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Hans-Peter Müller
Überschwappender Optimismus
Geschichten aus dem amerikanischen
Leben
Hand aufs Herz, Studs: Das ist nicht der beste Terkel! Unter dem
Motto "Die Hoffnung stirbt zuletzt" stellt er 40 biographische
Selbstporträts unter verschiedenen Überschriften
zusammen. "Der Mann, der Amerika interviewte", wie der Klappentext
titelt, hat das in seinen zwölf anderen Interviewbüchern
schon wesentlich überzeugender gemacht. Hoffnung, - das
erinnert an "Glaube, Liebe, Hoffnung", trägt aber als
kleinster gemeinsamer Nenner dieser Berichte über disparate
Lebenserfahrungen nicht recht.
Das dämmert Terkel selbst: "Das Thema Hoffnung schien mir
allzu abstrakt. Meine früheren Werke behandelten konkrete,
klar umrissene Themen: Depression, Krieg, Arbeit, Alter und Tod. Es
ging immer um persönliche Erfahrungen, um Menschen, die mitten
im Geschehen standen oder ihm ausgeliefert waren."
Angemessener wäre wohl ein anderer Fokus gewesen: Kampf.
Wie schon Max Weber meinte, beruht das Leben auf Kampf, ja ist
Kampf. Und davon legen Studs Terkels Protagonisten fürwahr
Zeugnis ab. Sie sind alle Kämpfer für eine gute Sache,
haben sich niemals beirren lassen und trotz aller
Rückschläge und Misserfolge nicht daran gedacht
aufzugeben. Das ist, wenn man so will, der rote Faden, der sich
durch die biographischen Erzählungen der jeweiligen Viten
zieht: Der Traum von einer besseren Welt, das politische und
soziale Engagement dafür und die kleinen, stets prekären,
weil gefährdeten Verbesserungen, die man meist kollektiv,
nicht individuell errungen hatte.
"Aktivisten", so Terkel, "haben stets gegen eine Übermacht
angekämpft. Aber wir haben es nicht mit Sisyphos zu tun, der
diesen Stein den Berg hoch wälzt, oder mit Becketts blindem
Pozzo, der einfach weiterstolpert. Wir haben es eher mit einer
Legion von Davids zu tun, ausgerüstet mit allen möglichen
Steinschleudern. Eine einzige Steinschleuder genügt nicht,
noch wird sich der Erfolg von heute auf morgen einstellen. Es ist
ein weiter Weg, Schritt für Schritt... vielleicht nicht zum
Paradies, aber zu einer besseren Welt."
Das wird schon im ersten biographischen Bericht über Dennis
Kucinich, einen amerikanischen Kongressabgeordneten deutlich.
Aufgewachsen in kleinen Verhältnissen als ältestes von
sieben Kindern und bis zum 17. Lebensjahr zweiundzwanzigmal
umgezogen, gestählt durch eine Erziehung auf der Straße,
schrubbte er Fußböden, um das Geld für die
Grundschule zu verdienen. "Ich halte viel von Arbeitsethos", sagt
Kucinich. "In der Arbeit liegt eine ungeheure Würde, ganz
egal, um was für eine Arbeit es sich handelt. Was manche
für unter ihrer Würde erachten, war für mich eine
Chance. Hart arbeiten, vorankommen, das war mein amerikanischer
Traum."
Mit Anfang 20 schafft er es in den Stadtrat, mit Anfang 30 zum
Bürgermeister von Cleveland, Ohio. Ab 1976 ging es darum, ob
die öffentliche Stromversorgung von Muny Light privatisiert
wird oder nicht. Kucinich rettet sie, muss aber 1978
städtischen Konkurs anmelden, weil ihm die Banken jeglichen
Kredit verweigern. Angebote, einen langfristigen 50 Millionen
Dollar-Kredit zu erhalten, wenn er der Privatisierung zustimmt,
schlägt er aus. Mit Schimpf und Schande wurde er bei der
nächsten Wahl aus dem Amt gefegt, gab aber nicht auf. 1993
weitete Cleveland seine Stromversorgung erfolgreich aus, und die
Medien bemerkten, dass es gar keine öffentliche
Stromversorgung mehr gäbe ohne die Rettung von Muny
Lights.
Und plötzlich erinnerte man sich wieder des mutigen jungen
Bürgermeisters, dem die Stadt das zu verdanken hatte, und
benannte die Stromversorgung kurzerhand nach ihm. 1996 schaffte er
es schließlich im fünften Versuch, in den Kongress
gewählt zu werden mit dem Slogan: "Steckt dem Kongress ein
Licht auf." Oder die letzte Erzählung von Kathy Kelly, der
Begründerin von "Voices in the Wilderness", die sich vehement
gegen die US-Sanktionen gegen den Irak einsetzte und dafür
mehrfach ins Gefängnis kam. Ihr Credo: "Wir hörten auf,
ständig die Regierung aufzufordern, die Probleme zu
lösen; wir wollten selbst unsere eingefahrenen Lebensweisen
ändern. Und dann herausfinden, dass das gar nicht schwer
ist."
Alle 40 Lebensgeschichten beeindrucken so sehr, dass man sich
ein bisschen davon für das von Selbstmitleid und Mutlosigkeit
gebeutelte Deutschland wünschen würde. Wie sagte schon
einer unserer lebenserfahrensten Mitbürger, Erich
Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."
Studs Terkel
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Politisches Engagement in schwieriger Zeit.
Antje Kunstmann, München 2004; 312 S., 22,- Euro
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