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Das Parlament
Nr. 45 / 01.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ludwig Watzal

"Entzionisierung" als Voraussetzung für einen wirklichen Frieden

Ein ungemein selbstkritisches Buch aus Israel

Mit Höllentempo rast die israelische Gesellschaft in die Krise, wenn nicht ins Verderben, so die provokante These von Michael Warschawski. Der Autor, in Straßburg als Sohn eines Großrabbiners geboren, ging 1956 nach Israel, um dort seine Talmudstudien fortzusetzen. Von seinem orthodoxen Hintergrund gegen die Verlockungen des Zionismus gefeit, wurde ihm bewusst, was es bedeutete, als Besatzungsmacht ein anderes Volk zu unterdrücken. Die erlebten Demütigungen eines Palästinensers durch israelische Soldaten in Hebron im Jahr 1967 waren für ihn ein Erweckungserlebnis. Seither ist er dezidierter Antizionist, was in Israel mit Staatsfeind gleichgesetzt wird. Er verlangt zu Recht eine "Entzionisierung" Israels als Voraussetzung für Frieden in der Region.

Dem Autor fiel es nicht leicht, den Goyim (Nicht-Juden) diese kritische Bestandsaufnahme seines Landes vorzulegen, weiß er doch um ihre Instrumentalisierung in den Händen der Antisemiten. Warschawski beschreibt die Brutalität der Besatzungsmacht, die voll auf die israelische Gesellschaft zurückschlägt: Die demokratischen Grundrechte und Normen erodieren, die Brutalisierung der Gesellschaft nimmt erschreckende Ausmaße an, die Menschen unterliegen einer perversen Gewöhnung an Tod und Gewalt.

Der Autor kritisiert heftig den Rassismus und die Verrohung der politisch-militärischen Klasse und eines Teils der Medien. Mit der Machtübernahme durch die Sharon-Regierung sei es zu einer Militarisierung der Kultur, der Universitäten und der Schulen gekommen.

Für Warschawski kehrt Israel durch den Bau der Mauer ins Ghetto zurück, aus dem das jüdische Volk über Tausende von Jahren zu entkommen versuchte. Das Land drohe in den Fundamentalismus abzudriften. Nur eine kleine Minderheit in Israel setze sich für die Palästinenser ein und kämpfe gegen "die Umwandlung Israels in einen von jedem demokratischen Anspruch befreiten fundamentalistischen Staat".

Kritisch geht der Autor mit den sogenannten linken Zionisten um: sie seien es gewesen, die Ehud Baraks "großzügiges Angebot" für bare Münze genommen hätten, wohl wissend, dass es eine Täuschung war. Israel sei von einer starken "antidemokratischen Strömung" durch die politische Klasse bedroht; sie dürfe nicht unterschätzt werden, weil sie schon heute "ein Viertel der Abgeordneten und fast die Hälfte der Minister der derzeitigen Regierung" stelle.

Das Bändchen ist überaus spannend zu lesen, weil es so realistisch ist. Es hat nichts von der Israelromantik, die in Deutschland und in den USA innerhalb der politischen Klasse und bei den Lobbyisten herumgeistert. Warschawski will im positiven Sinne des Wortes Aufklärer sein. Da sich die politische Bildung ja auch diesen Aufkleber ans Revers geheftet hat, wäre es ein großes Verdienst, dieses Buch in ihr Sortiment aufzunehmen. Es ist zu wünschen, dass es nicht den Tabuisierern anheim fällt, sondern dass sich in diesem Milieu wirkliche Aufklärer durchsetzen. Ludwig Watzal

Michael Warschawski

Mit Höllentempo.

Die Krise der israelischen Gesellschaft.

Edition Naulitus, Hamburg 2004;

128 S., 10,90 Euro

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