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Claudia Heine
Am Rhein oder am Main?
Damals... vor 55 Jahren am 3. November:
Bundestag spricht sich für Bonn als Regierungssitz
aus
Eine solche Leidenschaft wünscht man sich für manch
andere Debatten im Bundestag auch. Die Gretchenfrage hieß 1991
Bonn oder Berlin, und von einem Konsens im Parlament, aber auch
außerhalb, war nichts zu spüren. Emotional und
hartnäckig schoben sich die Bonn- und Berlin-Befürworter
die Argumente zu. Natürlich ging es dabei auch ums Geld.
Mehrere Milliarden Mark waren in den vergangenen Jahrzehnten in
Bonn investiert worden, um die für einen Regierungssitz
nötige Infrastruktur zu schaffen. Die letzten Projekte - ein
neuer Plenarsaal, die Bundeskunsthalle oder das Haus der Geschichte
- waren gerade bezugsfertig oder standen kurz vor der Einweihung,
als der Bundestag in einer legendären Debatte am 20. Juni 1991
beschloss, Berlin solle Hauptstadt und damit Sitz von Parlament und
Regierung werden. Es ging aber nicht nur um die Kosten. Sowohl die
Berlin- als auch die Bonn-Fraktion führte den Symbolcharakter
"ihrer" Städte für die deutsche Demokratie an.
Das war 1949 nicht anders. Auch damals bewegte eine genauso
leidenschaftlich geführte Hauptstadtdebatte die junge
Bundesrepublik. Die Gretchenfrage hieß jedoch: Bonn oder
Frankfurt am Main? Man hätte meinen können, dass nach dem
Beschluss des Parlamentarischen Rates vom 10. Mai 1949 die Sache
eigentlich klar war. Eine äußerst knappe Mehrheit von 33
zu 29 Stimmen für Bonn als vorläufigen Regierungssitz
ließ jedoch vermuten, dass die Diskussion nicht abebbt,
solange der Bundestag die Hauptstadtfrage nicht endgültig
klärt. Das sollte am 3. November geschehen. Von Mai bis
November wurden also wieder Argumente hin- und hergeworfen, wobei
der Bonus des Demokratie-Symbols eine untergeordnete Rolle spielte.
Bonn, bisher als ruhige "Beamten- und Rentnerstadt" bekannt,
hätte da zweifellos das Nachsehen gehabt. Frankfurt als Ort
der Nationalversammlung von 1848 konnte diesen Pluspunkt in einer
von finanziellen Erwägungen dominierten Debatte aber nicht
ausspielen.
Im Unterschied zu 1991 ging der Riss in dieser Frage entlang von
Parteigrenzen. Konrad Adenauer (CDU) machte aus seiner Sympathie
für Bonn nie einen Hehl, bezeichnete es aber als "naiv",
dafür allein seinen in der Nähe gelegenen Wohnort
verantwortlich zu machen. Die SPD dagegen votierte schon im
Parlamentarischen Rat für Frankfurt und brachte auch am 3.
November einen entsprechenden Beschluss in den Bundestag ein.
Am Vormittag noch wurde den Abgeordneten eine Stellungnahme der
Bundesregierung unterbreitet, in der sie ihre Argumente für
Bonn bündelte. Abgesehen davon, dass man einen einmal
demokratisch gefassten Beschluss nicht in Frage stellen wollte,
spielten hier Zahlenspielereien die Hauptrolle.
Nach Ansicht der Regierung würde eine endgültige
Etablierung des Bundessitzes in Bonn 100 Millionen Mark kosten,
wovon das meiste Geld bereits ausgegeben sei. Bei einer Verlegung
nach Frankfurt müssten demnach etwa 50 Millionen Mark als
verloren angesehen werden. Hinzu kämen noch die Kosten des
Umzugs der alliierten Hohen Kommission nach Frankfurt von etwa 60
Millionen Mark. Aus "schwerwiegenden finanziellen Gründen" sei
deshalb ein solches Vorhaben nicht zu unterstützen.
Die Berechnungen des Hauptstadtausschusses des Bundestages
enthielten noch detailliertere Angaben und schlüsselten die
Kostenaufwendungen bis hin zur Wohnungsfrage auf: "Im Raum Bonn
stehen 512 fertige Wohnungen zur Verfügung, im Ausbau befinden
sich 614. Im Raum Frankfurt stehen insgesamt rund 4.000
Familienwohnungen zur Verfügung." So wechselten sich die
Beispiele ab, in denen mal die eine und mal die andere Stadt besser
dastand, insgesamt jedoch die Argumente für Bonn sprachen.
Dass es aber nicht nur eine Rechenfrage war oder eine
"verwaltungstechnische Angelegenheit", wie Adenauer es formulierte,
zeigte sich schon an den Menschenmassen, die vor Beginn der Sitzung
das Parlamentsgebäude belagerten. Auch auf den Gängen und
in den Büros der Abgeordneten wurde die Frage "Bonn oder
Frankfurt" erregt diskutiert. Letztendlich war die Entscheidung
für Bonn nicht so knapp wie befürchtet. Mit 200 gegen 176
Stimmen wurde sie endgültig besiegelt - auf Antrag der CDU in
geheimer Abstimmung. Damit konnte Bonn sich auf den Weg machen, zu
jenem Symbol stabiler Demokratie zu werden, als das es sich auch
1991 präsentierte. In diesem Fall jedoch hatte die Stadt das
Nachsehen.
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