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Norbert Mappes-Niediek
Wahlen zum Klassensprecher?
Neues Parlament im Kosovo
Wer ist der beste Klassensprecher? Der am lautesten gegen
Ungerechtigkeiten protestiert? Oder der am besten mit den Lehrern
kann? Die Antwort fällt unter Millionen Schülern auf der
Welt vor allem nach dem Herrschaftsstil der Lehrpersonen. Wo es
autoritär zugeht, muss der Sprecher brav, aber stur sein. Nach
diesen ewigen Regeln haben die Kosovaren am 23. Oktober eine
rationale Wahl getroffen. Ihr Präsident, Ibrahim Rugova, ist
milde im Ton, aber in der Sache unbeugsam. Im Kontakt mit dem
internationalen Verwalter, der im Kosovo über
unbeschränkte Macht verfügt, tritt er verbindlich auf. Er
kann gleichzeitig auf etliche aggressive Schreihälse
verweisen, die ihm im Nacken sitzen und deren Interessen er zu
vertreten hat. Die Kosovo-Albaner regieren sich nicht selbst und
wissen das auch. Ihre Organe dienen der Appellation an eine fremde
Macht. Ihr Job ist das Fordern, nicht das Entscheiden.
Flexibilität ist da nur Schwäche. Verantwortung ist
möglichst abzuweisen.
Die zweite Parlamentswahl im Kosovo hat an den Mehrheiten so gut
wie nichts geändert. Wundern kann sich darüber nur, wer
sich über die Funktion und das Image der Politiker des Landes
Illusionen macht. Die katastrophalen Verhältnisse:
Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Stillstand, das Fehlen jeder
politischen Perspektive, haben die Wähler zu Recht nicht der
"regierenden" Liga von Ibrahim Rugova angelastet. Nicht sie hat die
Macht. Die Korruption, die Rugovas LDK im Rahmen ihrer begrenzten
Möglichkeiten entfaltet, haben sie ihr verziehen. Die
Konstellation verträgt keine Veränderungen. Die beiden
Nachfolgeparteien der "Befreiungsarmee" UCK verfügen über
ein festes, aber auch begrenztes Lager von Wählern.
Besonders die PDK des Hashim Thaci hat sich vor dieser Wahl
angestrengt, aus dem Turm auszubrechen und flexible, moderne und
westkompatible Persönlichkeiten an sich zu binden. Es ist ihr
nicht gelungen; die Wähler wollen sie nicht als
Regierungspartei, sondern als Vogelscheuche. Der liberale Verleger
Veton Surroi schließlich, der erstmals mit einer
"Bürgerliste" antrat, ist zu früh gesprungen. Einer wie
Surroi wird gebraucht, wenn das Kosovo eines Tages regiert werden
soll. So weit ist es noch nicht.
Ein Klassensprecher ist nicht dazu da, den Job des Lehrers zu
machen. Im nächsten Jahr aber soll nun die wiedergewählte
politische Führung der Kosovo-Albaner mit der Regierung in
Belgrad und den Vereinten Nationen über den künftigen
Status der Provinz verhandeln. Dazu ist sie virtuell
unfähig.
Mantra der Unabhängigkeit
Rugovas Stärke liegt darin, dass er seit inzwischen 15
Jahren unablässig das Mantra von der Unabhängigkeit des
Kosovo wiederholt hat, auch in völlig verzweifelten
Situationen und selbst dann, als es beinahe lächerlich klang.
Der Präsident, der seit Jahren nur noch als Symbol Wirkung
entfaltet, kann bei Strafe des Untergangs nicht plötzlich
originelle Ideen und neue Perspektiven entwickeln. In seiner
Partei, die ganz von seinem Nimbus lebt, kann das vollends niemand.
Als stärkste Kraft aber hält die LDK die anderen,
kleineren Parteien in Geiselhaft: Solange sie nicht nachgibt, wird
jeder Kompromiss, den eine andere Fraktion auch nur andeutet, als
Verrat gewertet. Allein Surroi mit seiner Bürgerliste kann
diesen Vorwurf ignorieren und unbefangen mit Belgrad verhandeln.
Aber dazu gehören zwei, und auch in Belgrad herrscht das
fatale Gesetz, dass verloren hat, wer sich zuerst bewegt. Der
dortige Rugova heißt Vojislav Kostunica, ist Premierminister
und hat mit seinem Boykottaufruf für die Wahl vom letzten
Samstag klar gemacht, dass er für das Kosovo ebenfalls nur
Forderungen stellen, aber keine Lösungen präsentieren
wird.
Lösen müssen das Problem des Kosovo die Vereinten
Nationen - gegen den Willen beider Beteiligten, der Albaner wie der
Serben. Das ist der Fluch jeder Protektoratsmacht: Ihr ehrliches
Bestreben, sich überflüssig zu machen, wird immer nur
frustriert, und am Ende ist sie immer für alle Seiten der
Böse. Demokratie ist ein Prinzip, kein Lernziel. Je schneller
der Weltsicherheitsrat entscheidet, desto besser. Je länger er
wartet, desto härter werden die Positionen auf beiden
Seiten.
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