Christian Hauck
Zwischen Minderheiten hindurch: Der Weg nach
Dänemark
Grenzbesuch
Grenzbesuch
Zwischen Minderheiten hindurch: Der Weg nach Dänemark
So kompliziert wie die Geschichte Schleswig-Holsteins ist, so
kompliziert ist auch das Verhältnis der Menschen im Norden zur
deutsch-dänischen Grenze. Über Jahrhunderte hinweg war
der südliche Teil der jütischen Halbinsel Spielball von
Großmächten. Dänemark, Deutschland, Russland und
sogar England machten hier ihre machtpolitische Interessen geltend.
Um die Geschichte abzukürzen: als Folge des Versailler
Vertrages kam es durch eine Volksabstimmung 1920 zu der bis heute
geltenden Grenzziehung. Zurück blieben Minderheiten - eine
dänische in Deutschland und eine deutsche in
Dänemark.
Willkürlich ist die Grenze mit dem Lineal gezogen worden.
Für einen Kieler, Lübecker oder Hamburger ist sie eine
normale Grenze. Ebenso für Kopenhagener oder Aalborger.
Für nicht wenige Menschen in der Region ist sie dagegen bis
heute Ausdruck verletzten Nationalstolzes - für Deutsche und
Dänen gleichermaßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es
von dänischer Seite Bestrebungen zu einer Revision der
Grenzziehung, was zu erheblichen Spannungen führte. Ziel
einiger Kopenhagener Politiker war die Verschiebung der Grenze um
80 Kilometer nach Süden bis an den Fluß Eider, der
traditionell die Herzogtümer Holstein und Schleswig
voneinander trennte. Letztlich scheiterten diese Bemühungen
nicht nur am Widerstand der Deutschen, sondern vor allem an der
britischen Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein. Da die weitere
politische Entwicklung im Nachbarland unmittelbar nach Kriegsende
(Allparteienregierung unter kommunistischer Beteiligung, Bornholm
sowjetisch besetzt) nicht absehbar war, wollten die Briten den
strategisch wichtigen Nord-Ostsee-Kanal keinesfalls dänischer
Kontrolle überantworten.
Heute leben etwa 50.000 Dänen in Deutschland und 20.000
Deutsche in Dänemark. Trotz Minderheitenpolitik und EU bleibt
vieles im Grenzland für Fremde immer noch unverständlich.
Abhängig von der Marktlage bei Benzin, Bier und Lebensmitteln
floriert zwar der Grenzhandel. Und auch die Bingo-Hallen im
Nachbarland erfreuen sich bei deutschen Rentnern großer
Beliebtheit. Nicht so der Kulturaustausch. Ein Däne, der etwas
über das Kulturangebot südlich der Grenze wissen
möchte, schaut statt in seine dänische Zeitung besser in
den "Nordschleswiger", das Organ der deutschen Minderheit. Wegen
unterschiedlicher Rahmenbedingungen entwickelt sich auch die
Wirtschaft auf beiden Seiten nicht im Gleichklang. Das
dänische Sonderjylland brummt, während sich das deutsche
Südschleswig um seine Zukunft ernste Sorgen machen muss.
Die Minderheitenpolitik im Grenzland gilt in Europa als
vorbildlich. Mit Mitteln der beiden Nationalstaaten werden deutsche
beziehungsweise dänische Einrichtungen im jeweils anderen Land
gefördert. Es gibt dänische Kindergärten und Schulen
in Deutschland, deutsche Kindergärten und Schulen in
Dänemark. Der Südschleswigsche Wählerverband SSW ist
als Partei der dänischen Minderheit von der
Fünf-Prozent-Hürde befreit, während für die
Schleswigsche Partei die in Dänemark übliche
Zwei-Prozent-Sperrklausel gilt.
Trotzdem - oder gerade weil man die jeweiligen Minderheiten
stark unterstützt -, scheinen sich Deutsche und Dänen im
Grenzland noch immer fremd zu sein. Zwischen offizieller Politik
und Heimattümelei brechen regelmäßig Ressentiments
aus. Als deutsche und dänische Kommunen sich vor einigen
Jahren in einem Regionalrat grenzüberschreitend organisierten,
entluden sich in Dänemark heftige Proteste. Unbekannte
zündeten das Auto des Bürgermeisters des dänischen
Amtes Sonderjylland an. Der Flensburger Oberbürgermeister
musste sich aus dem Nachbarland den Vorwurf gefallen lassen, nach
"Lebensraum im Norden" zu streben.
Für großes Aufsehen sorgte auch der Fall eines
Flensburgers, der fünf Kilometer nördlich im
dänischen Krusau seine große Liebe fand. Dass der
Deutsche gelegentlich bei seiner Herzensdame im Königreich
übernachtete, passte den Nachbarn nicht. Sie zeigten den Fall
bei den lokalen Behörden an, deren Mitarbeiter sich nachts auf
die Lauer legten und spitzelten. Verfahren wegen illegalen
Aufenthalts und Steuerhinterziehung waren die Folge. Das Auto des
Deutschen wurde konfisziert. Am Ende zog es dessen Freundin vor,
lieber fünf Kilometer nach Süden umzuziehen. In Kiel wie
in Kopenhagen löste der Vorgang nur noch Kopfschütteln
aus. Christian Hauck
Der Autor ist Redakteur im Büro Landeshauptstadt des
Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages.
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