Detlev Lücke
Das Ende einer Ära in Palästina
Zum Tod von Jassir Arafat
Fast zwei Wochen nach seiner Einlieferung in ein
Militärkrankenhaus bei Paris ist
Palästinenserpräsident Jassir Arafat am 11. November 2004
verstorben. Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt.
Während die französischen Ärzte eine zunächst
vermutete Blutkrebserkrankung ausschlossen, warf die
radikal-islamische Hamas-Bewegung Israel vor, das Blut von Arafat
vergiftet zu haben. Die palästinensische Führung hatte
sich in den vergangenen Tagen entschieden gegen derartige
Verschwörungstheorien ausgesprochen.
Dennoch liegt in diesem Sterben Arafats die Wurzel für
eventuelle neue blutige Konflikte zwischen Israelis und
Palästinensern. Somit könnte Abu Ammar (Ara-fats
Kampfname) über seinen Tod hinaus die politische Entwicklung
im nahöstlichen Krisengebiet bestimmen. Nach der Trauerfeier
in Kairo wurde er in Ramallah beigesetzt, ein Kompromiss, der zur
Entkrampfung des Konfliktes beitragen könnte. Arafat wollte in
Ostjerusalem bestattet werden, während Israel das kategorisch
ablehnte und vorschlug, dass er seine ewige Ruhe im Gaza-Streifen
finden sollte. Die Autonomiebehörde rief eine 40-tägige
Trauerzeit aus.
Für eine Übergangszeit soll Parlamentspräsident
Rauti Fattuh die Palästinenserführung übernehmen.
Laut Grundgesetz müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen abgehalten
werden. Der ehemalige Ministerpräsident Mahmud Abbas leitet
künftig die Fatah-Organisation sowie die Palästinensische
Befreiungsorganisation (PLO). Ministerpräsident Ahmed Kureia
führt den Nationalen Sicherheitsrat an. Beide Politiker gelten
als Pragmatiker ohne jenes Charisma, das Jassir Arafat als
Repräsentanten seiner Landsleute auszeichnete.
Für viele von ihnen verkörperte er beide Seiten ihres
jahrzehntelangen Bemühens um staatliche Unabhängigkeit -
den bewaffneten Kampf und das Streben nach einer friedlichen
Lösung. 1994 hatte Jassir Arafat gemeinsam mit den
israelischen Spitzenpolitikern Izchak Rabin und Schimon Peres den
Friedensnobelpreis erhalten. Er wurde ihnen für das 1993 unter
US-Vermittlung vereinbarte israelisch-palästinensische
Grundlagenabkommen verliehen. Durch die sogenannten Osloer
Verträge wurde den Palästinensern als Preis für die
staatliche Anerkennung Israels und den proklamierten Gewaltverzicht
erstmals eine Teilautonomie gewährt. Arafat wurde als
rechtmäßiger Repräsentant international
anerkannt.
Jassir Arafat wurde am 27. August 1929 als Sohn eines
wohlhabenden Textilhändlers geboren. In Kairo studierte er
Elektrotechnik, im Untergrundkampf um den Suezkanal wurde er zum
Sprengstoffexperten. 1959 gründete er die Kampforganisation
"Al-Fath", die zur stärksten palästinensischen
Guerilla-Einheit wurde. 1974 wurde er zur Vollversammlung der
Vereinten Nationen eingeladen, um sie mit einer Rede zu
eröffnen. Arafat trat mit der Keffiya, dem
Palästinenser-Kopftuch, und umgeschnallter Pistole vor das
Auditorium. Er forderte einen säkularen
arabisch-jüdischen Staat. Von Libanon aus steuerte er den
Kampf um seine politischen Ziele. Eine schwere Niederlage erlitten
er und seine PLO, als Israel 1982 in den Libanon einmarschierte.
Arafat schlug sein neues Hauptquartier in Tunesien auf, erwies sich
als politisches Stehaufmännchen und kehrte infolge des Osloer
Abkommens nach 27 Jahren wieder in seine Heimat zurück.
International wurde der Verstorbene als Symbol des
Unabhängigkeitskampfes seines Volkes gewürdigt. In ihm
hätten sich die Hoffnungen vieler Menschen auf Frieden
gespiegelt, andererseits aber auch ihre Enttäuschungen und
Rückschläge, erklärte Außenminister Fischer.
Bundeskanzler Schröder bezeichnete in einem Kondolenzschreiben
an Ahmed Kureia den Tod Arafats als großen Verlust für
das palästinensische Volk. Frankreichs Präsident Jaques
Chirac würdigte ihn als Persönlichkeit mit Mut und festen
Überzeugungen. Der frühere israelische Botschafter in
Deutschland, Avi Primor, bezeichnete den Tod Arafats als "das Ende
einer Ära". Präsident George W. Bush wertete Arafats Tod
als einen "bedeutungsvollen Augenblick" in der Geschichte des
palästinensischen Volkes" auf dem Weg zu einem demokratischen
Palästina, "das in Frieden mit seinen Nachbarn lebt".
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