Heidemarie Wieczorek-Zeul
Vor großen Herausforderungen
Aufbau einer weltweiten
Entwicklungspartnerschaft
Auf dem Millennium-Gipfel der Vereinten Nationen
im September des Jahres 2000 haben die Staats- und Regierungschefs
der Welt eine Reihe befristeter messbarer Ziele und Zielvorgaben
zur Bekämpfung von Armut, Hunger, Krankheiten,
Analphabetismus, Umweltzerstörung und Diskriminierung von
Frauen und zum Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft
beschlossen. Die auf diesem Gipfel verabschiedete
Millenniumserklärung enthielt auch Ausführungen über
einen Konsens zum weiteren Vorgehen, wobei Menschenrechte, gute
Staats- und Regierungsführung und Demokratie stärkere
Berücksichtigung finden sollten, aber auch
Konfliktprävention und Frieden schaffende Maßnahmen.
Für die Entwicklungsländer dieser
Welt sind die Millenniums-Entwicklungsziele ein Potenzial, mit
dessen Hilfe eine breite Palette von Meinungsführern und
Entscheidungsträgern zur Unterstützung einer gemeinsamen
Entwicklungsagenda zusammengebracht werden können. Inzwischen
sind die Millenniums-Entwicklungsziele zu den zentralen
Schwerpunkten der internationalen Entwicklungspolitik geworden. Sie
haben dazu geführt, dass Entwicklungspolitik als solche und
entwicklungspolitische Probleme stärkere Beachtung finden und
Einzug in alle anderen Politikfelder gefunden haben. Auch für
die deutsche Entwicklungspolitik, sei es in ihrer internationalen,
in ihrer europäischen oder in ihrer bilateralen Arbeit, bilden
die MDGs (Millennium Development Goals) den verbindlichen
Orientierungsrahmen.
Die MDGs sind das Ergebnis eines jahrelangen
Prozesses in der internationalen Entwicklungspolitik. Sie haben
eine vorher nicht vorhandene Grundlage und Verpflichtung für
die Partnerschaft zwischen entwickelten Staaten und
Entwicklungsländern geschaffen. Die politische Bedeutung der
Millenniumserklärung und der Entwicklungsziele liegt vor allem
darin, dass sie in den Entwicklungsländern einen
Diskussionsprozess zwischen Regierung und Zivilgesellschaft
angestoßen und das Reformtempo beschleunigt haben. Auch der
Dialog der Industrie- mit den Entwicklungsländern über
Wege aus der Armut hat sich deutlich intensiviert.
Schließlich wird im Herbst 2005 im
Rahmen der 60. Generalversammlung der Vereinten Nationen, wiederum
mit den Staats- oder Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, eine
umfassende Bestandsaufnahme der Fortschritte stattfinden, die
zwischen 2000 und 2005 erreicht werden konnten.
Wo stehen wir heute?
Schon heute ist klar, dass es großer
Anstrengungen aller bedarf, alle Entwicklungsziele zu erreichen.
Die Weltgemeinschaft steht vor einer enormen Herausforderung. Das
zentrale Ziel immerhin - die Halbierung des Anteils der Menschen,
die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen - wird
wahrscheinlich erreicht werden. Das ist vor allem auf große
Erfolge bei der Armutsbekämpfung in Asien (China, Indien,
Vietnam) zurückzuführen. Ebenso wird es nach derzeitigem
Trend gelingen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem
Trinkwasser um die Hälfte zu senken.
Die Unterschiede bei der Zielerreichung sind
zwischen den verschiedenen Weltregionen und Ländern jedoch
enorm. Die größten Schwierigkeiten zeigen sich in Afrika
südlich der Sahara, insbesondere in Ländern mit
Konfliktsituationen. Aber es gibt auch Erfolgsbeispiele. Einige
afrikanische Staaten sind auf gutem Wege, ausgewählte MDGs zu
erreichen, zum Beispiel Tansania bei der Trinkwasserversorgung,
Uganda, Mosambik und die Kapverden bei der Primarschulbildung oder
Malawi und Eritrea bei der Senkung der
Kindersterblichkeit.
Bereits auf dem Millenniums-Gipfel
kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder für
Deutschland einen eigenen und sichtbaren deutschen Beitrag zur
Umsetzung der Millenniumserklärung an: Das deutsche
"Aktionsprogramm 2015" zur globalen Armutsbekämpfung, dass im
April 2001 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieses
Aktionsprogramm beschreibt den deutschen Beitrag zur Umsetzung der
MDGs. Das Aktionsprogramm folgt dem Leitbild einer global
nachhaltigen Entwicklung, die sich in wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Beachtung der
ökologischen Tragfähigkeit und politischer
Stabilität ausdrückt.
Es bekräftigt die Armutsbekämpfung
als überwölbende Aufgabe der deutschen
Entwicklungspolitik. Dabei wird ein erweiterter Armutsbegriff
zugrunde gelegt: Armut bedeutet nicht nur geringes Einkommen,
sondern auch geringe Chancen und Beteiligungsmöglichkeiten im
politischen und wirtschaftlichen Leben, besondere Gefährdung
durch Risiken, Missachtung der Menschenwürde und
Menschenrechte sowie fehlender Zugang zu Ressourcen.
Armutsbekämpfung ist aber auch eine
politische Frage. Es geht darum, sowohl die wirtschaftlichen
Handlungsmöglichkeiten als auch den politischen Einfluss armer
Bevölkerungsgruppen auszuweiten. Ohne Frieden und Sicherheit,
ohne Demokratisierung und verantwortliche Regierungsführung,
ohne die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter und
gleiche, gesicherte Rechte aller Menschen und ohne den Zugang zu
Ressourcen, Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen,
kann Armut nicht nachhaltig reduziert werden. Nachhaltige
Armutsbekämpfung erfordert demnach vor allem die Entwicklung
wirkungsvoller Institutionen.
Nur wenn die institutionellen
Rahmenbedingungen Mindestanforderungen genügen, kann ein Land
attraktiv für private Investoren aus dem In- und aus dem
Ausland werden und so langfristig von Entwicklungshilfe
unabhängig werden. Die deutsche Entwicklungspolitik hat daher
im internationalen Vergleich einen deutlichen Schwerpunkt auf die
Förderung von institutionellen Entwicklungsvoraussetzungen und
"good governance" gelegt.
Die deutsche Bundesregierung und insbesondere
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) hat seit der Verabschiedung der MDGs 2000 in
unterschiedlichen Handlungsfeldern bereits deutliche Initiative
ergriffen:
Fairer Handel und Entschuldung
Eine großangelegte Informationskampagne
zum Fairen Handeln ("fair feels good") wurde Ende vergangenen
Jahres gestartet, um zweierlei zu erreichen: Den Marktanteil des
Fairen Handels in Deutschland als einen direkten Beitrag zur
Armutsbekämpfung massiv auszuweiten und darüber hinaus
weite Teile der deutschen Verbraucher für globale
Zusammenhänge und die Millenniumsziele zu sensibilisieren.
Nach Schätzungen profitieren mittlerweile 800.000 zumeist
kleinbäuerliche Familien vom Fairen Handel - aber das
Potenzial ist weitaus größer.
Der bilaterale Schuldenerlass durch
Deutschland auf Basis der Kölner Gipfelbeschlüsse
beträgt insgesamt rund sechs Milliarden Euro. Deutschland
trägt zudem national und über die EU einen erheblichen
Anteil der Kosten für die Erlassmaßnahmen der
internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank. Die
Erfolge des Schuldenerlassprogramms sind höchst bemerkenswert:
In den Ländern, denen nach Erfüllung der Voraussetzungen
die Schulden erlassen wurden, steigen die Sozialausgaben für
Bildung, Gesundheit und so weiter ganz erheblich an: in Uganda,
Bolivien, Mozambique, Tansania, Burkina Faso, Mauretanien, Bali und
Benin laut Weltangaben von insgesamt 5,8 Milliarden US-Dollar im
Jahresdurchschnitt 1999/2000 auf 9,2 Milliarden US-Dollar im
Jahresdurchschnitt 2002 bis 2005.
Die Bundesregierung beteiligt sich an der
Education for All Fast Track Initiative. Die deutsche
Förderung konzentriert sich auf diejenigen Länder, in
denen die Grundbildung der vereinbarte Schwerpunkt für die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist. Das sind derzeit
Mozambique, Guinea, Honduras und Jemen. In Mozambique zum Beispiel
nimmt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) die
Führungsrolle bei der Koordinierung der Geberaktivitäten
in diesem Bereich ein und beteiligt sich maßgeblich an der
Entwicklung eines gemeinsamen Finanzierungsfonds.
Mit Hilfe dieser Unterstützung ist es
Mozambique zwischen 1990 und 2002 gelungen, die Zahl der Kinder in
der Grundschule um eine Million zu erhöhen, sodass heute alle
Kinder die Grundschule besuchen können. Im Schwerpunktland
Jemen konnte mit deutscher Hilfe die Einschulungsrate zwischen 1990
und 2001 von 57 auf 78 Prozent erhöht werden, wobei jetzt
wesentlich mehr Mädchen als vor zehn Jahren eine Schule
besuchen.
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr
insgesamt 300 Millionen Euro für die AIDS-Bekämpfung in
Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt. Der Globale
Fond zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria wird
bis 2007 mit 300 Millionen Euro unterstützt werden. Thailand
und Uganda zum Beispiel sind Länder, in denen es gelungen ist,
die Ausbreitung von HIV/AIDS einzudämmen.
Gleichstellung der Geschlechter
In diesem Bereich hat sich die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit seit Jahren im besonderem Maße
engagiert. Das Engagement wurde dadurch nochmals akzentuiert und
konkretisiert, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter als
einer der zehn Ansatzpunkte im Aktionsprogramm 2015 aufgenommen
wurde; denn wir sehen hierin einen Schlüsselfaktor zur
Reduzierung der weltweiten Armut. Deutschland unternimmt - auch mit
Sondermitteln - besondere Anstrengungen, die Gleichstellung der
Geschlechter in die nationalen Armutsbekämpfungsstrategien der
Partnerländer aufzunehmen.
Der Förderbereich Wasser ist für
die Erreichung der MDGs besonders wichtig, weil er nicht nur die
Sicherung von Nachhaltigkeit im Umweltbereich betrifft, sondern
auch für die Erreichung der Ziele in den Bereichen Gesundheit,
Ernährung und Bildung relevant ist. Deutschland ist weltweit
der zweitgrößte bilaterale Geber im Wassersektor mit
einem jährlichen Fördervolumen von 350 Millionen Euro.
Wir haben deshalb mehrere Konferenzen mitorganisiert und
Initiativen ergriffen mit dem Ziel, den Zugang armer
Bevölkerungsgruppen zu Wasser und sanitärer
Basisversorgung zu verbessern.
Zu nennen sind die internationale
Süßwasserkonferenz 2001 in Bonn, der beim G8-Gipfel in
Evian 2003 verabschiedete Wasseraktionsplan und der
G8-Afrika-Aktionsplan.Darüber hinaus unterstützt
Deutschland mit 117 Millionen Euro die EU-Wasserfazilität, die
mit einem Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro insbesondere in
Afrika Projekte zur Trinkwasserversorgung finanziert.
Die Internationale Konferenz für
Erneuerbare Energien in Bonn hat ein Zeichen für eine globale
Energiewende gesetzt. Bis zum Jahr 2015 soll eine Milliarde
Menschen mit Energie aus erneuerbaren Energiequellen versorgt
werden. Auf dieses Ziel haben sich die Delegierten in der
politischen Erklärung verständigt. Bundeskanzler Gerhard
Schröder hat zugesagt, dass die Bundesregierung in den
kommenden fünf Jahren insgesamt weitere 500 Millionen Euro
für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz bereitstellen
wird. Damit wurde die Zusage aus Johannesburg, eine Milliarde Euro
bereitzustellen, deutlich aufgestockt.
Millenniumsentwicklung hat
Priorität
Die MDGs haben Bewegung in die noch vor
wenigen Jahren scheinbar festgefahrenen Anstrengungen gebracht, die
Verantwortung der Entwicklungsländer für die eigene
Entwicklung und die Unterstützung der Industrieländer in
eine konstruktive Beziehung zu bringen. Diese neue Dynamik
müssen wir nutzen. Unsere Welt steht mit den MDGs vor einer
zentralen Herausforderung. Wenn es nicht zu entscheidenden
Verbesserungen kommt, werden viele Länder die gesteckten Ziele
nicht erreichen. Wir haben die beispiellose Chance, die Armut
erfolgreich zu bekämpfen. Zum ersten Mal herrscht zwischen
reichen und armen Ländern ein wirklicher Konsens darüber,
dass Armut ein Problem der ganzen Welt ist und dass die ganze Welt
gemeinsam dagegen ankämpfen muss. Ich habe deshalb die
Umsetzung der MDGs zur absoluten Priorität für die
deutsche Entwicklungspolitik in den kommenden Jahren
gemacht.
Heidemarie-Wiechzorek-Zeul (SPD) ist seit
1998 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung.
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