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Gerlind Schaidt
Die erste echte europäische Straße
bereitet den Weg nach Holland
Grenzbesuch
Grenzbesuch
Die erste echte europäische Straße bereitet den Weg
nach Holland
Die Grenzmauer ist schon lange abgerissen. Nur Reste dieser
Betonbefestigung verzieren noch als eigenwillige Skulpturen die
zahlreichen Verkehrskreisel und ein paar Vorgärten der
Häuser. Nach dem Fall der Mauer und im Rahmen des
europäischen Zusammenwachsens kamen die Bürger von
Herzogenrath und Kerkrade an der deutsch-niederländischen
Grenze überein, dass ihr 60 Zentimeter hohes Mäuerchen
als Staatsgrenze ausgedient habe und brachen es ab. Bei einem
Spaziergang über die Neustraße/Nieuwstraat muss man schon
sehr genau hinsehen, wenn man erkennen will, welches Haus
niederländisch und welches deutsch ist.
Noch in den 60er-Jahren war die etwa zwei Kilometer lange
Grenzstraße allerdings ein wichtiger Schmuggelort. Unter ihr
sollen sogar Tunnel für den Schwarzhandel gegraben worden
sein. Heute ist die Neustraße/Nieuwstraat die erste echte
europäische Straße. "Das hat auch Probleme gebracht",
weiss Hans Hoever, Mitarbeiter bei der Stadt Herzogenrath und
zuständig für die deutsch-niederländische
Zusammenarbeit in dem "Eurode" genannten Grenzgebiet. "Es galt
unterschiedliches Verkehrsrecht. Beispielsweise mussten
niederländische Mopedfahrer auf dem Radweg fahren,
während das in Deutschland verboten war", erklärt Hoever.
Regelungsbedarf bestand auch über die Zuständigkeit bei
Verkehrsunfällen. Echten Pioniergeist bewiesen die
Feuerwehrleute. Sie fanden eine Lösung für die nicht
zusammen passenden Schlauchkuppelungen. Ihr Patent war so genial,
dass es im Bonner Haus der Geschichte ausgestellt wurde.
Die Neustraße/Nieuwstraat führt direkt auf das EBC,
das gemeinsame Dienstleitungszentrum "Eurode Business Center". 2001
wurde es von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und dem
niederländischen Regierungschef Wim Kok als "einzigartiges
grenzüberschreitendes Projekt" eröffnet. Zwei besonders
schöne Restexemplare der alten Grenzbefestigung - bemalt in
den jeweiligen Landesfarben - stehen symbolisch mitten im Foyer des
Dienstleistungszentrums, das zur Hälfte auf deutschem und zu
anderen Hälfte auf niederländischem Boden errichtet
wurde. Voll beabsichtigter Symbolik wurde die niederländische
Seite des Gebäudes verklinkert, wie es unsere Nachbarn
mögen. Auf deutscher Seite wurde mit Putz gearbeitet.
Ansonsten deutet nur eine in den Boden eingelassene Linie darauf
hin, wo einst die Grenze verlief. Im Gebäude selber ist
Gemeinsamkeit angesagt. Hier gibt es
Arbeitsvermittlungsorganisationen, eine
deutsch-niederländische Polizeistation,
Rechtsanwaltskanzleien, Unternehmensberater und
Bankzweigstellen.
So einzigartig wie das Gebäude, ist auch die Zusammenarbeit
der beiden Kommunen. Der deutsche Bürgermeister Gerd
Zimmermann und sein niederländischer Kollege Jos Som - beide
sind Christdemokraten, betonen aber, Parteizugehörigkeit
spiele nur eine geringe Rolle - halten sogar regelmäßig
gemeinsame Bürgerstunden ab. Dabei tragen Deutsche und
Niederländer ihre Probleme vor. Vereint wird dann nach
Lösungen gesucht. Ein Schulprojekt will den
Integrationsgedanken fördern. An zwei Grundschulen in Kerkrade
unterrichten derzeit deutsche Lehrkräfte "Deutsch", und
umgekehrt lehren in Herzogenrath zwei Niederländer
"Niederländisch". Sogar ein gemeinsamer Stadtplan wurde 1999
fertig gestellt.
Herzogenrath/Kerkrade sind also Vorzeigekommunen für die
europäische Zusammenarbeit. Dass es hier so gut klappt, liegt
daran, dass beide Orte eine gemeinsame kulturelle Tradition
verbindet. Erst der Wiener Kongress schlug Kerkrade zu den
Niederlanden und Herzogenrath den Preußen zu. Familiäre
Bindungen verhinderten, dass sich in der Bevölkerung
gegenseitiges Misstrauen oder Ablehnungen einnisten konnten. Eine
Doktorarbeit an der Universität Nijmegen kommt zu folgendem
Ergebnis: 97 Prozent der Herzogenrather und 85 Prozent der
Kerkrader finden gut, dass beide Städte zusammenarbeiten. Aber
nur 24,5 Prozent Herzogenrather und 17 Prozent Kerkrader wären
damit einverstanden, wenn beide Städte fusionieren
würden. Gleichzeitig finden 56 Prozent der Herzogenrather,
dass sie Nutzen aus der Zusammenarbeit ziehen. Bei den offenbar
vorsichtigeren Kerkradern sind immerhin noch 43 Prozent dieser
Meinung.
Übrigens gibt es auch es auch im vorbildlichen Grenzgebiet
für Nostalgiker und kühle Rechner ein bisschen alte
Grenztradition. Wer an der Eygelshover Straße die Seiten
wechselt, findet noch eine deutsche Grenzmarkierung und auf der
holländischen Seite in einem Eckhaus den Laden von Richard
Beckers. Seit vier Generationen ist das Geschäft im
Familienbesitz. Viele deutsche Grenzgänger kaufen hier. "Das
lohnt noch immer: Besonders Kaffee und Zigaretten, Kekse und
Lakritze sind hier viel billiger als in Deutschland auf der anderen
Straßenseite", betonen die Kunden und zeigen auf ihre prall
gefüllten Einkaufstaschen. Gerlind Schaidt
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.
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