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Keine falschen Ziele setzen
Im Gespräch: Christian Ruck MdB
(CDU/CSU)
Interview mit Christian Ruck,
entwicklungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Die Fragen stellte K. Rüdiger Durth.
Das Parlament
Ist das Millenniums-Ziel der Vereinten
Nationen, die Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren,
realistisch?
Christian Ruck Der Human Development Report
der UNDP von 2003 macht unverblümt deutlich, dass dieses Ziel
nur durch erhebliche Kraftanstrengungen in den
Entwicklungsländern sowie den Industriestaaten zu erreichen
ist. Diese zeichnen sich derzeit jedoch nicht ab. Ohne mehr Gelder,
einer besseren Koordination der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit und der Einforderung von "good
governance" bleiben die Ziele sehr unrealistisch. Der Bericht
verweist daher auf 59 Entwicklungsländer, die kaum eine Chance
haben, die Millenniums-Ziele zu erreichen. Auch wenn es die Not
gebietet, sich in der Entwicklungszusammenarbeit ehrgeizige Ziele
zu setzen, so halte ich es für politisch gefährlich,
nachweislich unrealistische Ziele aufzustellen, beziehungsweise
diese nicht zu korrigieren. Hierdurch werden falsche Erwartungen
und Hoffnungen geweckt. Das beharrliche Festhalten der Politik an
den Millenniums-Zielen zeugt von wenig Realismus, weckt falsche
Hoffungen und droht die deutsche und internationale
Entwicklungspolitik unglaubwürdig zu machen.
DDas Parlament
Wann wird Deutschland die geforderten 0,7
Prozent Bruttosozialprodukt für die Dritte Welt
aufbringen?
Christian Ruck Das Etappenziel für 2006
ist erst einmal die ODA-Quote auf das Minimalziel von 0,33 Prozent
anzuheben. Die rot-grüne Bundesregierung hatte dies den
Wählern versprochen. Doch leider ist der Trend eindeutig
negativ und es ist nicht abzusehen, dass das Versprechen
eingehalten wird. Der Entwicklungshaushalt für 2005 wird
gegenüber dem Vorjahr erneut sinken. Frau Merkel und die
Entwicklungspolitiker der Union haben sich hingegen erst vor kurzem
eindeutig zu dem Etappenziel von 0,33 Prozent bekannt.
Das Parlament
Ist Afrika auch für Deutschland ein
vergessener Kontinent?
Christian Ruck Ich denke, hier gilt es zu
differenzieren. Die Afrikapolitik der Bundesregierung zeichnet
sich, bis auf wenige Ausnahmen, durch wenig Engagement und
freundliches Desinteresse an Afrika aus. Wirklich aktiv wird sie in
aller Regel erst dann, wenn es zu spät ist. Ich denke zum
Beispiel an die Krisen in der Demokratischen Republik Kongo und im
Sudan. Die Schließung von Botschaften, Goetheinstituten und
der vielen Afrika-relevanten Professuren und
Forschungseinrichtungen in Deutschland zeigt doch, wie wenig ernst
Afrika genommen wird. Auch die deutsche Wirtschaft hält sich,
mit Ausnahme in Südafrika, mit Investitionen vornehm
zurück. Dies ist jedoch aufgrund widriger Rahmenbedingungen
nicht wirklich verwunderlich. Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene
gibt es jedoch ein sehr großes Interesse an Afrika. Kaum ein
Kontinent fasziniert so sehr wie der afrikanische mit seinen
Menschen, Kulturen und seiner atemberaubenden Natur. Es gibt sehr
viele NGOs, Kirchenvertreter und Privatpersonen, die sich
aufopferungsvoll für Afrika einsetzen. Dies macht mir Mut,
dass Afrika nicht in Vergessenheit gerät. Besonders gefreut
habe ich mich über die Antrittsrede unseres neuen
Bundespräsidenten Horst Köhler. Er hat in seiner Rede
betont, dass es unser Ziel sein muss, uns in Afrika stärker zu
engagieren. Ich hoffe sehr, dass es ihm gelingt, der deutschen
Afrikapolitik neue Ideen und Impulse zu verleihen.
Das Parlament
Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, um dem
schwarzen Kontinent besser als bislang helfen zu
können?
Christian Ruck Wir brauchen vor allem mehr
Realismus, eine klare Strategie und das nötige Engagement
für den Umgang mit den sich rapide verändernden
gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in Afrika. Als
Freunde der Afrikaner sind wir verpflichtet Afrika und die dort
lebenden Menschen zu fördern, aber auch zu fordern. Die
afrikanischen Staaten haben sich im Rahmen von NEPAD selbst
Reformziele auferlegt, die wir Europäer ungeniert einfordern
dürfen. Zugleich müssen wir unseren afrikanischen
Partnern helfen, die Verantwortung zur Lösung
innerafrikanischer Probleme besser wahrzunehmen, so zum Beispiel in
der Konfliktprävention und Konfliktbeilegung. Dazu gehört
aber auch ein effizienteres Krisenmanagement der Vereinten
Nationen, notfalls mit europäischer und deutscher Beteiligung.
Afrika effektiver zu helfen, bedeutet aber auch gut zuzuhören,
sich aktiv in die Diskussion einzubringen und afrikanische
Reforminitiativen durch die europäische Außen-,
Entwicklungs- und Sicherheitspolitik besser zu flankieren. Eine
große Herausforderung ist die bessere Integration Afrikas in
den Welthandel und zwar in der Form, dass die Armen profitieren.
Zugleich müssen wir uns aber auch an die eigene Nase fassen
und die Strategie, Kohärenz und Effizienz unserer
Entwicklungshilfe hinterfragen und verbessern. Es ist ein Ding der
Unmöglichkeit, dass die OECD-Staaten das Land Tansania mit
insgesamt 1.300 verschiedenen Projekten überschütten.
Welches Land wäre mit der Verwaltung einer so großen
Anzahl von Projekten nicht überfordert. In dieses
Entwicklungschaos muss mehr Ordnung. Wir müssen unsere
Entwicklungspolitik stärker untereinander koordinieren, damit
die Hilfe dort ankommt, wo sie benötigt wird und der
Verwaltungsaufwand nicht unnötig verkompliziert
wird.
Das Parlament
Bürgerkriege vernichten gerade auch in
Afrika immer wieder mühsam errungene Erfolge der Entwicklung
für die Ärmsten der Armen. Ist das ein Kreislauf, mit dem
man sich abfinden muss?
Christian Ruck Wir dürfen uns niemals
mit der Existenz von Bürgerkriegen abfinden, geschweige denn,
ihre scheinbare Normalität als Legitimation für
mangelndes Engagement verwenden. Wir müssen es schaffen, die
afrikanischen Länder zu unterstützen, aus dem
Teufelskreislauf von Bürgerkriegen herauszukommen.
Gleichzeitig dürfen wir diejenigen Länder nicht
vergessen, die als Vorbild für andere gelten können. Ich
denke dabei nicht nur an Länder, die ihre Konflikte friedlich
lösen, sondern auch an diejenigen, die Reformen auf den Weg
bringen und Korruption bekämpfen. Ich glaube, dass wir uns
gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern viel mehr mit der
Frage beschäftigen müssen, welche Formen der staatlichen
Verwaltung am besten den Interessen und Problemen Afrikas gerecht
werden und die Sprengkraft der einst von den Kolonialmächten
gezogenen Grenzen entschärfen helfen. Afrika durchlebt eine
Transformation von Staatlichkeit in der Gestalt, dass die
Prägekraft staatlicher Zentralgewalt abnimmt und zunehmend
durch Strukturen traditioneller, lokaler und überregionaler
Selbstverwaltung ergänzt oder ersetzt wird - oft auch jenseits
von Staatsgrenzen. Nationalstaaten werden weiterhin als wichtige
Handlungsgröße ihre Bedeutung haben. Ihre Schwäche
tritt jedoch in Afrika offen zu Tage. Systeme geteilter
Souveränitäten mit unterschiedlichen Formen und Ebenen
der internationalen Koordination und Kooperation werden an
Bedeutung gewinnen müssen, um den Kreislauf der
Bürgerkriege zu durchbrechen.
Das Parlament
Sudan, Nord-Uganda, Kongo sind nur drei
Beispiele für solche Bürgerkriege mit schwersten
Menschenrechtsverletzungen. Kann hier nicht die deutsche oder
europäische Politik mehr Druck ausüben?
Christian Ruck Ich fordere ja schon lange,
dass wir uns viel engagierter in Afrika einbringen müssen.
Dies beinhaltet sowohl dem Kontinent mehr Aufmerksamkeit zu
schenken, um gefährliche Entwicklungen frühzeitig zu
erkennen und positive Entwicklungen zu fördern, aber auch
konsequentes Engagement im Falle von gravierenden
Menschenrechtsverletzungen. Politischer Druck von außen ist
dabei ein Element von vielen, welches stärker zum Einsatz
kommen müsste. Grundvorausetzung hierfür ist eine
kohärente Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik -
sowohl auf deutscher als auch auf EU-Ebene. Davon sind wir aber
derzeit noch weit entfernt Auch dürfen wir nicht vergessen,
dass unser Einfluss in vielen Ländern Afrikas graduell
schwindet. Eine zunehmende Anzahl asiatischer und arabischer
Länder engagieren sich massiv in Afrika, mit bisweilen nicht
deckungsgleichen Wert- und Demokratievorstellungen.
Das Parlament
Und fasst man beispielsweise die Diktatur in
Simbabwe nicht mit Samthandschuhen an, zumal dieses Land einmal
eine Kornkammer war?
Christian Ruck Simbabwe ist das
Paradebeispiel eines afrikanischen Musterlandes, das durch einen
brutalen Diktator am Rande des totalen Kollapses steht. Der
NEPAD-Prozess hat in uns allen die Hoffung geweckt, dass die
Afrikaner das Problem Simbabwe selbst lösen werden. Diese
Hoffnung wurde in diesem Fall jäh enttäuscht. Selbst
öffentliche Kritik am Dinosaurier Robert Mugabe ist kaum zu
vernehmen. Die Frage ist berechtigt, ob die Weltgemeinschaft weiter
tatenlos zusehen sollte, wenn die Hälfte der Bevölkerung
hungert und die Opposition brutal misshandelt wird. Auch die
internen Gespräche von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit
dem südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki haben leider
keinen Erfolg gebracht. Mutiger war da schon unser ehemaliger
Bundespräsidenten Johannes Rau, der in einer öffentlichen
Rede in Afrika die Menschenrechtsverletzungen in Simbabwes
verurteilt hat.
Das Parlament
Gerät Namibia nicht langsam auch in das
Fahrwasser von Simbabwe?
Christian Ruck Was die Entwicklung Namibias
betrifft, so bin ich bislang weiter zuversichtlich. Namibia
verfügt über eine hervorragende Verfassung, ein gutes
Rechtswesen und über eine freie Presse. Staatliche Stellen
betonen wiederholt die Einhaltung von Recht und Ordnung. Auch wenn
Präsident Sam Nujoma offen mit Robert Mugabe sympathisiert, so
sollte Namibia nicht mit Simbabwe verglichen werden. Präsident
Nujoma tritt Ende dieses Jahres ab und macht Platz für einen
neuen Präsidenten. Namibia hat erfolgreiche
marktwirtschaftliche Landreformkonzepte, die von allen Teilen der
Bevölkerung getragen werden. Im Rahmen des "willing seller -
willing buyer"-Prinzips und des "affirmative action loan scheme"
wurden bereits knapp 700 der insgesamt 4000 kommerziellen Farmen an
Schwarze umverteilt. Beunruhigend ist die Ankündigung von
Farmenteignungen. Auch wenn die Verfassung Enteignungen in
Einzelfällen zulässt, so lastet der Enteignungspolitik
der Schein der Willkür an. Dies verunsichert die Farmbesitzer
und schadet dem Investitionsklima und damit der gesamten
Wirtschaft. Ich vermute, dass die Frage der Enteignung im Vorfeld
der Wahlen über Gebühr thematisiert wird und hoffe, dass
die Verantwortlichen in Namibia umgehend eine klare Strategie
für die Zukunft entwerfen.
Das Parlament
Ist eine stärkere Entschuldung
Schwarzafrikas eine Möglichkeit, die Situation der Menschen
dort nachhaltig zu verbessern?
Christian Ruck In der Tat hemmt die
große Schuldenlast die Entwicklung in Afrika. Wir sind aber,
was die Schulden betrifft, auf einem guten Wege. Im Rahmen der
HIPC-Initiative wurde bereits viel erreicht. Wir sollten jedoch in
Zukunft stärker darauf achten, dass die durch
Entschuldungsmaßnahmen frei werdenden Gelder nicht einfach
umgelenkt und zum Stopfen allgemeiner Haushaltslöcher oder zur
Finanzierung staatlicher Misswirtschaft missbraucht werden. Die
frei werdenden Mittel müssen verstärkt zur
Bekämpfung der Armut eingesetzt werden.
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