Joachim Gerhardt
Wo das Geld mehr bewegt als nur die
Aktienkurse
Entwicklungsgenossenschaft "Oikocredit"
finanziert Kredite
Es war ein Experiment. 1975 gründeten engagierte
Entwicklungsexperten aus dem Weltkirchenrat eine ökumenische
Entwicklungsgenossenschaft. Ziel war es, Kredite an Gruppen aus
armen Bevölkerungsschichten zu vergeben, die auf dem freien
Kapitalmarkt kaum Gelder bekommen. Kredite statt Spenden,
Eigenständigkeit statt Abhängigkeit,
Geschäftspartner statt Hilfsempfänger, so lauteten die
hehren Grundsätze, die den neuen Weg einer nachhaltigen
Entwicklungszusammenarbeit pflastern sollten.
Das Experiment ist geglückt. "Oikocredit International"
verfügt heute über ein Kapitalvermögen von fast 200
Millionen Euro und zählt weltweit 400 Partner in 55
Ländern.
"Wir sind die Geldanlage, die nicht allein Aktienkurse bewegen
will, sondern vor allem Gerechtigkeit fördern", sagt Ulrike
Chini, Leiterin der in Bonn ansässigen Geschäftsstelle
des Westdeutschen Förderkreises für Oikocredit, der
gerade sein 25-jähriges Bestehen gefeiert hat. Bundesweit gibt
es flächendeckend acht solcher Kreise, die Ansprechpartner
sind und die eingezahlten Anteile treuhänderisch
verwalten.
"Viele haben sich anfangs gefragt, ob sie ihr Geld je
wiedersehen", berichtet Chini. Die Angst ist verflogen. Oikocredit
zahlt pünktlich und zuverlässig Rendite, im Schnitt im
Jahr rund zwei Prozent. 2003 waren das mehr als drei Millionen
Euro, die zu einem guten Drittel von den Anteileignern wieder
reinvestiert wurden. Allein in den weltwirtschaftlich schwierigen
Jahren 1998 und 1999 musste die Dividende um die Hälfte auf
ein Prozent gekürzt werden.
"Mit Aktien kann man mehr gewinnen", räumt Chini ein, aber
bei Oikocredit verbinde sich Rendite mit einem guten Zweck. "Hier
wächst Kapital für das Gemeinwohl und man kann den Gewinn
mit gutem Gewissen einsacken." Der Mindesteinsatz für den
Anleger liegt bei 200 Euro. Auf Wunsch wird die Einlage jederzeit
zurückgezahlt.
Weltweite Partnerorganisationen
Die weltweiten Partnerorganisationen von Oikocredit sind
entweder ebenfalls genossenschaftliche Unternehmen oder
ausgewählte Mikrofinanzinsitutionen; sie reichen von Indien
bis Südafrika, von Peru bis Rumänien. Zumeist werden
Kleinkredite vergeben, manchmal nur 40 Euro. Dabei machen laut
Chini die Regionalpartner vor Ort die gute Erfahrung: "Der weitaus
größte Teil der Kreditewird pünktlich
zurückgezahlt - und das trotz Naturkatastrophen,
wirtschaftlichen oder politischen Krisen in den Ländern." Fast
scheine es so, "dass arme Schuldner zuverlässiger zahlen als
reiche".
Stolz berichtet sie, dass ein Partner von Oikocredit einer der
ersten war, der in Argentinien nach der großen
Wirtschaftskrise wieder Kredite an klein- und mittelständische
Unternehmen vergeben habe. Ein gelernter Schneider und
Flüchtling aus Boliven erhielt zum Beispiel 800 Peso (rund 250
Euro) für die Anschaffung von Arbeitsmaterial. Die Bank
hätte ihm, zumal er ohne Papiere war, keinen einzigen Peso
gewährt. Nach erfolgter Rückzahlung gab es noch einmal
4000 Peso für den Kauf von zwei Nähmaschinen. Der
Schneider konnte die Produktion ausweiten und noch eine weitere
Person anstellen. Der Laden lief und er machte Gewinn.
Wie dieser Schneider profitieren weltweit viele zehntausende
Bauern, Töpferinnen oder Lebensmittelhändler vom Kapital
aus dem Topf von Oikocredit. "Die Menschen in den ärmeren
Ländern verfügen über so viel Leistungsbereitschaft
und Ideenreichtum, oft fehlt nur das Startkapital." Darum gebe es
Oikocredit, so Chini.
Die Entwicklungsgenossenschaft will Entwicklungspolitik auf
Augenhöhe betreiben. Jedes Darlehen, das von den Partnern vor
Ort sehr genau geprüft werde, signalisiere dem
Geschäftspartner auch: "Wir haben Vertrauen in deine Planungen
und Fähigkeiten", betont Chini. Oikocredit sei in diesem Sinne
ein globales Existenzgründerprogramm.
Allerdings erhalten auch die Partnerorganisationen das Geld
nicht zum Nulltarif. Für Euro- und Dollarkredite veranschlagt
Oikocredit derzeit zwischen sieben und elf Prozent. Bei
Geschäftsbanken müssten die Partner allerdings rund 20
Prozent aufbringen, wenn sie denn überhaupt Geld erhielten, so
Chini.
Mit Direktkrediten werden auch größere Projekte auf
die Entwicklungsschiene gesetzt. Zum Beispiel im südindischen
Madras, wo mit 434.000 Euro der Aufbau einer Herzchirurgie
teilfinanziert wurde. Die Besonderheit: Das Krankenhaus behandelt
ein Drittel seiner Patienten kostenlos. "Auch hier fließen die
Anleihen fristgerecht zurück", betont Chini.
Überdurchschnittlicher Gewinn
Das renommierte Hannoveraner "Institut für Markt - Umwelt -
Gesellschaft" (imug) attestierte Oikocredit denn auch ein hohes
Maß an Effektivität. Auch für die Anleger. Die
Entwicklungsgenossenschaft bringe im Vergleich mit anderen
ethischen und sozialen Fonds einen "überdurchschnittlich hohen
Gewinn", lautete das Ergebnis einer Prüfung im Mai 2003. Die
Dividende sei stabil und langfristig rentabel.
Der größte Kundenstamm der Oikocredit-Anteilnehmer
sind Einzelpersonen, Vereine und Kirchengemeinden. Gerade hat der
gesamte evangelische Kirchenkreis Bonn-Bad Godesberg-Voreifel
für seine 13 Kirchengemeinden mit je 1.000 Euro pro Gemeinde
neue Anteile in der Entwicklungsgenossenschaft gezeichnet. "Wir
wollen ein Zeichen setzen", sagt der dortige Superintendent
Eberhard Kenntner. Es gelte "weltweite Verantwortung wahrzunehmen,
gerade auch in Zeiten, in denen der Klingelbeutel zu Hause nicht
mehr so gut gefüllt sei. "Denn im globalen Vergleich sind wir
trotz Wirtschaftsflaute immer noch ein sehr reiches Land", so
Kenntner.
Ulrike Chini konnte sich freuen, nicht nur, weil der
Kirchenvertreter das Geld, ansehnlich in 13 Jutesäckchen
symbolisch verpackt, zum Eintritt gleich mit auf die
Geschäftsstelle brachte. Der Verkauf neuer Anteile laufe
insgesamt befriedigend, bilanziert Chini. Allein im vergangenen
Jahr seien auf diesem Weg rund 13 Millionen Euro investiert worden.
Damit ist Oikocredit inzwischen der viertgrößte Fond im
Bereich "ethisches Investment" in Europa. Dennoch ist Chini
unverändert dringend auf der Suche nach weiteren Mitglieder.
"Eben so dringend", sagt sie, "wie faire Kredite in den
ärmeren Ländern gebraucht werden."
Joachim Gerhardt
www.oikocredit.org/sa/westdt
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