Thomas Röhr
AIDS - Ein Notruf aus Afrika
Vier Millionen Menschen brauchen dringend
Behandlung
"Afrika stirbt!" - an AIDS. Eine krasse Warnung
aus dem Südosten Afrikas. Der Text auf dem
Aufklärungsplakat in Malawi geht weiter: "Schützt Euch
vor HIV!" Derzeit leben zwei von drei HIV-Infizierten, die es
weltweit gibt, in Afrika. 25 Millionen Afrikaner südlich der
Sahara sind HIV-positiv, so die Schätzung der Vereinten
Nationen.
Vier Millionen von ihnen brauchen dringend
eine Behandlung. Nur jeder 40. bekommt sie jedoch", sagt Kattrin
Lempp (34). Die Sprecherin der deutschen Sektion von "Ärzte
ohne Grenzen" wird nicht müde, auf die katastrophale Situation
hinzuweisen - den medizinischen Notruf für Afrika zu starten:
"Die Uhr tickt. Präventionsangebote kommen für die
Infizierten zu spät. Jetzt brauchen die Menschen unsere Hilfe
- ganz akut."
Hilfe - das bedeutet Zugang zu
lebensnotwendigen Medikamenten. Die Patienten bekommen eine
Dreifachtherapie, den so genannten "AIDS-Cocktail". Dieser wird
längst als Kombinationspräparat generisch hergestellt -
mit Nachahmerprodukten, die die gleichen Wirkstoffe wie die weitaus
teureren Markenarzneimittel haben. Zwei Tabletten pro Tag reichen
für die Standardbehandlung. Kosten pro Monat: rund 20 Euro pro
Patient. Rund 70 Cent am Tag - das ist der Preis für den Kampf
gegen AIDS und HIV - das Virus, das die unheilbare
Immunschwächekrankheit auslöst. Die
Kombinationspräparate helfen den allermeisten HIV-Infizierten.
Menschen, bei denen sich Resistenzen eingestellt haben,
benötigen jedoch Reservemedikamente. "Diese kosten rund
fünfzehn Mal so viel wie die Standardtherapie", sagt Kattrin
Lempp.
Insgesamt werden die Kosten für die
Behandlung von HIV und AIDS steigen. Grund hierfür ist die
Durchsetzung von Pharma-Patenten in armen Ländern. Genau
dafür hatte die französische Regierung die US-Politik auf
der 15. Internationalen AIDS-Konferenz in diesem Sommer in Bangkok
angegriffen. Extrem stark werde das weltweite Angebot
preisgünstiger Medikamente künftig mehr und mehr durch
das TRIPS-Abkommen eingeschränkt, so der Vorwurf von
"Ärzte ohne Grenzen". Dies bewirke, dass der Patentschutz
für Pharmaka künftig auch in Ländern wie Indien
greifen werde.
Steigende Medikamentenpreise
Indien ist das Land, in dem derzeit ein
Großteil der weltweit produzierten Nachahmer-Medikamente gegen
HIV und AIDS hergestellt wird - noch jedenfalls. Ärmere
Staaten ohne eigene Pharma-Industrie - wie Malawi - sind auf diese
Zulieferung dringend angewiesen. Steigende Medikamentenpreise
werden für sie nach Einschätzung von "Ärzte ohne
Grenzen" die medizinische Versorgung im Bereich der HIV- und
AIDS-Therapie extrem erschweren. Die Hilfsorganisation wirft der
amerikanischen Regierung vor, über ihr Anti-AIDS-Programm
bislang ausschließlich patentierte AIDS-Medikamente aus
US-Produktion und nicht die wesentlich billigeren Nachahmerprodukte
zu finanzieren. Washington betreibe "ganz klar eine
Subventionspolitik für die US-Pharma-Industrie", so Kattrin
Lempp.
"Die Chance, kostengünstige Medikamente
zu bekommen, ist das A und O. Generika für alle HIV-positiven
Menschen - nur so kann im großen Stil behandelt werden", sagt
die Sprecherin der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen"
und verweist auf den vor drei Jahren gegründeten "Globalen
Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria".
Dieser müsse dringend aufgestockt werden - auch von
Deutschland. Insbesondere deutlich mehr öffentliche Gelder
seien hierzu notwendig.
Der eindringliche Ruf nach mehr Geld deckt
sich mit dem, was die jüngste Welt-AIDS-Konferenz gefordert
hat. "Die Geschichte wird ein hartes Urteil über uns
fällen, wenn wir AIDS nicht mit allen verfügbaren
Energien und Ressourcen bekämpfen", sagte Nelson Mandela auf
der Welt-AIDS-Konferenz. Für den Friedensnobelpreisträger
und früheren Präsidenten Südafrikas ist "der Kampf
gegen AIDS eine der größten Herausforderungen" des 21.
Jahrhunderts. Er rief die reichen Länder zu höheren
Spenden für den Globalen AIDS-Fonds auf.
Am Beispiel Afrikas machte der Chef des
AIDS-Programms der Vereinten Nationen (UNAIDS), Peter Piot,
deutlich, wie festgefahren die Situation der
Entwicklungsländer ist: Demnach zahlt Afrika jedes Jahr gut 12
Milliarden Euro für seine Schulden. Das seien "mehr als vier
Mal so viel wie für Bildung und Gesundheit - den Grundsteinen
der Antwort auf AIDS". Piot appellierte an alle Geberstaaten,
"ihren Teil beizutragen". Und in diesem Zusammenhang wurde auf der
Welt-AIDS-Konferenz in Bangkok auch immer wieder Deutschland
genannt.
Bislang hat die Bundesrepublik 77 Millionen
Euro an den Globalen AIDS-Fonds gezahlt. Die Hilfsorganisation
"Ärzte ohne Grenzen" forderte die Bundesregierung jetzt jedoch
auf, sich deutlich stärker zu engagieren. "Wir stehen einer
weltweiten Katastrophe gegenüber. Was Deutschland dagegen tut,
ist viel zu wenig. Wir können und müssen mehr bieten als
nur ein Feigenblatt", sagt "Ärzte ohne Grenzen"-Sprecherin
Lempp. Die Hilfsorganisation fordert die Bundesregierung auf, ihren
Beitrag für die beiden kommenden Jahre auf mindestens 500
Millionen Euro zu erhöhen. Ab 2007 sei eine deutsche
Beteiligung von mindestens 700 Millionen Euro pro Jahr
notwendig.
Der Ruf nach Geld. Damit soll das verhindert
werden, was heute Alltag in Afrika ist: "Es gibt Regionen, da merkt
man, dass eine ganze Generation fehlt. Ausgelöscht von
AIDS..." Das gehe unter die Haut, sagt Yvonne Schönemann (36).
Sie arbeitet im Projekt "AIDS-Bekämpfung in
Entwicklungsländern" der Deutschen Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ). Fünf Jahre war Yvonne
Schönemann vor Ort - vorwiegend in Südafrika.
Sie berichtet von Familien, die von HIV
betroffen sind: "Fällt ein Familienmitglied durch eine
AIDS-Erkrankung aus, bedeutet dies Einkommensverluste." Dazu komme
die medizinische Versorgung. Sie reiße ein Loch in die
Haushaltskasse. Häufig werde dann am Schulgeld gespart. Doch
mangelnde Bildung der Kinder verschlechtere deren berufliche
Chancen. Und fehlendes Wissen über HIV und AIDS erhöhe
die Infektionsgefahr. - Ein Teufelskreis... Trotzdem ist er typisch
für Afrika. "Immer mehr Kinder stehen alleine da: Waisenkinder
sind ein großes Problem", berichtet Yvonne
Schönemann.
Hinzu komme dass AIDS in einigen Regionen
Afrikas immer noch ein Tabu sei: "Menschen mit HIV und AIDS tragen
ein Stigma. Die Gesellschaft grenzt sie aus. Leiden, Angst und
Depressionen sind die Folge. Wer infiziert ist, fliegt häufig
aus dem Job", sagt Yvonne Schönemann. Für Unternehmen
bedeute die AIDS-Erkrankung ihrer Mitarbeiter Arbeitsausfälle
durch Krankheit. "Hinzu kommen steigende Ausgaben für die
Krankenversicherung und die Neuausbildung von Ersatzkräften",
hebt Yvonne Schönemann hervor.
Der Automobilhersteller DaimlerChrysler
Südafrika habe deshalb gemeinsam mit der GTZ eine
AIDS-Prävention am Arbeitsplatz gestartet. Dabei geht es nach
Angaben der Entwicklungshilfeorganisation um vier Kernpunkte: um
Aufklärungsarbeit, Präventionsmaßnahmen und um
medizinische Versorgung sowie um den Aufbau von betriebsinternen
Kranken- und Rentenversicherungssystemen. Im Mittelpunkt der
Unternehmensstrategie standen folgende Fragen: Wie geht man mit
AIDS am Arbeitsplatz um? Wie informiert man die Mitarbeiterinnen
und deren Familien über AIDS? Und wie kann man eine Infektion
verhindern?
Das HI-Virus hat enorme Auswirkungen auf die
Produktion - gerade auch in der Landwirtschaft. "Stark betroffen
ist schließlich der produktive Teil der Bevölkerung - so
zwischen 15 und 40 Jahren", sagt Norbert Lünenborg (44). Der
Arzt aus Münster war für "Ärzte ohne Grenzen" in
Malawi: "Ich habe mitbekommen, dass Patienten zu uns gebracht
wurden - gestützt von zwei Begleitern. Nach sechs Monaten
Behandlung hatten sie zehn Kilo zugenommen und konnten wieder auf
dem Feld arbeiten." Mitbekommen hat Norbert Lünenborg aber
auch das Sterben: "Wir haben in unserem 180-Betten-Krankenhaus
jeden Tag mindestens einen Menschen an AIDS verloren..."
Regelmäßige
Kontrolluntersuchungen
Mut machen dem Arzt Menschen mit HIV, die
sich in der Selbsthilfegruppe "People Living with AIDS" (PLWA)
engagieren. "Sie werden seit ein bis zwei Jahren behandelt und
leben mit der Krankheit. Ihr Immunstatus ist stabil. Und sie
führen ein nahezu alltägliches Leben - abgesehen von der
täglichen Medikamenteneinnahme und den regelmäßigen
Kontrolluntersuchungen. Sie sind aktiv, stehen im Beruf, leben in
der Familie und machen eine engagierte Aufklärungsarbeit",
berichtet Norbert Lünenborg. Durch ihren Einsatz bei PLWA
gelänge es den HIV-Positiven, weitere Infektionsfälle zu
vermeiden. "Sie durchbrechen das Stigma AIDS. Und sie ermuntern die
Menschen, Gesundheitsstationen aufzusuchen, sich testen zu lassen,
eine Behandlung einzugehen... - anstatt einfach nur
dahinzusiechen", so Lünenborg.
Besonders in Erinnerung geblieben sind dem
Arzt zwei Patienten aus Malawi. Zum einen ist es die junge,
HIV-positive Frau aus der Stadt Chiradzulu. "Sie zeigte nach Beginn
der Standard-Therapie eine absolut heftige allergische Reaktion.
Ihre Haut löste sich vom gesamten Körper. Als wir das in
den Griff bekommen hatten und die Frau sich erholte, wurde sie
schwanger." Die Schwangerschaft sei dann zunächst stabil
verlaufen - bis zwei Wochen vor dem Geburtstermin, berichtet der
Mediziner von "Ärzte ohne Grenzen". Und weiter: "Wir bemerkten
plötzlich keine Kindsbewegungen mehr. Das Kind war im
Mutterleib gestorben. Dann haben wir die Wehen eingeleitet. Es
wurde eine Totgeburt..." Jede fünfte werdende Mutter in Malawi
sei HIV-positiv, so Norbert Lünenborg.
Der zweite Fall, der den Arzt aus
Münster stark berührte, war ein 14-jähriger Junge.
Er hatte seine Mutter, seinen Vater und zwei Geschwister bereits
durch AIDS verloren. Die Großmutter kümmerte sich nun um
ihn. Der Junge bekam eine Behandlung. Dann wurde sie aus Geldmangel
ausgesetzt. Nach zwei Monaten ging's weiter... "Durch die
ständigen Unterbrechungen hat sich eine Resistenz gegen die
Standardtherapie entwickelt. Die spezielle, sehr viel teurere
Therapie mit Reservemedikamenten wurde notwendig. Der Junge hatte
dennoch einen ungeheuren Lebensmut. Er war enorm begeistert, wenn
er als Fußballfan einmal ins Stadion durfte. Doch dann bekam
er noch eine Tuberkulose hinzu", berichtet Norbert Lünenborg.
Bei dessen Abreise aus Malawi hatte der 14-jährige Junge "aber
kaum noch eine Chance, die Krankheit zu packen..."
Der Autor ist freier Journalist in
Berlin.
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