|
|
Ines Gollnick
Der Perspektivische: Marco Bülow
Parlamentarisches Profil
Ärger ist sein Motor. "Wenn mir etwas nicht passt, stecke
ich den Kopf nicht in den Sand und meckere, sondern bin selbst
engagiert und leg noch 'ne Schüppe drauf." Der gebürtige
Dortmunder Marco Bülow, mit 33 Jahren einer der Jüngsten
in der SPD-Bundestagsfraktion, geht davon aus, dass er sich
vermutlich in Zukunft da keine Sorgen machen muss. Denn
Deutschlands Veränderungsprozess ist noch lange nicht
abgeschlossen und wird noch ausreichend Diskussionsstoff liefern.
Er hat gerade seiner erste Halbzeitbilanz gezogen. In der im
Wahlkreis präsentierten Kurzfassung liest sich das so: "Gut in
Berlin eingelebt, in der Fraktion akzeptiert, Berichterstattung
ordentlich erledigt, Reibungen bei den Reformen, Wahrnehmung in der
Öffentlichkeit gut, inhaltliche Arbeit kommt zu kurz,
Kompensation durch das Buch, Wahlkreisarbeit ist wichtig, aber auch
sehr viel, die Verantwortung ist sehr hoch." Doch Bülow, von
Beruf Journalist und PR-Berater, ist keiner, der im Stakkato
inhaltsleere Phrasen absondert. Im Gespräch mit "Das
Parlament" wirkt es fast so, als leide er unter dem Zuwenig an
inhaltlicher Arbeit im politischen Alltagsgeschäft. Er habe
immer noch Probleme damit, wie viele Gesetze in einem so rasanten
Tempo beschlossen würden, dass er da selber nicht mitkomme und
genau weiß, was alles beschlossen wurde. Und dann müsse
er das auch noch vermitteln. "Alle, die im Bundestag sitzen,
inklusive der Mitarbeiter, sind ständig unter diesem
Zeitdruck, das Tagesgeschäft regeln zu müssen, zu
vermitteln, sich zu rechtfertigen, vielleicht auch mal ein bisschen
konstruktiv zu arbeiten. Aber im Prinzip geht das unter, diese
perspektivische-analytische Arbeit, teilweise die inhaltliche
Arbeit", hält der junge Mann mit den tief liegenden Augen
nicht klagend, aber mit etwas Frust in der Stimme fest. Bülow
hat deshalb den Schritt gewagt, sich die Zeit für ein Buch zu
nehmen, angeregt durch einen Lektor, der ihn nach einem Vortrag
über Generationengerechtigkeit ansprach.
"Generation Zukunft - Ein Plädoyer für
verantwortungsbewusstes Handeln" zeigt in sehr verständlicher,
ansprechender Sprache, wie der junge Bundestagsabgeordnete denkt,
wofür er arbeitet, wie er sich Politik vorstellt. "Beim
Schreiben des Buches habe ich mich das erste Mal gezwungen,
Gedanken zu bündeln, mich inhaltlich zu vertiefen, um dann
vielleicht auf andere Gedanken zu kommen. Man kann sehr schnell in
dieser Berliner Käseglocke verschwinden. Dann macht man sehr
schnell das Tagesgeschäft einige Legislaturperioden lang. Dann
lässt man sich nicht wieder aufstellen oder wird nicht wieder
gewählt und ist dann einer gewesen, der mitgelaufen ist." Das
Buch war für Bülow ein Befreiungsschlag. Es wird ein
Instrument sein, um mit Schülergruppen, aber auch mit
Älteren ins Gespräch zu kommen, um Themen wie
Generationengerechtigkeit und beispielsweise Lebensqualität zu
besetzen.
Dass er Berichterstatter für Erneuerbare Energien geworden
ist, im Umweltausschuss sitzt, hat seine Erwartungen als Neuling
übertroffen. Dort macht er das, was er gerne tut. In der
Gruppe der jungen SPD-Abgeordneten innerhalb der Fraktion, dort ist
Bülow einer der Sprecher, geht es ihm in einem zweiten
Schwerpunkt um das Thema Generationengerechtigkeit. "Das Zentrale
ist für mich, dass es Gerechtigkeit innerhalb einer Generation
gibt und zwischen den Generationen, aber nicht nur zwischen den
lebenden, sondern, dass man auch daran denkt, dass alles, was wir
heute beschließen, in der Politik, in der Wirtschaft, eine
Wirkung auf folgende Generationen hat. Auch diejenigen, die noch
nicht geboren sind, wollen gute Lebensumstände vorfinden",
schildert er seine Position. Er fasst den Begriff
Generationengerechtigkeit sehr weit und stellt sich vor, dass sich
die Generationen auch solidarisch verhalten. Genauso
leidenschaftlich argumentiert er, wenn es um die Definition von
Lebensqualität geht. Zur Lebensqualität gehöre
alles, was das Leben heute, morgen und für die Nachkommen
lebenswert mache, findet Bülow. Die Position, dass
wirtschaftliches Wachstum alle Probleme löse, und es allen gut
gehe, wenn erst wirtschaftliches Wachstum da sei, hält er
für falsch. "Es geht uns gut, wenn wir eine intakte Umwelt
haben, wenn wir gesund sind, ein gutes Gesundheitssystem da ist,
wenn wir gute Bildung anbieten und Chancengleichheit, wenn wir eine
möglichst friedliche Demokratie haben." Er ergänzt
weiter, dass die Glücklichsten da anzutreffen sind, wo eine
gute Solidarität gelebt werde, wo Kinder das Leben
bereicherten, wo es Vielfalt und Toleranz gebe und sich Menschen
gut ernähren könnten. Er stellt sich vor, dass dieses ins
Zentrum des politischen Denkens rückt und kein Randaspekt sein
dürfe. Bülow wünscht sich außerdem mehr
Ehrlichkeit in der Politik. "Wir müssen mit diesen
Versprechungen aufhören, dass alles rosig und besser wird,
wenn wir gewählt werden." Politiker seien nicht allein in der
Lage, Arbeitsplätze zu schaffen. Bülow meint, dass
Politikern ziemlich die Hände gebunden sind bei
Arbeitsmarktprozessen, wie sie gerade abliefen. "Dann muss man
deutlich machen, wo die Verantwortung insgesamt liegt." Zusammen
mit der Wirtschaft, mit Menschen ließe sich etwas
verändern. Es gelte auf Chancen hinzuweisen, über Dinge
nachzudenken, die auch erstmal weh tun. Für Bülow steht
heute fest, dass die Produktivität weiter positiv sein werde,
aber mit immer weniger Arbeitskräften. In zehn Jahren liefe
beispielsweise in einem Supermarkt alles elektronisch ab, glaubt
er. Doch bei aller Ohnmacht, die ihn auch schon mal
überfällt, abschrecken lässt er sich von diesem
Gefühl nicht.
Dass er zu den Jungen zählt, sieht Bülow auch als
Vorteil. "Manches, was ich sage, nimmt man mir nicht ganz so krumm,
selbst wenn das Gegenüber andere Einstellungen hat. Diesen
Vorteil sollten Jüngere mehr nutzen", findet er. "Ich kenne
viele Jüngere, die meinen, sie dürften gar nichts sagen,
sie müssten sich erstmal hocharbeiten. Oder sie sagen etwas,
wenn alles schon Mainstream ist. Als Jüngerer sollte man auch
mal Sachen sagen, die vielleicht nicht allen immer gefallen. Das
geht. Es gibt keine Denkverbote. Das sollte man viel mehr
nutzen."
Jetzt, wo die Einarbeitung und Eingewöhnung in Berlin
hinter ihm liegen, will sich Bülow stärker im Wahlkreis
engagieren. Er hilft beispielsweise mit, das Green Goal Programm
umzusetzen, dass das Ziel hat, die Fußball-WM 2006
klimaneutral und umweltverträglich zu veranstalten. In
Dortmund leitet er den lokalen Arbeitskreis. In Berlin koordiniert
er zwischen den Abgeordneten der WM-Austragungsorte eine
mögliche Zusammenarbeit. Bülow will im Wahlkreis
bundespolitische Diskussionen stärker voranbringen. Die
Bürgerversicherung wird deshalb ein großes Thema sein.
Dank des Eckpunktepapiers gebe es da eine gute Basis für
intensive Diskussionen, die ihm so wichtig sind. Außerdem
überarbeitet er gerade seine Internetseite, wo er auch
Tagebuch schreibt, eines, das viel Hintergrund über die Arbeit
eines MdB bietet. Bülow hat sich vorgenommen, seine
Wahlkreisinfo einem größeren Leserkreis anzubieten, nicht
nur innerparteilich. In Berlin will er außerdem daran
mitarbeiten, dass es bald ein eigenes energiepolitisches Konzept
gibt.
Und ab und zu einen Freiraum schaffen, das hat er sich auch
vorgenommen. "Ich lerne das erst. Am Anfang konnte ich das nicht."
Mal Joggen, Radfahren und mit seiner Frau wandern. Das helfe, den
Stress abzubauen. Abschalten kann Bülow auch in seinem
Freundeskreis, der "Gott sei Dank nicht kaputt gegangen ist". Eines
werden jedoch alle akzeptieren müssen: "Ohne Politik geht es
nicht bei mir."
Zurück zur
Übersicht
|