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Norbert Mappes-Niediek
Auf dem Weg nach Österreich trennt der Inn
und das Å
Grenzbesuch
Grenzbesuch
Auf dem Weg nach Österreich trennt der Inn und das
Å
Ihr håbts går kan Å auf dem Auto", pflegten
früher die bayerischen Grenzbeamten den gern etwas schlampigen
Österreichern zu sagen, wenn sie mal wieder das
Nationalitätenkennzeichen vergessen hatten. Das gab
regelmäßig Anlass zu lustigen Dialogen. "Kein Å? Was
meinen 'S damit?", fragten übermütige Österreicher
gern zurück. "Na, ein Å halt!", wusste der zunehmend
verzweifelte Bayer da nur zu erwidern. Bis er irgendwann
erlöst wurde: "Ach so, ein A!"
Von Braunau nach Simbach sind es nur ein paar Schritte. Keinen
Grenzbalken gibt es hier mehr, nur noch Euro, und niemand muss mehr
die ovale Plakette mit dem D oder dem A aufs Auto kleben, seit auch
das EU-Mitglied Österreich, nach auffällig langem
Zögern, die blaue Europa-Fahne mit dem Buchstaben drunter in
die Nummernschilder integriert hat. Aber noch immer weiß hier
jeder ganz genau, wer und was ein Deutscher ist und wer und was ein
Österreicher - und noch immer können die Bayern in
Simbach, die jetzt jedoch nicht mehr in der Uniform an der Grenze
stehen, kein klares A sprechen. Der Inn, der Deutschland und
Österreich teilt, macht zwar vielleicht keinen großen
Unterschied. Aber einen klaren.
Trennscharfe Identität
Historiker, die ihre Theorien über das Modethema Grenze
entwickeln, bedienen sich gern bei den Erfahrungen und
Ressentiments im Osten und vor allem im Südosten des
Kontinents. Geschult an solchen Vorbildern haben zum Beispiel die
Briten Thomas M. Wilson und Hastings Donnan eine Typologie von
"Populationen in Grenzräumen" entwickelt. Zur ersten Gruppe
gehören danach solche, die "ethnische Gemeinsamkeiten sowohl
über die Grenze hinweg als mit der Bevölkerung im
geografischen Kern ihres eigenen Staates" teilen - zum Beispiel die
Menschen zu beiden Seiten der bulgarisch-mazedonischen Grenze. Eine
zweite Gruppe ist durch grenzüberschreitende Bande von anderen
Bewohnern ihres eigenen Staates geschieden - etwa die Russen in
Lettland. Die Leute in Simbach oder Braunau gehören zur Gruppe
drei: Sie leben an einer "sauberen" Grenze: hier lauter Deutsche,
dort lauter Österreicher. Aber eigentlich müssten beide
sich auch in der Gruppe eins pudelwohl fühlen, denn "ethnische
Gemeinsamkeiten" gibt es zwischen Simbach und Braunau in Hülle
und Fülle. Nur der Inn und das Å trennt sie.
Wer meint, "ethnische" Marker wie Sprache, Kultur oder gar
Abstammung hätten etwas mit Nationalität zu tun, wird an
der deutsch-österreichischen Grenze Tag für Tag eines
Besseren belehrt. Noch 1995, als Österreich in die EU kam,
wollten viele, besonders in Wien, dem Braten nicht so recht trauen.
War das jetzt der zweite Anschluss? Würde Österreich sich
einfach auflösen? Gerade mal ein halbes Jahrhundert war es
erst her, dass die "Alpen- und Donaugaue" so fest zum
tausendjährigen Deutschland gehört hatten, dass das Wort
"Österreich" nicht einmal ausgesprochen werden durfte.
Seit jeher wurde hier über die Grenze geheiratet. Noch 1956
war eine - wenn auch nur noch knappe - Mehrheit der
Österreicher der Meinung, sie seien "ein Teil des deutschen
Volkes". Salzburg bildet heute mit Freilassing auf der deutschen
Seite eine "Euro-Region" und die ganze Region gehört
ökonomisch ebenso wie Innsbruck zu einem Großraum mit dem
Zentrum in München. Noch heute hält eine beachtliche
Minderheit von Österreichern sich für Deutsche. Mit der
Grenze oder gar dem Grenzregiment hat das aber nichts zu tun. Die
"Deutschnationalen" leben meistens in Kärnten, weit weg von
der Grenze. In Oberösterreich, zu dem Braunau gehört, ist
die Identifikation mit dem eigenen Staat relativ am stärksten.
Die Identität von Österreichern und Deutschen ist
trennscharf wie eh und je.
So sehen Nationen der Zukunft aus
Wer heute über die Autobahn bei Passau, bei Salzburg oder
bei Kufstein die Grenze passiert, braucht schon einen
archäologischen Blick, um zu erkennen, was hier einmal war.
Schilder mit der Aufschrift "Letzte Tankstelle vor der Grenze" sind
Zeugen aus einer fernen Zeit, als man mit dem Verlassen des eigenen
Landes ein unsicheres und tendenziell gefährliches Gebiet
betrat. Heute sind die Schilder eher als Warnung vor dem eigenen
Fiskus sinnvoll, denn in Österreich ist das Tanken viel
billiger.
Nicht die Grenze konstituiert die Identität, wie die
Kritiker des Nationalstaats gerne glauben. An der Grenze zwischen
Deutschland und Polen - oder zwischen Österreich und Slowenien
- sind die Unsicherheiten über die nationale
Zugehörigkeit stets viel größer gewesen, obwohl doch
die sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den
Deutschen und Österreicher, viel geringer sind. Auch der
"Abstammungsnationalismus" der Deutschen, der heute noch jeden aus
der Türkei stammenden Mitbürger bestenfalls zum
"Türken mit deutschem Pass" werden lässt, ist gegen
Österreich kein Problem: Auch die Österreicher, die reden
und denken wie wir und meistens eine deutsche Oma haben, sind
zweifelsfrei keine Deutschen. Ein irritierendes, aber ein gesundes
Verhältnis. Wer sich von den Nationen im künftigen Europa
eine Vorstellung machen will, soll nach Simbach fahren. Norbert
Mappes-Niediek
Der Autor ist Österreich-Korrespondent für zahlreiche
deutsche Zeitungen und Autor des Buches "Österreich für
Deutsche - Einblicke in ein fremdes Land", Chr. Links Verlag,
2001.
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