, dass der freie,
grenzüberschreitende Fluss der Daten und die virtuelle
Globalität nicht nur Vorteile, sondern auch neue Probleme
für die einzelnen Nutzer, für Unternehmen und die
rechtlichen Ordnungen sowie die staatliche Sicherheit mit sich
bringen.
Mit der Vernetzung und der relativen Anonymität entstanden
neue Formen der globalen Kriminalität und des Vandalismus, die
im sich aufschaukelnden "Rüstungswettlauf" lokale
Sicherungsmaßnahmen wie Intranets, Firewalls und
Antivirenprogramme, aber auch nationale Strategien zum Schutz der
Computerinfrastruktur notwendig werden ließen. Die Risiken im
ungeschützten und unbegrenzten Cyberspace waren neuartig.
Einzelne Jugendliche waren über das Internet plötzlich
imstande, weltweit Schäden zu verursachen, selbst wenn sie nur
einmal demonstrieren wollen, was sie können. Der Handlungsraum
hat sich im Prinzip auf die gesamte vernetzte Welt erweitert.
Ist beispielsweise ein Wurm erst einmal freigelassen, kann er
sich mit blitzartiger Geschwindigkeit von (ungeschütztem)
Computer zu Computer über die ganze Welt verbreiten. Ein
gecrackter Computer oder andere vernetzte Dinge lassen sich aus der
Ferne steuern oder benutzen. Erst allmählich werden
internationale oder bilaterale Abkommen mit der Definition der
neuen Straftaten umgesetzt. Sie sollen eine Strafverfolgung von
Tätern ermöglichen, die die unterschiedlichen
Rechtsräume und die Möglichkeiten
grenzübergreifenden Handelns ausnutzen.
Webseiten können gehackt, manipuliert oder lahm gelegt,
Betreiber von Websites mit DoS-Angriffen erpresst, Daten
manipuliert oder geklaut oder Viren beziehungsweise Würmer
ausgesendet werden, die weltweiten Schaden anrichten. Auch
grenzüberschreitender politischer Protest wird damit
möglich, wenn beispielsweise von Hackern des einen Landes
Webseiten des anderen Landes mit Parolen überschrieben
(defaced) oder Server von Regierungsbehörden lahm gelegt
werden. Die Sicherung des geistigen Eigentums wurde wegen der
Möglichkeit, weltweit fast ohne Kosten Informationen zu
verbreiten, zu einem weiteren beherrschenden Problem. Ende der
90er-Jahre tauchte schließlich als Schreckbild die Vision vom
Infowar oder auch von Cyberterroristen auf, die von irgendeinem Ort
der Welt aus Angriffe auf die mehr und mehr von Computern
abhängige Infrastruktur eines Landes ausüben und so einer
Nation aus der Ferne großen wirtschaftlichen Schaden
zufügen könnten. Die Einrichtung von schützenden und
das nationale Recht erhaltenden Cybergrenzen wurde so aus vielen
Gründen zu einem wichtigen Thema, das mit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch mehr Gewicht
erhielt.
Grenzziehung durch nationale Filter
Eine übliche Art der nationalen Grenzziehung im Cyberspace
geschieht mit Filtern, mit denen Staaten versuchen, ihre
Bürger am Zugriff auf Webseiten zu hindern, deren Inhalte nach
nationalen Gesetzen verboten oder einfach unerwünscht sind.
Zwar können die Internetbenutzer, die in einem territorialen
Rechtsraum Verbotenes veröffentlichen oder auch herunterladen,
bestraft werden, auch wenn sie die Veröffentlichung auf einer
Website, die im Ausland gehostet wird, vorgenommen haben, aber
normalerweise lassen sich Ausländer nicht belangen, die in
ihren Rechtsordnungen legitime Inhalte veröffentlichen und
damit allen Internetbenutzern zugänglich machen.
Ein besonders markantes Beispiel für Internetzensur durch
nationale Filter gibt Usbekistan. Dort werden nicht nur
unerwünschte Seiten blockiert, sondern veränderte Kopien
von Seiten politischer Dissidenten ins Netz gestellt. Wenn Usbeken
die Seiten aufrufen wollen, sollen sie automatisch auf die
gefälschten Seiten umgelenkt werden, wodurch der Anschein
erweckt wird, dass keine Zensur stattfindet. In anderen
Ländern wie in China werden bei blockierten Seiten Meldungen
wie "host not found" oder "connection time-out" eingespielt,
wodurch der Eindruck erweckt wird, dass die gesuchte Website
aufgrund eines Fehlers nicht aufgerufen werden kann. Die saudische
"Internet Services Unit" hat eines der größten und
effektivsten Filtersysteme der Welt entwickelt, das
fortwährend aufwändig aktualisiert wird und den Zugang zu
etwa 400.000 Internetseiten verhindert, die als unislamisch gelten
oder gegen soziale oder politische Regelungen verstoßen. Damit
wird nicht nur das wie immer geartete Rechtssystem eines Landes an
den geografischen und virtuellen Grenzen geschützt, sondern
auch die staatlich definierte Kultur.
Auch in demokratischen Rechtssystemen werden technische Sperren
für Inhalte erwogen, die im Ausland liegen und dort nicht
verboten sind. Ein Beispiel dafür sind die vom
Düsseldorfer Regierungspräsidenten 2001 erlassenen und
immer noch bestehenden Sperrungsverfügungen für
"strafbare volksverhetzende Internet-Angebote", die
Internetprovider zwingen, für ihre Benutzer Filter
anzubringen. Solche Sperrungsverfügungen sind jedoch sehr
umstritten, zumal sie eben auch autoritären Staaten in die
Hände arbeiten.
In Deutschland gibt es bereits in einem Fall eine andere
Regelung, die der Bundesgerichtshof im Dezember 2000 in einem
Grundsatzurteil entschieden hat. Dabei ging es um den australischen
Staatsangehörigen Fredrick Toben, der auch im Internet die
Auschwitzlüge verbreitet. "Stellt ein Ausländer von ihm
verfasste Äußerungen, die den Tatbestand der
Volksverhetzung" erfüllen, so das Gericht, "auf einem
ausländischen Server in das Internet, der Internetnutzern in
Deutschland zugänglich ist, so tritt eine zum Tatbestand
gehörende Eignung zur Friedensstörung im Inland ein."
Tobens Texte seien weltweit abrufbar und geeignet,
"öffentlichen Frieden" hierzulande zu stören. Weil die
Texte hier gelesen werden und eine Wirkung entfalten können,
könne man behaupten, dass die Tat in Deutschland begangen
werde.
Eine andere Variante der Grenzziehung wurde in Frankreich
versucht. So verurteilte ein Richter aufgrund nationaler Gesetze
das US-Unternehmen Yahoo dazu, für französische Surfer
den Zugang zu Auktionen auch auf Servern in den USA zu sperren, bei
denen Nazi-Gedenkstücke versteigert werden. Yahoo brauche dazu
nur "geography intelligence" einsetzen, also die Programme zur
Erkennung der IP-Adressen, die Nationen und Regionen zugeordnet
sind, die die Firma schon für andere Zwecke, beispielsweise
für die Schaltung von länderspezifischer Werbung,
verwendete. Yahoo nahm schließlich die entsprechenden
Auktionen freiwillig heraus. Ähnlich verfährt etwa die
Suchmaschine Google, die für bestimmte Suchbegriffe in
Ländern wie Deutschland, Frankreich oder China bestimmte, je
nach Land unterschiedliche Ergebnisse nicht anzeigt.
Schutz der Cybergrenzen
Wenn es um den befürchteten Infowar oder um
cyberterroristische Anschläge geht, dann soll die
Computer-Infrastruktur im Land vor Angriffen von außen
geschützt werden. In den USA wurde bereits daran gedacht, alle
nationalen Netzwerke innerhalb eines Landes mit einer Firewall zu
schützen, um so zentral Angriffe und auch schon
Angriffsversuche frühzeitig feststellen zu können. Da
dies aber gleichzeitig ein umfassendes Kontroll- und
Überwachungssystem wäre, ist man davon erst einmal wieder
abgekommen. Aber die mit dem Schutz der nationalen
Computerinfrastruktur einhergehenden Probleme machen deutlich, dass
mit den globalen Netzwerken sich die Frage nach den nationalen
Grenzen verändert hat.
Mit dem Internet verschwimmt die Grenze zwischen der Innen- und
Außenpolitik zunehmend, wenn etwa feindliche Aktionen nicht
mehr militärisch im traditionellen Sinne geführt werden,
sondern in der asymmetrischen Konfliktform eines Cyberkriegs oder
-anschlags als Sabotage der Infrastruktur. Die Angriffe aus der
Ferne setzen herkömmliche Sicherheitskonzepte außer
Kraft, weil das Staatsgebiet nicht mehr nur an seinen geografischen
Grenzen und mit militärischen Mitteln zu verteidigen ist.
Schon vor dem 11. September wurde argumentiert, dass der Schutz des
Staates letztlich auf der ganzen Welt stattfinden müsse, weil
die Grenzen keine Sicherheit mehr bieten und die Systeme zu sehr
vernetzt sind. Ebenso wie sich hinsichtlich der Gefährdung der
Infrastruktur militärische und zivile Bereiche verwischen,
entgrenzen sich auch die Bereiche Innere Sicherheit und
militärische Sicherung vor äußeren Feinden, da auch
einzelne Angreifer mit bescheidenen Mitteln im In- oder Ausland
wichtige Infrastrukturen empfindlich stören könnten. Und
natürlich wird auch daran gearbeitet, wie man nicht nur einen
Infowar aktiv führen, sondern schnell bei einem Angriff mit
Cyberwaffen jenseits der Grenze gezielt oder flächendeckend
zurückschlagen kann.
Auf der anderen Seite wird es mit Computernetzwerken, Sensoren,
biometrischen Erkennungssystemen oder auch unbemannten Fahrzeugen
in Verbindung mit Datenbanken immer besser möglich, die
nationalen geografischen Grenzen zu kontrollieren oder zu sichern.
So sollen in den USA mit dem US-VISIT-System alle Reisenden, die in
die USA fahren oder das Land verlassen, über biometrische
Erkennung erfasst und identifiziert und ihr Aufenthalt in den USA
verfolgt werden. Diese "virtuelle Grenze" ist ein Kernstück
der geplanten "intelligenten Grenze" für den gesamten Luft-,
Land- und Meerverkehr, um die USA vor Gefahren von außen zu
schützen. Die neue Mauer oder das Abwehrschild für
Verdächtiges soll vornehmlich internationale Terroristen
abwehren, aber auch "Drogen, ausländische Krankheiten und
andere gefährliche Dinge", wie Bush im Januar 2002
ankündigte. Florian Rötzer
Der Autor ist Chefredakteur des Online-Magazins "Telepolis".
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